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Ein Laden bringt das Dorf zusammen

Geschäfte auf dem Land haben es schwer. René Glaser vom Handelsverband hält sie dennoch für unverzichtbar.

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© Lutz Weidler

Riesa. Der Freistaat will Fördergeld für ein Programm „Regionales Wachstum“ bereitstellen. Das soll auch Händlern auf dem Land zugutekommen – und einen Anreiz für Investitionen in zukunftsorientierte Handels- und Versorgungskonzepte bieten. Die SZ sprach darüber mit dem Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Sachsen, René Glaser.

René Glaser ist Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Sachen. Seinen Sitz hat er an der Könneritzstraße in Dresden.
René Glaser ist Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Sachen. Seinen Sitz hat er an der Könneritzstraße in Dresden. © HVS/I. Escherich

Herr Glaser, warum ist es überhaupt wichtig, im Dorf noch Einkaufsmöglichkeiten zu haben: Reicht nicht die Amazon-Drohne zu, die perspektivisch vor jedem Bauernhof landen könnte?

Handel ist mehr als die reine Versorgung und Bedarfsbefriedigung. Schauen Sie mal, woran sich der stationäre Handel vor Ort beteiligt: an Festivitäten, Sponsoring, Events. Außerdem ist der Handel – gerade auf dem Land, wo meist die Industrie fehlt – ein wichtiger Ausbildungs- und Arbeitsplatzgeber. Er ist aber auch Impulsgeber für Arbeit vor Ort: Wo ich Handel habe, habe ich Gaststätten, Dienstleister, habe ich das Gesundheitswesen, habe ich ein Stück weit Kultur. All das hängt am Einzelhandel. Und, das ist nicht zu unterschätzen, der Handel ist ein Ort des Miteinanders: Ohne Laden kommen die Leute gerade auf dem Dorf nicht mehr zusammen. Mit der Versorgung durch Drohnen ginge das alles verloren. Allerdings sehe ich die Drohne in den nächsten Jahren ohnehin noch nicht, schon allein aus rechtlichen Gründen.

Sie haben uns jetzt ein Stück weit ein Idealbild geschildert: Wie es funktionieren kann auf dem Land, wenn es Läden gibt. Tatsächlich sind die aber meistens zu. Gerade erst im Urlaub in Polen ist mir aufgefallen, dass dort auch in Dörfern mit 200 Einwohnern überall Dorfläden geöffnet sind. Was läuft dort besser als bei uns?

Pragmatisch gesagt: Ein Laden muss sich für den Unternehmer rechnen, sonst funktioniert es nicht. Da hängt das Bewusstsein der Bevölkerung dran, dass man vor Ort kauft – auch wenn das eine oder andere mal etwas mehr kostet. Und es kommt hinzu, dass in Polen wie in Tschechien sehr oft Gemeinden Geschäfte subventionieren – etwa beim Personal oder bei der Miete, teilweise werden auch mietfreie Räume angeboten. Den Kommunen dort ist es sehr, sehr wichtig, dass der Lebensmitteleinzelhandel vor Ort funktioniert! Wenn man zudem betrachtet, was auf unsere Unternehmer heutzutage zukommt – ich nenne nur die Stichpunkte Datenschutzgrundverordnung, Mindestlohngesetz, die Aufzeichnungspflicht für geringfügig Beschäftigte, Kennzeichnungspflicht, Verpackungsgesetz, Elektrogesetz, Kassenrichtlinien ... So hat der Unternehmer das Problem, dass er erst einmal die Bürokratie abarbeiten muss – und die zwei, drei Stunden, die er am Rest des Tages noch hat, kann er verkaufen. Deshalb ist es in Polen ein Stück weit einfacher, einen Laden auf dem Land zu etablieren. So ehrlich muss man sein.

Bei uns findet man aber auch innovative Konzepte auf dem Land – ich denke da etwa an die Große Emma in Zabeltitz. Was davon kann denn aus Ihrer Sicht auch in Zukunft funktionieren?

