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Die Verwandlung nach dem Schicksalsschlag

Maria Kirsten wollte immer nur Volleyball-Profi werden. Doch der Krebstod ihres Vaters ändert alles im Leben der 22-Jährigen.

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© Robert Michael

Von Alexander Hiller

Die junge Frau wirkt verwandelt. Wer Maria Kirsten als Volleyballerin wahrgenommen hat, wird die 22-Jährige kaum wiedererkennen. Als Kirsten vor drei Jahren als großes Dresdner Zuspiel-Talent in die 1. Bundesliga zum Erstligisten Hamburg wechselte, waren die Haare länger, dunkler und Marias Körper ein wenig zu kräftig. Heute trägt sie die Haare modisch kurz und hellblond – und die gebürtige Dresdnerin wiegt 20 Kilogramm weniger.

Die erstaunlichste Verwandlung aber fand im Verborgenen statt, im Innersten. „Zwischen Volleyball und Maria, da kommt nichts“, erinnert sie sich an ihr früheres Ich. Heute ist das anders und eng mit einem Schicksalsschlag verknüpft. Vater Jens Kirsten starb im September 2016 an Blasenkrebs – mit 49 Jahren. Dabei galt der einstige Hockey-Jugendnationalspieler der DDR schon als geheilt. Doch 2015 war der Krebs zurück, hatte im Rückenmark und in der Lunge gestreut. „Ich war ein großes Papa-Kind, er war mein Held. Er hat mir stets in den Arsch getreten, nie ein Blatt vor den Mund genommen. Sein Tod war das Schlimmste, was ich bisher in meinem Leben mitmachen musste“, sagt Maria.

Hamburg musste 2016 in die 2. Liga absteigen, weil der Hauptsponsor abgesprungen war. Als Zuspielerin sollte Kirsten die Mannschaft wieder zurück in die Eliteklasse führen. „Wir hatten eine wirklich gute Mannschaft“, sagt Maria. Sie war da bereits stets zwischen den beiden Elbestädten gependelt, um ihrem Papa beizustehen. „Ich war in der Vorbereitung auf die neue Saison nicht immer da. Ich glaube, das war auch für die Mannschaft schwer“, erzählt sie. Nach dem Tod ihres Vaters nahm sie sich zwei Wochen eine Auszeit. Den Geburtstag ihres Vaters hat sich Maria in römischen Zahlen auf den rechten Oberarm tätowieren lassen, seinen Lieblingsspruch „Dream Big“ auf den linken. Doch es türmten sich elementare Fragen vor ihr auf. „Ist das, was ich mache, auch das, was ich wirklich will?“, gibt sie ihre Gedanken preis. Mit sechs Jahren hatte sie mit Volleyball angefangen, es gab nie etwas anderes. „Das war mein Leben. Ich habe nie damit gerechnet, dass ich vor meinem 30. Lebensjahr mal normal arbeiten werde, sondern mein Geld bis dahin mit Volleyball verdiene“, sagt sie.

Mama nimmt die größte Angst

Der Tod des Vaters veränderte ihren Blickwinkel auf die Dinge. Die gelernte Bürokauffrau bat zwei Monate nach Saisonbeginn in Hamburg um Vertragsauflösung. Zähneknirschend stimmte der Vorstand zu. „Mir wurde das alles zu viel. Ich konnte und wollte nicht mehr“, sagt Kirsten. „Ich habe mir einfach gewünscht, nicht immer von Jahr zu Jahr zu gucken, wo ich jetzt stehe. Zelte aufbauen und wieder abreißen, das ist nicht meins.“ Nicht mehr.

Ihre größte Angst aber war, wie ihre Familie reagiert. „Meine Mama hat mir gesagt: Egal, wie du dich entscheidest – wir stehen hinter dir.“ Der Rückhalt war wichtig. „Ich bin meiner Mama, meinem Freund unendlich dankbar, dass sie so aufrichtig und bedingungslos für mich da waren und sind“, sagt Maria Kirsten. Sie zog mit Sack und Pack zurück nach Dresden, fasste aber zwei Jahre lang keinen Volleyball mehr an. Was aber in der Heimatstadt anfangen, ohne den ehemaligen Lebensinhalt? „Das hört sich total stumpf an, aber ich hatte keine Idee“, sagt sie und muss lachen.

Kirsten hatte in Hamburg ihre Teamkolleginnen vor öffentlichen Auftritten regelmäßig und offenbar auf den Punkt geschminkt. Talent vorhanden. Also Make-up-Artist – Haare und Gesicht. Marias Freund Maximilian betreibt in der Neustadt das Friseurstudio Haaramt, das demnächst Hairdentity heißen wird. Dort arbeitet Kirsten jetzt als Auszubildende und wirkt euphorisch, wenn sie darüber spricht.

Dass Kirsten wieder in der Stadt ist, blieb dem Drittliga-Aufsteiger Dresdner SSV nicht verborgen. „Ich habe mich zum Probetraining überreden lassen und gemerkt, dass es mir viel Spaß macht. Aber es regt mich auf, dass ich nicht die Leistung bringen kann wie vor zwei Jahren.“

Kirsten wird mit dem DSSV am Samstag in die neue Drittliga-Saison starten. „Aber ohne den immensen Leistungsdruck“, sagt sie. Ob sie damit ihren eigenen Ansprüchen genügen kann? Kirsten wuschelt kurz in ihrer blonden Mähne. „Keine Ahnung. Ich bin auf dem Feld ein Miststück. Ich habe mir geschworen, dass mich der krasse Ehrgeiz nicht mehr auffrisst. Ich will entspannt die Spiele genießen und mir selbst die Herausforderung stellen, dass ich der Ruhepol sein kann.“ Es wäre die nächste Verwandlung der emotionalen Spielerin.