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Der Star über der Manege

Bogdan Szlachcic aus Zgorzelec war Kapellmeister in Europas größten Zirkus-Arenen. Am Wochenende spielt er beim Görlitzer Altstadtfest.

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© pawelsosnowski.com

Von Frank Seibel

Zgorzelec. Jahrzehntelang schauten die Leute woanders hin. Auf die weißen Pferde mit den farbigen Büscheln, auf den Clown mit den zu großen Schuhen, auf hüpfende Hundchen und tigernde Großkatzen. Nur wenn die Trapezkünstler zum Salto Mortale ansetzten, erfassten Hunderte Augenpaare auch ihn, hoch oben über der Manege in einer separaten Loge. Dann konnten sie Bogdan Szlachcic sehen, mal mit Trompete, mal mit Klavier.

Nun ist der 64 jährige Zgorzelecer als Zirkusmusiker in Rente gegangen und sitzt bald voll im Rampenlicht. Beim Altstadtfest wird er gemeinsam mit der Görlitzer Rockband „Jochen Fünf“ dem Rock’n’Roll eine Prise Swing beimischen. Dann ist der international erfolgreiche Musiker aus der Görlitzer Nachbar- und Partnerstadt das Bindeglied zwischen zwei ganz unterschiedlichen musikalischen Welten. „Brassda“ heißt das Projekt, bei dem die rockenden Kulturmanager aus Görlitz sich das „Zbigniew Palamar Swing Orchestra“ aus Zgorzelec an die Seite holen. Aus einer Idee auf den Fluren der Musikschule von Zgorzelec ist seit Beginn des Jahres ein sehr lebendiges deutsch-polnisches Projekt geworden.

Für Bogdan Szlachcic ist „Brassda“ nur noch Spaß. Er braucht die Musik, jeden Tag. Auch wenn er nun Rentner ist und mit seiner Musik kein Geld mehr verdienen muss. Mal spielt er Akkordeon mit einer polnischen Folkloregruppe, mal Klavier in einem Klassik-Ensemble. Aber immer wieder piksen ihn das Fernweh und die Sehnsucht nach dem ganz großen Zirkus. Amsterdam, Kopenhagen – dort war er über Jahrzehnte beinahe zu Hause, als Kapellmeister für Zirkus-Kapellen. Im vorigen Jahr noch spielte er sogar bei einem der größten internationalen Festivals, im französischen Grenoble, vor mehr als 7000 Zuschauern.

Angefangen hat diese Geschichte vor fast 40 Jahren. Bogdan Szlachcic war zu dieser Zeit Trompeter im Blasorchester des Braunkohlekraftwerks Turow. Als ein Zirkus in der Stadt gastierte, traf er auf einen Musiker der Zirkuskapelle – mit einer kaputten Posaune. Wo man die reparieren könne? Bogdan Szlachcic wusste Rat und bekam den Tipp fürs Leben: Im Zirkus würden immer gute Musiker gesucht, man könne reisen und viel Geld verdienen; das alles in den eher grauen Jahren des Kommunismus. Bis dahin hatte Bogdan Szlachcic in mehreren Militärorchestern Niederschlesiens und eben in der Kraftwerks-Combo gearbeitet. Aber die Aussicht auf ein bewegtes Leben lockten den Musiker so sehr, dass er in die Zirkus-Welt wechselte.

Den Anfang machte 1979 Warschau, aber schon 1980 konnt er in Italien spielen: Circus Americano, drei Manegen, 5000 Zuschauer, eine Zehn-Mann-Kapelle. Mittlerweile hatte sich Bogdan Szlachcic aufs Klavier spezialisiert. Aber da war noch eine andere Sehnsucht: die nach seiner Frau, die in Zgorzelec geblieben war. Im Mai 1982 dann eine Gewissensfrage: Ausreise in die USA, für immer frei – oder aber zurück nach Polen? Seine Frau war und blieb heimatverbunden. Und er blieb bei Frau und Kind. Jedenfalls immer für eine Weile.

Dann zog es ihn wieder zu den Manegen Europas. Vor allem bei Dänemarks bedeutendstem Zirkus, dem „Circus Benneweis“, spielte er bis vor zwei Jahren regelmäßig. Nun hat seine kranke Frau Vorrang, und er verzichtet ihr zuliebe auf die Zirkusluft.

Ein wenig von dieser Atmosphäre könnte er allerdings inmitten der Gaukler und Handwerker finden, die von Freitag bis Sonntag die Görlitzer Altstadt bevölkern und ein buntes mittelalterliches Treiben zelebrieren. Am Sonnabend, 21.30 Uhr, sitzt Bogdan Szlachcic mittendrin, auf der Untermarkt-Bühne. Und spielt „Kroaten-Bossanova“ mit Jochen Fünf und der Zbigniew Palamar Big Band.

www.altstadtfest-goerlitz.com