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Datenschutz gegen würdigen Abschied?

Der Schaukasten mit den Namen Verstorbener am Bischofswerdaer Rathaus bleibt leer. Nicht alle finden das gut.

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© Rocci Klein

Von Ingolf Reinsch

Bischofswerda. Über die berühmt-berüchtigte Krümmung von Gurken, die die EU-Kommission vor Jahrzehnten Produzenten und Verbrauchern auferlegte, konnte man ja noch lachen. Bei der seit Mai geltenden europäischen Datenschutzverordnung ist das anders. „Man kann es auch übertreiben“, sagt die Bischofswerdaerin Helga Escher und verweist auf den leeren Schaukasten am Rathaus. Bis Ende Mai standen dort die Namen Verstorbener, deren Lebensdaten, die letzte Wohnanschrift und, sofern es die Hinterbliebenen wünschten, Termin und Ort der Trauerfeier. Seitdem die neue Verordnung gilt, ist der Kasten leer. Für Helga Escher, die bis zu ihrem Ruhestand an der Oberschule Bischofswerda Ethik unterrichtete, verbindet sich damit gleichermaßen ein ethisches und soziales Problem. Gerade in einer Kleinstadt, wo man sich kennt. „Man möchte am Tod eines Menschen Anteil nehmen, eventuell auch mit zur Trauerfeier gehen, um einem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen“, sagt sie. Ohne Information ist das aber nicht immer möglich. „Im Ethikunterricht spielten Trauer und ein würdevoller Abschied eine wichtige Rolle“, sagt die ehemalige Lehrerin. Zudem laufe die Kleinstadt Gefahr, dass die sozialen Bindungen der Bürger untereinander noch schwächer werden. Deshalb wünscht sich Helga Escher, dass die Stadt zur früheren Praxis zurückkehrt.

Im Rathaus verschließt man sich diesen Argumenten nicht. „Wir haben für diese Sichtweise absolutes Verständnis, können und werden aber nichts am jetzigen Prozedere ändern“, sagt Sascha Hache, Pressesprecher der Stadtverwaltung. „Wenn Angehörige möchten, dass zum Tod ihrer Liebsten informiert wird, schalten sie in der Regel Traueranzeigen. Diese Informationsmöglichkeit steht dann also allen Bürgerinnen und Bürgern zu.“

Für die Stadt nicht zu leisten

Auch in der Stadtverwaltung bedauere man es, dass die Todesdaten (wie auch runde Geburtstage) nicht mehr veröffentlicht werden (können). Aber der Aufwand, dies rechtssicher durchzuführen, sei zu hoch, sagt Sascha Hache, und er erklärt den Unterschied der jetzigen zur früheren Praxis. Bis Ende Mai musste man als Bürger einen Widerspruch einlegen, damit personenbezogene Daten nicht veröffentlicht oder weitergegeben werden. Jetzt muss die Stadtverwaltung zu jedem Vorgang eine Erlaubnis einholen, damit diese Daten veröffentlicht werden dürfen. So schreibt es das europäische Recht vor. „Dafür ist der Aufwand leider zu hoch. Ebenso spielt der menschliche Faktor eines möglichen Fehlers bei der Übermittlung der Zustimmung herein, da wir als Stadt nicht den direkten Kontakt zu den Angehörigen besitzen. Bei direktem Kontakt mit dem Standesamt wäre der Mehraufwand der notwendigen Speicherung der Zustimmung zur Veröffentlichung in analoger und digitaler Form der Einverständniserklärung und der Kopie der Sterbeurkunde als Nachweis, dass die Betroffenen wirklich die nächsten Angehörigen sind, zu groß“, sagt der Rathaus-Sprecher. Seinen Angaben zufolge äußerten seit dem 25. Mai, dem Inkrafttreten der europäischen Datenschutzverordnung, „viele Bürger“ gegenüber der Stadtverwaltung Verständnis für das Agieren der Stadt.

Die Datenschutzverordnung gilt zwar für alle gleichermaßen. Trotzdem praktizieren es die einzelnen Kommunen unterschiedlich. Die Gemeinde Neukirch beispielsweise veröffentlicht im Amtsblatt keine Sterbedaten mehr, aber noch immer „runde“ Seniorengeburtstage und Eheschließungen. Auch kleinere Gemeinden, wie Demitz-Thumitz und Frankenthal, gratulieren älteren Jubilaren öffentlich zu „runden“ und „halbrunden“ Geburtstagen. „Unser Standesamt schreibt sie einige Wochen vorher an und holt die Zustimmung ein. Jeder kann selbst entscheiden, ob er seinen Geburtstag im Amtsblatt veröffentlicht haben möchte oder nicht“, sagt die Demitzer Bürgermeisterin Gisela Pallas. Fürs Gemeinschaftsgefühl im Dorf ist ihr es wichtig, an der bisherigen Praxis festzuhalten. Wobei es in einer 3 000 Einwohner-Gemeinde wahrscheinlich leichter ist, die Zustimmungen einzuholen als in einer Stadt mit über 10 000 Bewohnern.

Ausnahme Demitz-Thumitz

Demitz-Thumitz ist die einzige Gemeinde im Raum Bischofswerda, die in einem Schaukasten am Gemeindeamt die Namen von Verstorbenen weiterhin veröffentlicht. Mit dem Datenschutz passt das durchaus zusammen. „Wir haben im Standesamt ein Formular, auf dem die Angehörigen ihre Zustimmung geben können“, sagt Gisela Pallas. Wie groß das Bedürfnis ist, den Tod eines Familienmitgliedes auch auf diesem Weg mitzuteilen, zeigt die Erfahrung: Etwa 80 Prozent der Demitzer entscheiden sich für den Aushang, der von der Beurkundung im Standesamt bis zum Tag der Beisetzung am Gemeindeamt zu finden ist.

Mit dem leeren Kasten am Zugang zum Bürger- und Touristenservice, in dem unten noch die Magneten und auf der Scheibe ein Papierrest kleben, macht Bischofswerdas Stadtverwaltung wahrlich keinen Staat. „Vielleicht kann man den Kasten auch anders nutzen“, sagt Helga Escher. „Zum Beispiel um für eine Veranstaltung oder die nächste Stadtführung zu werben.“