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Der Mann, der in die Defensive soll

Haris Duljevic ist ein begnadeter Dribbler und Hakenschläger. Dynamos Trainer will, dass er auch zurückläuft. Der Bosnier erklärt, warum er das erst lernen muss.

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© Robert Michael

Von Daniel Klein

Wild springt Uwe Neuhaus an der Seitenlinie im Braunschweiger Eintracht-Stadion rum, gestikuliert, schreit. Der Adressat seines Ausbruchs ist Haris Duljevic, der nach einem verlorenen Zweikampf auf dem Rasen hocken bleibt und nicht zurückläuft. Ein derartiges Verhalten steht bei Dynamos Trainer auf dem Index, da kann er schon mal laut werden – und konsequent. Vier Spiele in Folge fehlte Duljevic in der Rückrunde in der Startelf. Es war auch eine Art Disziplinarmaßnahme.

In Braunschweig sagte Neuhaus über ihn: „Haris hat die Abwehrarbeit nicht unbedingt in seinen Genen. Er ist offensiv wie defensiv immer für ein Tor gut.“ Deutlicher kann man Kritik kaum formulieren, aber ist sie auch berechtigt? Im SZ-Gespräch erzählt Duljevic, dass die taktische Ausbildung in seinem Heimatland nicht vergleichbar sei mit der in Deutschland. Bei FK Sarajevo war der 24-Jährige, der Anfang August nach Dresden kam, Kapitän und hatte dort „in der Offensive alle Freiheiten. Da waren andere Leute zuständig, mir den Rücken freizuhalten“. Dies erklärt, warum die Umstellung etwas länger dauert. „Ich weiß, dass ich da noch an mir arbeiten muss, aber es klappt immer besser“, findet er.

Seine Nichtberücksichtigung in der Startelf nach seiner Sperre Ende Februar führt er aber nicht alleine auf sein ausbaufähiges Defensivverhalten zurück. Da hätten viele Faktoren eine Rolle gespielt, sagt er. So ist der Saison-Rhythmus in Bosnien-Herzegowina ein anderer. „Dort hatten wir im Winter immer drei Monate Pause, hier nur einige Tage. Dadurch war ich nicht mehr so frisch. Ich musste mich an so vieles erst gewöhnen, das ist ein langer Prozess.“ Außerdem habe die Mannschaft ohne ihn erfolgreich gespielt. „Warum soll der Trainer dann etwas ändern?“

In den vergangenen beiden Partien stand Duljevic wieder von Beginn an auf dem Platz. Gegen Braunschweig erzielte er die 1:0-Führung und war auch sonst der Auffälligste. Die Fachzeitschrift Kicker wählte ihn in die Elf des Spieltags. Auf engstem Raum lässt der Rotschopf gleich mehrere Gegenspieler stehen, kann noch dazu im hohen Tempo dribbeln – damit hebt er sich deutlich vom Zweitliga-Durchschnitt ab, neuerdings gibt es dafür den Begriff Unterschiedspieler. „Es ist ein Talent, das mir geschenkt wurde“, sagt er.

Das allein reicht jedoch nicht, er hat es auch gelernt. „In Sarajevo mangelte es an Spielfeldern, also mussten wir oft in Hallen oder auf kleinen Plätzen trainieren“, erzählt er. „Da ist man gezwungen, sich auf engstem Raum zu behaupten.“ Gekickt hat er mit seinen Freunden oft auch auf der Straße – einer abschüssigen. In Deutschland sind Profis mit einer solchen Biografie längst selten geworden.

Ex-Nationalspieler Mehmet Scholl kritisierte kürzlich, dass es hierzulande keine Instinktfußballer mehr gebe, weil sie in den Leistungszentren von Beginn an in taktische Korsetts gepresst würden, anstatt ihre persönlichen Fähigkeiten zu fördern. Sicher hat Scholl nicht an Duljevic gedacht, doch diese Kritik und die dadurch ausgelöste Diskussion kommen einem fast zwangsläufig in den Sinn, wenn man den Bosnier bei seinen Haken und Tricks zusieht.

Vom perfekten Fußballer, falls es den überhaupt gibt, ist Duljevic dennoch weit entfernt. Reserven hat er nicht nur in der Rückwärtsbewegung, sondern auch im Abschluss. Drei Vorlagen und zwei Treffer sind für einen Linksaußen mit seinen Fähigkeiten zu wenig. „Die Statistik lügt nicht“, sagt er, gibt aber auch zu bedenken, dass er viel für die Mannschaft arbeite und Räume schaffe für die Nebenleute. „Dennoch muss ich mehr Tore schießen, das habe ich mir fest vorgenommen.“ Am Samstag beim Heimspiel gegen Kiel wäre eine günstige Gelegenheit.

Dann wird Duljevic wohl wieder zu den Meistgefoulten gehören. Mit seiner Spielweise provoziert er Fouls, doch er findet, dass die zu selten geahndet werden. In Sandhausen hinterließ der Verteidiger bereits nach 20 Sekunden einen Bluterguss auf Duljevic‘ Oberschenkel, der Schiri pfiff nicht. Nach weiteren ähnlichen Szenen foulte er selbst und sah Gelb-Rot. Bei seinem Abgang beleidigte er den Unparteiischen und wurde für zwei weitere Partien gesperrt. „Da hatte sich so viel aufgestaut, dass mir irgendwann der Kragen geplatzt ist. Ich war selbst überrascht, wie ich reagiert habe.“ Den Fehler habe er eingesehen und verspricht, dass ihm das nicht wieder passiert.

Fünf Partien sind es noch bis zum Saisonende, womöglich sind es die letzten für ihn bei Dynamo. Sein Vertrag läuft zwar noch zwei weitere Jahre, doch Typen wie Duljevic sind begehrt auf dem internationalen Markt. Bereits vor seinem Wechsel nach Dresden habe es Angebote aus der Türkei, Russland und Spanien gegeben, hatte er im Sommer erzählt. Jetzt verweist er auf seinen gültigen Vertrag. „Deshalb entscheidet allein der Verein, ob etwas passiert, “, sagt er. Duljevic kann sich nicht nur um seine Gegenspieler schlängeln, sondern auch um unangenehme Fragen.