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Ein Aborigine in Kamenz

Tony Harwood bereitet eine Kunst-Performance in der Alten Post vor. Auf seinem „Walkabout“ macht er hier länger Halt.

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© René Plaul

Von Ina Förster

Kamenz. Tony Harwood muss erst einmal richtig ankommen. Gerade hat der Australier noch in Bautzen gefrühstückt. Bis Sandro Gebler ihn dort abgeholt hat. Der Stadtrat und Stadtwerkstattler wird sich in den nächsten zwei Wochen gut um den Gast kümmern. Weil er fließend Englisch spricht. Weil er Neuseeland und Australien kennt. Und weil er es will.

Nun steht der australische Künstler in der Alten Post in der Zwingerstraße 1. Und schaut. Atmet die kühle Luft. Die Menschen hier sieht er alle zum ersten Mal. Auch Anne Hasselbach, die City-Mangerin. Sie hat den Kontakt von einer befreundeten Künstlerin übernommen, die Fäden hinter den Kulissen gesponnen. Wie so oft. Tony Harwood trägt sportliche Kleidung, kurze Haare. Von bunter Bemalung oder urzeitlichen Piercings keine Spur. Und doch steht hier ein echter Aborigine vor einem – das kommt nicht alle Tage vor!

Böse Geister ausräuchern

In der Ecke arbeiten derweil zwei Handwerker und bauen gerade eine Heizung ein. Sie stört der ganze Trubel hier nicht. Sie haben eine Mission: Bis zum Kunsthopping am 24. November soll es hier warm sein. Und das neue WC funktionieren. Familie Bach, der das geschichtsträchtige, teilsanierte Haus gehört, öffnet es dann für einen Abend der Öffentlichkeit. Insgesamt acht Künstler aus Dresden, Berlin, Radibor und Kamenz werden sich hier präsentieren. Tony Harwood ist einer davon. Der Kamenzer Metamorphoseverein hat sich hinter das Projekt geklemmt. Das Interesse auf allen Seiten ist groß. Schon jetzt leuchtet es seit ein paar Tagen abends und nachts anheimelnd hinter der kargen Fassade. Das Haus steht seit vielen Jahren leer. Die Aktion zum Kunsthopping soll auch das alt ehrwürdige Gemäuer wieder ins rechte Licht rücken. Vielleicht sogar Interesse bei potenziellen Mietern und Nutzern wecken. Nach einem Arbeitseinsatz haben die Metamorphoseleute hier deswegen auch große Lampen aufgestellt. „Man soll sehen, dass etwas passiert“, meint Anne Hasselbach.

Tony Harwoods Blick bleibt unterdessen am alten Gewölbe hängen. Im leeren Hinterhof dreht er sich einmal um sich selbst. Hier wird der 47-Jährige in zwei Wochen seine Kunst installieren. Teilweise ist sie schon da. Teilweise wird sie erst noch entstehen. Selbst behauene Baumstämme mit aufgemalten Traumlinien unter anderem. „Kommt darauf an, was wir so im Wald finden“, sagt er und nickt Sandro Gebler an. Die beiden Männer wollen noch an diesem Montag los und Material sammeln. Was daraus in den kommenden zwei Wochen entsteht, weiß keiner genau. Der Ausstellungsort passt aber schon mal. „Ich werde hier am Ausstellungsabend auch eine Rauchzeremonie der Aborigines durchführen. Die letzte hatte ich in Görlitz, wo ich im Sommer Station machte. Da gab es jede Menge negative Energie, die weg musste“, sagt er trocken. Wie wird es hier in Kamenz werden?

Tony Harwood wird dabei einfach seinen Instinkten folgen. Und seinem Blut. Weit reichen die Stammeslinien zurück. Vieles kann er zwar nicht mehr nachvollziehen. Doch das wenige genügt. „Der Vater meiner Großmutter war ein Maori. Meine Verwandtschaft mütterlicherseits waren Aborigine“, erzählt er. Er selbst ist seit sechseinhalb Jahren unterwegs in der Welt. „Walkabout“ nennt man das. Die Aborigines, die Ureinwohner Australiens, sind das älteste bekannte Volk der Welt. Etwa 65000 Jahre gibt es sie. Zentraler Punkt ihrer Weltanschauung ist der Glaube an die Traumzeit. In dieser wurde die Welt von verschiedenen heiligen Vorfahren wie der Regenbogenschlange erschaffen. Ihre Spuren in der Wildnis sind die sogenannten Songlines, auch Traumpfade genannt.

Vom Outback in die große Welt

Genau auf diesen ist Tony Harwood unterwegs. Nur einmal war er zwischenzeitlich daheim – Weihnachten 2014. Seine persönlichen Traumpfade und auch die Regenbogenschlange hat er auf einen der Baumstämme gemalt und geritzt. Die Linie schlängelt sich quer durch ganz Europa. Kamenz gehört nun dazu. Ein anderer Stamm zeigt die Silhouette von Görlitz. Das könnte man sich mit der Kamenzer St. Marien-Kirche auch sehr hübsch vorstellen. Der 47-jährige Aborigines wird sich umsehen hier, wird Menschen kennenlernen. Was ihn begegnet, wird man in seiner Kunst wiederfinden. Daheim in Australien lebt Tony im Outback. So werden australische Regionen bezeichnet, die fernab der Zivilisation liegen. Darwin, die größte Stadt, liegt etwa 300 Kilometer von seinem Heimatort entfernt. „Den nächsten Supermarkt gibt es erst in 100 Kilometern“, schmunzelt er. Dass so eine Kleinstadt wie Kamenz acht große Discounter und Märkte hat, findet er etwas eigenartig.

Doch er freut sich auf die kommenden zwei Wochen. Tagsüber wird er Kunst erschaffen. Abends in der Stadtwerkstatt schlafen und hoffentlich ein paar Kamenzer kennenlernen. Sandro Gebler wird bald sein Didgeridoo mitbringen, das er auf einer seiner Reisen ins Lieblingsland mitgebracht hat. Darauf spielt Tony Harwood dann am 24. November zum Kunsthopping. Und räuchert dazu die bösen Geister aus. Wer seine negativen Energien loswerden möchte – nicht nur dafür lohnt sich also ein Besuch beim Metamorphoseverein. Und bei den anderen Mitmachern dieser ganz besonderen Einkaufsnacht.