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Die Ignorantin

Die Angeklagte interessiert ein Hausverbot in einem Supermarkt nicht. Sie kommt immer wieder. Und deswegen nun vor Gericht.

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© Norbert Millauer

Von Jürgen Müller

Meißen. Man könnte auf den ersten Blick glauben, die Meißnerin sei eine Schwerverbrecherin. Bewacht von zwei Justizbeamten wird die 33-jährige Angeklagte in den Gerichtssaal geführt, nimmt neben ihrem Verteidiger Platz. Dabei ist die Tat, die ihr vorgeworfen wird, eher Bagatellkriminalität. Doch warum der große Aufwand? Ersteres ist schnell erklärt. Die 33-Jährige wird aus dem Gefängnis vorgeführt, wo sie gerade eine Haftstrafe wegen anderer Taten absitzt. Warum sie einen Verteidiger braucht, ist wohl ihr Geheimnis.

Der Frau wird Hausfriedensbruch vorgeworfen. Sie soll trotz zeitlich unbegrenzten Hausverbotes im Meißner Kaufland Schützestraße, das ihr unter anderem wegen Diebstählen erteilt wurde, immer wieder in diesem aufgeschlagen sein. Irgendwann wird es den Mitarbeitern zu bunt. Sie zeigen die Frau an. Die erhält daraufhin einen Strafbefehl, soll 300 Euro zahlen. Doch sie geht dagegen in Einspruch, streitet die Tat einfach ab. Sie sei an diesem Tag gar nicht in dem Supermarkt gewesen, behauptet sie trotzig. „Ich weiß doch, dass ich Hausverbot habe, und das schon seit sechs Monaten. Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, dass ich an jenem Tag dort gewesen sein soll“, sagt die Angeklagte, die auch schon wegen gefährlicher Körperverletzung und Hausfriedensbruchs verurteilt wurde. Als sie die jetzt angeklagte Tat beging, stand sie unter Bewährung – unter anderem wegen Hausfriedensbruchs. Da waren die 30 Tagessätze zu je zehn Euro im Strafbefehl tatsächlich ein „Friedensangebot“. In einem anderen Fall hatte sie 70 Tagessätze erhalten. Da kam allerdings auch noch Diebstahl dazu.

Andere können sich aber an die jetzt angeklagte Tat sehr gut erinnern. Beispielsweise die Mitarbeiterin des Marktes, die sie angezeigt hat. Allerdings hat sie sich den Ausweis der Frau nicht zeigen lassen, deren Personalien nicht aufgenommen. Denn die Angeklagte ist in dem Markt bekannt wie ein bunter Hund, so oft ist sie dort schon aufgefallen. Ein paar Tage vorher war die Angeklagte auch schon in dem Supermarkt angetroffen worden. Die Mitarbeiterin nahm ihr die Sachen ab, die sie in der Hand hatte, wies sie nochmals ausdrücklich auf das Hausverbot hin und drohte eine Anzeige an, falls sie erneut gegen das Hausverbot verstößt. „Sie hat mich dabei völlig ignoriert“, sagt die Mitarbeiterin als Zeugin aus. Und die Frau, die bei Pflegeeltern aufwuchs, ignoriert nicht nur die Mitarbeiterin, sondern auch das Hausverbot. Als sie ein paar Tage wieder im Markt gesichtet wird, zeigt sie die Mitarbeiterin schließlich an. Der Verteidiger versucht, die Zeugin zu verunsichern. Was die Frau, die sie angezeigt habe, denn an jedem Tag anhatte, will er wissen. Das kann diese nach mehr als einem Jahr natürlich nicht mehr wissen. Warum sie die Frau nicht gleich beim ersten Mal angezeigt hätte, hakt er nach. „Ich wollte ihr noch eine Chance geben“, so die Zeugin.

Der Richter deutet an, dass es bei einer Verurteilung teurer werden könnte als im Strafbefehl. Nun lenkt auch der Verteidiger ein. Nach einem Gespräch mit der Angeklagten zieht diese den Einspruch zurück. So bleibt es zwar bei den 300 Euro Strafe, doch für sie wird es noch teurer. Neben den Gerichtskosten muss sie auch den Anwalt bezahlen. Ein hoher Preis dafür, dass sie mal ein paar Stunden aus dem Gefängnis in Chemnitz herausgekommen ist.