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Ein Hauch von Nichts

Eine Designerin kreiert Jacken, die für Überwachungskameras unsichtbar sind. Jetzt gründet Nicole Scheller eine Firma.

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© Jürgen Lösel

Von Stephan Hönigschmid

Als Nicole Scheller mit ihrer rundlich geschnittenen, weißen Jacke die Görlitzer Straße in der Dresdner Neustadt betritt, braucht sie auf die erste Reaktion nicht lange zu warten. „Ist das jetzt die neue Mode?“, fragt bereits nach wenigen Minuten ein vorbeifahrender Radfahrer. Auffällig ist an dem Kleidungsstück vor allem, dass die Körperform darin kaum zu erkennen ist und der Armansatz erst weit unten Richtung Hüfte beginnt.

Zufall ist das aber nicht. Denn obwohl in der Modewelt zwar grundsätzlich alles erlaubt ist, was gefällt, verfolgt die 25-jährige Modedesignerin ein ganz bestimmtes Ziel: „Ich entwerfe Kleidung, die vor Überwachungskameras schützt“, sagt Scheller, die mit dieser Idee schon einige Aufmerksamkeit erregt hat. Ausgangspunkt war dabei ihre Bachelorarbeit an der Hochschule für Angewandte Kunst in Schneeberg.

„Ich bin ursprünglich durch George Orwells Buch ‚1984‘ für das Thema Überwachung sensibilisiert worden. Als ich dann 2016 während eines Auslandsaufenthaltes in Schweden gesehen habe, wie sorglos viele Menschen mit ihren Daten umgehen, ist in mir der Entschluss gereift, mich in meiner Abschlussarbeit mit diesem Problem zu beschäftigen.“

Zahlreiche Kommilitonen hätten häufig das Smartphone benutzt, um sich auf Instagram oder Facebook zu präsentieren. „Das Geltungsbedürfnis wird schneller über die Apps befriedigt als im normalen Alltag. Manche Menschen vergessen dabei, dass die Daten auch einmal gegen sie verwendet werden könnten“, sagt die Dresdnerin.

Weil Schweden bei der Digitalisierung führend sei und beispielsweise auch darüber nachdenke, das Bargeld abzuschaffen und Obdachlose mit Kartenlesegeräten auszustatten, habe man die Entwicklung in dem skandinavischen Land besonders zeitig gespürt, erklärt die junge Frau.

Trotz ihrer Bedenken war ihr jedoch ebenfalls klar, dass es sich bei der Nutzung von Apps um etwas Freiwilliges handelt. Daher wählte sie für ihre Bachelorarbeit einen anderen Ansatz. „Ich habe mich auf Überwachungskameras im öffentlichen Raum konzentriert. Eigentlich hat dort jeder ein Recht auf Anonymität. Im Namen der Terror- oder Verbrechensbekämpfung wird es aber immer weiter eingeschränkt“, so Scheller.

Nachdem sie die Theorie aufgeschrieben hatte, machte sich die Modedesignerin praktisch ans Werk und schneiderte die funktionale Straßenkleidung. „Zum einen habe ich eine Jacke entwickelt, auf der Infrarot-LED’s angenäht sind. Diese geben das infrarote Licht zurück, das Überwachungskameras bei Dunkelheit nutzen. Auf diese Weise werden sie quasi außer Kraft gesetzt.“ Gemeinsam mit einem Mitbewohner, der Ingenieur ist, habe sie getüftelt, bis die optimale Zahl an LEDs gefunden war, berichtet Scheller.

Um die Kameras beziehungsweise die zur Identifikation notwendige Software auch bei Tag auszutricksen, setzte sie außerdem auf eine Jacke mit einem ausgeprägten Schwarz-Weiß-Muster. „Ich habe mich intensiv mit dem Algorithmus von Kameras beschäftigt, die Gesichter erkennen. Das Schwarz-Weiß-Muster spielt bei den Geräten eine zentrale Rolle.“ Durch die überwältigende Menge an schwarz-weißen Informationen auf den Jacken werde dieser Mechanismus überlastet, erklärt die Designerin.

Dass die 25-Jährige sich auf den ersten Erfolgen nicht ausruht, sondern nur so vor Kreativität sprüht, beweist sie mit weiteren Kreationen. So arbeitet sie neben der kürzlich fertiggestellten weißen Jacke, die die Körperkonturen verhüllt, gegenwärtig an diversen Accessoires. „Ich habe viele Ideen. Unter anderem werde ich demnächst einen Rucksack herausbringen, dessen Fächer aus Silbermaterial bestehen. Legt man dort ein Mobiltelefon hinein, kann es nicht mehr per GPS geortet werden“, sagt Scheller. Obwohl die Designerin als Jahrgangsbeste eigentlich noch ihren Master machen wollte, hat sie diese Pläne erst mal zurückgestellt. „Die Resonanz auf meine Kleidung hat mich wirklich überwältigt. Diese Chance möchte ich nutzen“, sagt sie. Damit aus den Prototypen eine Serienproduktion entstehen kann, plant sie ab September eine Crowdfunding-Kampagne auf der Internetplattform Startnext. Mithilfe der Gründungsinitiative Saxeed hat sie sich die nächsten Schritte bereits überlegt und weiß genau, wo ihre Prioritäten liegen: „Auch wenn ich natürlich Geld verdienen möchte, bleibt für mich die politische Botschaft wichtig. Und die lautet: Überwachungskameras lösen keine Probleme, sondern verlagern sie nur.“