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Ein Bruder für Riccardo

Der schwer kranke Achtjährige findet durch das Baby stärker Zugang zum Leben. Seine nächste Delfintherapie muss nun allerdings erst mal warten.

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© Mario Schneuer

Von Ines Scholze-Luft

Radebeul. In der Babyschale zappelt Lennard Matteo Schneuer. Gerade mal ein Vierteljahr jung. Ein ganz besonderer Familienzuwachs. Viertes Kind und zweiter Sohn von Katja Schneuer-Weise, 36, und Taxiunternehmer Mario Schneuer, 45. Die beiden Radebeuler strahlen um die Wette. Mutter Katja wirkt dabei ein wenig geschafft. Verständlich bei der intensiven Zuwendung, die das kleine Wesen braucht.

•Ein Küsschen für den tierischen Therapeuten. Riccardo und seine Betreuerin, Physiotherapeutin Ricarda, mit ihrem schwimmenden Begleiter in einer Lagune vor Curacao.
•Ein Küsschen für den tierischen Therapeuten. Riccardo und seine Betreuerin, Physiotherapeutin Ricarda, mit ihrem schwimmenden Begleiter in einer Lagune vor Curacao. © privat

Lennard ist damit allerdings nicht der Einzige in der Familie. Auch Bruder Riccardo bedarf ganz spezieller Fürsorge. Dabei ist er deutlich älter. Über seinen achten Geburtstag haben sich alle unendlich gefreut. Denn mancher seiner Leidensgenossen erreicht den nicht. Riccardos Krankheit heißt Menkes-Syndrom, eine Störung des Stoffwechsels, genauer gesagt des Kupfertransports. Ein reichliches Dutzend Kinder und Jugendliche in Deutschland sind davon betroffen, meist Jungen. Menkes bedeutet ein Leben fern vom Selbstverständlichen, bedeutet: Nicht sprechen, nicht laufen, nicht stehen. Aufgrund der Krankheit ist die Lebenserwartung verkürzt.

Wir kämpfen um Riccardo, hat die Familie beschlossen und sich damit einer Mammutaufgabe gestellt. Mit Einsatz rund um die Uhr, mit immer neuen Anläufen, dem Jungen Entspannung und Wohlfühlen zu ermöglichen. Mit der beständigen Suche nach Wegen, mit ihm zu kommunizieren. Einfach Ja und Nein sagen, das funktioniert nicht. Trotzdem lässt er spüren, wie Personen und Dinge auf ihn wirken, was er davon hält. Auf Langeweile und Antipathie hat er eine einfache, klare Antwort: Er verschläft die Situation.

Selbst in der Schule, wo er speziell betreut wird. Der Drittklässler lässt dann schon mal was aus. Ein ehrlicher Charakter, kommentiert Katja Schneuer-Weise schmunzelnd. Aufmerksamkeit ist allerdings angesagt, wenn es in der Schul-Ergotherapie ums Basteln geht. Wie beim Pappmache-Delfin, das Weihnachtsgeschenk für Mutter Katja. Mit dem Therapeuten gemeinsam gebaut, beklebt und bemalt.

Ebenfalls hellwach ist der große junge Mann, wie die Mutter ihren Riccardo nennt, immer, wenn der kleine junge Mann in der Nähe ist. Dann berührt er Baby Lennard ganz vorsichtig und zart, genießt seine Anwesenheit. Schreit der Kleine in einer Ecke des Wohnzimmers, findet der Große das total lustig, erzählt Vater Mario. Oft lacht Riccardo oder weint aus Kollegialität auch mal mit. Wie eng die beiden sind, zeigt ein Schnappschuss des Vaters. Riccardo ganz gelöst, Klein-Lennard, umschlungen vom Bruder, mit symbolischer Geste: Da geht es lang, nach vorn.

Zuversicht für die ganze Familie. Die weiß, dass sie Riccardo vermutlich viel zu zeitig für immer gehen lassen muss. Doch davon spricht keiner. Jetzt stehen die Zeichen uneingeschränkt auf Optimismus. Weil der Achtjährige so wunderbar auf den Familienzuwachs reagiert. Das stärkt sogar sein Immunsystem. Hat er doch gerade mal drei Tage seit Schuljahresbeginn gefehlt, wo ihn doch sonst Erkältungen häufig ausbremsen.

Das freut nicht zuletzt die beiden älteren Schwestern Kaya, 11, und Samira, 10. Die sich gern ums Baby kümmern, oft aber auch bei Riccardo zu finden sind, ihm vorlesen – selbst Französischvokabeln –, mit ihm spielen. Außerdem helfen sie immer wieder im Haushalt, um die Erwachsenen zu entlasten, berichtet Mario Schneuer stolz. Und sie gestalten weiter kleine Perlenschutzengel, um Geld für die zweite Delfintherapie zu sammeln.

Die war zwar schon diesen Sommer geplant. Doch für die hochschwangere Mutter wurde es nichts mehr mit dem Flug in die Karibik. Ein viertes Kind haben sich die Eltern von Herzen gewünscht. Da musste die Delfintherapie zurückstehen, bleibt aber eines der großen Ziele der Lindenauer.

Schon die erste Kur in Curacao im Sommer 2015 hatte fast Wunder bewirkt. Nicht nur, weil der Aufenthalt bei den Tieren Riccardo so gut bekam. Die gesamte Familie konnte sich erholen, mit anderen Betroffenen austauschen. Und die Kur zeigte, dass Riccardo durchaus Fragen bejahen oder verneinen kann, mithilfe eines Tasters und eines Augensteuerungscomputers. Die Basis für gezieltes Verständigen.

Noch andere Hilfsmittel erleichtern den Alltag des Achtjährigen und seiner Betreuer – vom Therapiestuhl bis zum Reha-Buggy. Geradezu lebensnotwenig: Die Magensonde – wegen der Schluckschwäche aufgrund fehlender Muskelspannung – für Medikamente und Nährstoffe. Um so erfreulicher, dass Riccardo nun zunimmt, dass er aktiver ist, seine Aufnahmefähigkeit besser, wie Mutter Katja sagt.

Um die Fortschritte auszubauen, hat die Familie Delfintour Nummer zwei im Plan. Einen festen Termin gibt es noch nicht. Angepeilt wird Sommer 2019. Wegen der bis zu zwei Jahren Vorbestellung und dem in den Ferien nötigen Termin. Bis dahin wird weiter Geld dafür gesammelt, sicher wieder mit Unterstützung so mancher Radebeuler Unternehmen und privater Spender, hofft die Familie.

Und vor allem die Kinder werden es bis dahin genießen, dass Mama Katja, nebenberuflich ebenfalls Taxiunternehmerin, nun von zu Hause aus arbeitet. Was außerdem Familienzuwachs Nummer zwei zugutekommt: Hündin Gipsy, eine Mischung aus Schnauzer, Schäferhund und Labrador, die, aus dem Tierheim geholt, Schneuers seit fast einem Jahr verstärkt.

www.menkes-kids.de