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Der Zeit-Arbeiter

Mario Schmidt führt in fünfter Generation einen Uhrenladen – in dem er auch nach all den Jahren noch Überraschungen erlebt.

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© Eric Weser

Von Eric Weser

Strehla. Wer erwartet, dass im Geschäft zig Sekundenzeiger ticken, der irrt. Um seine Nerven und die Mechanik der Uhren zu schonen, hat Uhrmachermeister Mario Schmidt den Zeitanzeigern Ruhe verordnet. Zur vollen Stunde schallt nur aus einer Uhr die Big-Ben-Glockenmelodie.

Das Uhren- und Schmuckgeschäft von Mario Schmidt dürfte zu den ältesten in der Gegend gehören. Gegründet hat es sein Vorfahre Johann David Schmidt 1842. Seither ist der Betrieb immer in der Familie weitergegeben worden. Den letzten Generationswechsel gab es 1995, als Mario Schmidt erst den Laden und zwei Jahre später auch die zugehörige Werkstatt von seinem Vater Peter übernahm.

Mario Schmidt hat seine Uhrmacherlehre Ende der 70er Jahre gemacht. Dass er mal den gleichen Beruf lernen würde wie sein Vater, das habe einfach festgestanden, erzählt der 56-Jährige. „Ich hatte auch nichts anderes im Sinn.“

Computer am Handgelenk

Nach Lehre, erster Berufserfahrung und der obligatorischen Armeezeit machte Mario Schmidt seinen Meister. Eine ganz andere Zeit sei das gewesen, erinnert er sich. „Computer gab’s damals fast noch gar nicht, das kam erst auf.“ Heute sind die Rechner aus dem Alltag nicht wegzudenken. Und seit einiger Zeit dringen sie auch in den Uhrenmarkt ein. Sogenannte „Smart-Watches“ sind am Ende eher Mini-Computer fürs Handgelenk als Zeitanzeiger im herkömmlichen Sinne. Schmidt bietet die Geräte in seinem Geschäft nicht an. Stattdessen gibt es etablierte Marken mit traditionellen mechanischen oder elektromechanischen Uhrwerken.

Das klassische Handwerk ist nach wie vor gefragt. Vor allem bei Regulatoren – Wanduhren mit Pendel. Oft werden die bis zu 100 Jahre alten Zeitanzeiger vererbt. Die Jahre hinterlassen an der Mechanik der Uhren ihre Spuren. Dann ist das Können von Fachleuten wie Mario Schmidt gefragt: Die filigrane Technik im Gehäuse auseinanderbauen und die Stellen finden, an denen es nicht mehr rund läuft. In seiner Strehlaer Werkstatt, einem Raum hinter der Ladentheke, beschäftigt sich Mario Schmidt mit den feinmechanischen Spezialitäten. Die exakte Arbeit mit Lupe und Pinzetten braucht neben der ruhigen Hand des Meisters vor allem eins: Zeit. Bis zu einem halben Jahr kann eine Regulator-Reparatur dauern, sagt Mario Schmidt.

Große und kleine Uhren wieder instand zu setzen, das macht der Handwerksmeister noch lieber, als welche zu verkaufen. Von der Strehlaer Kirchturm- über die Schlossuhr bis zur Armbanduhr kümmert sich Schmidt um alle möglichen Modelle. Langweilig werde seine Arbeit nicht. „Es ist doch jede Uhr anders.“ Man lerne nie aus, habe sein vor zwei Jahren verstorbener Vater immer gesagt. Das stimme. Schon um Patentstreite zu vermeiden, hätten sich Uhrenbauer immer wieder etwas neues einfallen lassen müssen, erzählt der Strehlaer, der auch selbst erfinderisch sein muss.

Mehr Lkws als Laufkundschaft

Schließlich sei das Leben als Selbstständiger nicht einfach, lässt er durchblicken. „Wir haben hier mehr Rübenlaster als Laufkundschaft“, sagt Mario Schmidt beim Blick durchs Schaufenster. Dass er die Bundesstraße 182 in Strehla direkt vorm Laden hat, daran kann der Unternehmer allerdings auch etwas Gutes finden. „Gesundheitlich wäre eine Umgehungsstraße schon gut. Aber wirtschaftlich ist es nicht gut, wenn alle nur noch rundrum fahren.“ Für Mario Schmidt steht fest: Wenn die Strehlaer Umgehung mal kommt, muss gleichzeitig auch im Zentrum etwas passieren. So, wie in Mügeln.

In der 20 Kilometer von Strehla entfernten Kleinstadt betreibt Schmidt seit 2009 einen zweiten Laden. „Man muss ja sehen, wie man die Familie ernährt“, sagt der Familienvater. Die Mügelner Geschäftswelt sei, anders als in Strehla, noch ganz gut aufgestellt, rund um die Stadt gebe es viele Dörfer. Als er einst noch als Außendienstler für eine Uhrenfirma unterwegs war, sei er auf den Mügelner Laden aufmerksam geworden, der seinerzeit noch von den Vorinhabern betrieben wurde. Inzwischen führt Mario Schmidts Frau dort die Geschäfte. Die Strehlaer haben sich etabliert. „Es hat lang genug gedauert“, sagt Mario Schmidt. Aber selbst in Strehla, wo der Name Schmidt seit 175 Jahren für Uhrmacherhandwerk steht, erlebt der Handwerksmeister noch Überraschungen. „Es kommen manchmal Leute hier in den Laden und fragen: Reparieren Sie auch?“

Für lange Urlaube und viele Hobbys bleibt nicht viel Zeit. Mario Schmidt entspannt bei Radtouren und der Arbeit im Garten hinter seinem Haus. Eine Woche Urlaub gönnt sich die Familie. Zur Familie gehört auch Mario Schmidts Sohn. Der 15-Jährige geht in Riesa ins Gymnasium. Ob er mal die sechste Generation sein wird, die den Uhrenladen führt? „Er weiß noch nicht, was er will“, sagt der Vater. „Ich dränge ihn nicht.“ Kommt Zeit, kommt Rat.