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Ein fast vergessenes Handwerk

Bei Rolf Kolbe in Kamenz werden heute noch Bürsten und Pinsel in Handarbeit gefertigt. Der Besuch im Laden ist wie eine Zeitreise.

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© Matthias Schumann

Von Ina Förster

Kamenz. Die Tür knarrt leicht. Im Flur ist es etwas schummerig. Besen aller Couleur und Form hängen an den Wänden. Es riecht nach Maschinenöl und Arbeit. Und dennoch mutet das hier alles ein bisschen wie im Museum an. Oder auf einem Film-Set, wo eine Szene mit einem Handwerker aus dem 19. Jahrhundert gedreht wird.

Das Markenzeichen der Manufaktur. Dreimal „K“ in Lessingringen.
Das Markenzeichen der Manufaktur. Dreimal „K“ in Lessingringen. © Ina Förster
Dieser Aufsteller wurde von der Stadtwerkstatt initiiert.
Dieser Aufsteller wurde von der Stadtwerkstatt initiiert. © Ina Förster

Der gelernte Bürsten- und Pinselmachermeister Rolf Kolbe schaut um die Ecke und begrüßt die Kundschaft. Heute ist es seine erste. Es dürften gern ein paar mehr Leute sein, die sich an die Theaterstraße 28 verirren. Dabei hängt seit Monaten das neue Zunftschild über der Tür: Eine schlichte Bürste. „Damit man sieht, dass wieder Leben im Geschäft ist“, sagt er. Ein Aufsteller daneben macht ebenfalls neugierig. „Regionales Handwerk erleben“, titelt es. Das Plakat hat Citymanagerin Anne Hasselbach entworfen, ein paar Leute der Stadtwerkstatt haben dabei geholfen, dass das uralte Handwerksgeschäft mehr Aufmerksamkeit bekommt. Seit Kurzem kann man auf einer Bank vor dem Geschäft sogar auf weichen Sitzkissen verweilen. Rolf Kolbe gefallen diese Ideen. Er dekoriert seine Schaufenster schon immer originell. Mal wackelt ein Osterhase mit dem Kopf, mal fährt die Modelleisenbahn zwischen Haarbürsten und Pinselquasten hindurch, mal dreht sich ein Tannenbaum.

Seit 138 Jahren in Kamenz

Seit 138 Jahren sind „Bürsten-Kolbes“ nicht mehr aus der Stadt wegzudenken. Urgroßvater Richard Kolbe gründete seine Firma 1879 ursprünglich an der Bautzner Straße, wo später das Möbelhaus Seltenreich ansässig war. 1886 zog der Handwerker dann an die Theaterstraße 28. Seitdem werden hier Tierhaare verdrahtet, eingepecht, zugeschnitten. Mit Bürsten und Pinseln kannte sich der gebürtige Erzgebirgler prima aus. Sohn Kurt trat anschließend in seine Fußstapfen. „Nach meinem Opa ist das Geschäft heute noch benannt“, so Rolf Kolbe. An der Wand hängen schwarz-weiße Erinnerungen im Rahmen. Ernstdreinblickende Menschen mit strengen Scheiteln, die sich in den Türrahmen im Haus Nummer 28 pressen. Nach Kurt Kolbe übernahm dessen Sohn Gottfried die Geschäfte. „Und ich habe meinem Vater bereits mit zehn Jahren in der Werkstatt geholfen“, erinnert sich Rolf Kolbe heute. „Wie das so war, wenn im Hause gelebt und gleichzeitig gearbeitet wurde. Da waren die Weichen gestellt.“ Schnell war klar, dass er diesen Beruf ergreifen würde. Stolz spricht der Kamenzer heute noch über seine Branche. Bis ins alte Ägypten lassen sich die ersten Spuren des geliebten Handwerks rückverfolgen. Da brauchte man nämlich Rasierpinsel für den Körperkult.