Auf dem Dorf funktionieren Konzepte, die auf Frische, auf Regionalität, auf Abdeckung des kurzfristigen Bedarfs Bezug nehmen – verbunden mit einem Lieferservice, mit einem Bring- und Holdienst der Kunden: So weit muss der Service gehen, damit es in dörflichen Gegenden funktioniert. Entscheidend für erfolgreiche Beispiele ist die Einbindung in ein Netzwerk – wie bei der Großen Emma. Da schauen schon viele aus anderen Regionen drauf: Wie funktioniert denn das? Das ist eine super Idee, die hängt aber von der Akzeptanz ab, von Netzwerken und „Kümmerern“: Ich brauche erst einmal einen vor Ort, der sagt: „Ich starte jetzt dieses Netzwerk!“

In dem Fall war es die Sparkasse ...

Genau. Die Sparkasse war ein Stück weit federführend, dann kam der Bäcker, dann kam der Friseur, dann kam der Einzelhandel. Vielleicht auch ein Paketdienst – Post oder Hermes – ein Sanitätshaus und so weiter. Im Rahmen eines Netzwerkes kann man das schaffen. Der Einzelne wird das ganz, ganz schwer haben. Und dann wird es auch nur selten funktionieren. Ich brauche verschiedene Dienstleistungen um den Einzelhandel drumrum.

Haben Sie weitere konkrete Beispiele, neben der Großen Emma?

Ja. In Lugau bei Stollberg wird gerade ein Projekt vorbereitet, das heißt „Die Marktschwärmer“. Kennen Sie das schon?

Nein.

Das gibt es mittlerweile in Deutschland schon an Dutzenden Orten. Es funktioniert so, dass online eine Plattform geboten wird, wo der Kunde verschiedene Waren erwerben kann, die von regionalen Bauernhöfen, Bäckern, Imkern und so weiter geliefert werden. Der Kunde kann online auswählen, was er haben möchte – und an einem bestimmten Tag, an einem bestimmten Ort kann die Ware abgeholt werden. Es gibt auch andere, ähnliche Projekte, die durch die Digitalisierung möglich werden.

Schon jetzt stößt man auf dem Land hin und wieder auf dort ansässige Online-Händler, die quasi nebenbei auch einen Vor-Ort-Laden anbieten. Da gibt es beispielsweise in einem winzigen Dorf bei Meißen einen Babyausstatter. Bringt so ein Laden einem Dorf was?

Warum nicht? Man muss Nischen besetzen und sich dann breit aufstellen – einmal den stationären Handel bedienen und zum anderen den Onlinehandel. Gerade die ländlichen Regionen sollten mit den speziellen Dingen werben, die sie haben. Wenn ich da zum Beispiel an das Erzgebirge denke: Dort läuft die Herstellung von Räucherkerzen. Und die kann man im stationären Handel verkaufen – und natürlich gleichzeitig weltweit im Internet vertreiben. Man muss aber immer eine Marke drumrum bauen.

Hätten Sie auch einen Vorschlag nicht für den ländlichen Raum, sondern für eine Stadt wie Riesa?

Ja! Dafür haben wir gerade ein Projekt angestoßen: Wir wollen Innovationen zeigen. Es gibt so viele Bereiche bei der Digitalisierung, die für den Einzelhandel wichtig sind. In einer Stadt könnte man an vier, fünf, sechs Projekten zeigen, was im Einzelhandel im Bereich der Digitalisierung momentan läuft. Das ist mit Kosten verbunden, aber deshalb haben wir auch für die entsprechende Förderung gesorgt, die es demnächst geben soll. Es ist wichtig, zukunftsfähige Innenstädte, zukunftsfähige Konzepte zu zeigen: Was ist im Bereich der Digitalisierung möglich? Und das Ganze in einer bestimmten Stadt als Modellprojekt. Ein Ort wie Riesa wäre prädestiniert dafür.

Das Interview führte Christoph Scharf.