Immerhin: Zu DDR-Zeiten gab es flächendeckend noch ein paar mehr Handwerksbetriebe dieser Art. Vor allem im Erzgebirge und Vogtland, wo heute noch einige mittelständische Unternehmen produzieren. An einen Kollegen in Pulsnitz kann sich Rolf Kolbe gut erinnern. Doch schon damals waren es nur vier bis fünf im ganzen Bezirk Dresden. Heute sind die meisten größeren Firmen in Bayern ansässig. Deutschlandweit gibt es nur eine einzige Berufsfachschule, die ausbildet – im Rathaus von Bechhofen in Franken. Hier werden verschiedene Fachrichtungen angeboten: Bürstenmacher, Haarzurichter, Borstenpinselmacher, Feinhaarpinselmacher. Die Branche sucht dringend gute Fachkräfte. In Bechhofen befindet sich übrigens auch das Deutsche Pinsel- und Bürstenmuseum. Eine Hochburg dieses Handwerkes.

Etwa 40 verschiedene Produkte

In der Lessingstadt sowieso im weiten Umkreis ist Rolf Kolbe auf sich allein gestellt. Er ist der einzige, der noch auf die alt hergebrachte Art und Weise produziert. Oder besser gesagt: Er tut es wieder. Ein paar Jahre – gleich nach der politischen Wende im Land – blieb der kleine Laden nämlich geschlossen. Rolf Kolbe trieb es zum Arbeiten in die alten Bundesländer. „Hier lief plötzlich nichts mehr mit dem alten Handwerk. Größere Aufträge, wie die Herstellung von Heißteer-Bürsten, fielen weg. Ich hätte richtig groß investieren, einen Kredit aufnehmen müssen. Das konnte und wollte ich damals aber nicht“, erzählt er.

Zwischendurch arbeitete der Kamenzer in vier bis fünf anderen Berufen. Sein ursprünglicher jedoch als Bürsten- und Pinselmachermeister holte ihn wieder ein und zurück in die Heimat. Seit dem Tag der Sachsen im Jahr 2011 ist er täglich in seiner kleinen Manufaktur zugange. „Es war Zeit für Veränderungen“, sagt er. Auch und vielleicht weil er unterdessen Rentner ist. Für ihn ist jeder Gang in die Werkstatt ein Experimentieren und Wiederentdecken von alten Handgriffen. Immer wieder lässt sich der 64-Jährige etwas Neues einfallen. Und sei es nur, dass der Handfegergriff eine zusätzliche Farbe bekommt. Etwa 40 verschiedene Produkte hat Rolf Kolbe im Repertoire. Vom großen Saalbesen über verschiedene Wand- oder Spinnenbesen mit typischer Form, vom Wolfskopfbesen bis zum Champignonbürstchen, vom einfachen Malerpinsel bis zur extravaganten Massagebürste. „Ich arbeite dabei nur mit hochwertigen pflanzlichen und tierischen Rohstoffen“, sagt er. Ziegenhaar zum Beispiel oder mit indischem Kalkutta-Wildschwein. Die Beschaffung der Rohware ist manchmal mehr Kampf und Krampf, aber gute Kontakte helfen weiter. Auch Rosshaar wird verarbeitet. Noch immer laufen die alten Maschinen gut. Die Handstanzmaschine der Firma Seidel in der Ecke ist so alt wie Rolf Kolbe selbst. Die neueste – eine Bündelabschneidmaschine – weist das Baujahr 1968 aus. Die hat der Vater noch angeschafft. Deutsche Wertarbeit.

Die Kundschaft kommt mittlerweile wieder von überall her. Man schätzt seine Handwerkskunst ebenso in der Schweiz wie vor Ort. Zahlreiche ehemalige Kamenzer schauen beim Heimatbesuch bei ihm vorbei. Das Preis-Leistungs-Verhältnis überzeugt. Kommissionsware fertigt er kaum. Dafür wäre kein Platz. Herumreisen auf Märkten wie ein paar Kollegen, das will er auch nicht. „Es ist ein kleiner Nebenverdienst. Und ich freue mich über jeden Kunden“, sagt Kolbe. Seine Tochter denkt nach, das Geschäft weiterzuführen. Bis dahin steigt der Meister hinab in den Laden.