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Das Dachtheater ist Geschichte

Dem 1994 gegründeten Freitaler Verein mangelt es an Mitgliedern. Nun wird er aufgelöst.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Thomas Morgenroth

Freital. Seine Wehmut kann Martin Rülke kaum verbergen. „Da hängt sehr viel Herzblut dran“, sagt der 35-jährige Freitaler. Er steht in einem eiskalten Abstellraum auf der Krönertstraße in Deuben inmitten von Theaterkulissen, die er einst mit Lutz Wagner für das Dachtheater Freital gebaut und bemalt hat. Ein mannshohes Bild der Egermühle ist darunter, ein klappbares Pfefferkuchenhaus für „Hänsel und Gretel“ und ein Brunnen auf Rollen für den „Froschkönig“. Märchenhaft aber ist hier gar nichts mehr. Die Geschichte ist aus, und es gibt kein glückliches Ende. Das Dachtheater, in dem Rülke seit zwanzig Jahren Mitglied ist, wird aufgelöst.

Martin Rülke, der in Dresden eine private Berufsfachschule für Sozialwesen leitet und Fraktionsvorsitzender der CDU im Freitaler Stadtrat ist, wickelt als Vorsitzender seit einem Jahr den Verein ab. Neben Martin Wimmer ist er das letzte verbliebene Mitglied des Dachtheaters, das mangels eines zahlenmäßig ausreichenden Vorstandes noch nicht einmal mehr die eigene Auflösung beschließen kann. „Wir werden nun wohl vom zuständigen Amtsgericht zwangsaufgelöst“, sagt Rülke.

Der Verein hinterlässt zwar, wie bei Martin Rülke selbst, emotionale Wunden, allerdings keinen Scherbenhaufen und vor allem, betont Rülke, keine Schulden. Was nicht so einfach war, wie es klingt. „Ich musste beispielsweise mit dem Kulturraum und der Stadt die Verwendung der Fördermittel aus den vergangenen Jahren abrechnen, da gab es zum Teil unterschiedliche Auffassungen“, sagt Rülke. Nun aber seien alle wesentlichen Dinge geklärt. Die Technik des Vereins, die sich im Mehrzweckraum unter dem Dach der Pestalozzi-Schule befindet, gehört jetzt dem Landkreis und kann dort also weiter genutzt werden. Nur der Fundus, der wegen der Bauarbeiten in der Pesta ausgelagert worden war und für den es dann dort keinen Platz mehr gab, ist noch übrig.

Martin Rülke kramt eine Pinnwand aus dem Jahre 2009 hervor, auf der für Schillers Drama „Kabale und Liebe“ geworben wird – mit Fotos der Darsteller, darunter ist er selbst. „Ich war der Hofmarschall von Kalb“, erinnert sich Rülke. „Es war eine meiner liebsten Rollen, und es war eines unserer erfolgreichsten Stücke, das vier Spielzeiten lang gezeigt wurde.“ Regie führte Moutlak Osman, wie bei fast allen Inszenierungen des Dachtheaters. Es war ja schließlich auch „sein Kind“. Der aus Palästina stammende Schauspieler und Regisseur hatte 1973 mit Hannelore Umlauft das Zentrale Laientheater Freital gegründet, aus dem 1991 die Spielbühne wurde. Nach vereinsinternen Querelen machte Osman schließlich im Dezember 1994 seinen eigenen Verein auf.

Das Dachtheater, das im Weißeritzgymnasium in persona Moutlak Osman auch die Ganztagsangebote im darstellenden Spiel übernahm, entwickelte sich rasch zu einem erfolgreichen Amateurtheater, in dem, neben Lehrern und Studenten, vor allem Schüler mitspielten. Wie Martin Rülke, der als Fünfzehnjähriger in „Max und Milli“ seine erste Rolle hatte – „als leicht alkoholabhängiger, alleinerziehender Vater“, wie er sich lachend erinnert.

Moutlak Osman inszenierte mit den Jugendlichen Märchen wie „Rapunzel“ oder „Die Bremer Stadtmusikanten“, die im Stadtkulturhaus Freital vor mehr als 400 Kindern aufgeführt wurden. Er brachte aber auch sozialkritische Stücke wie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ oder „Weizen auf der Autobahn“ auf die Bühne. Für manchen Schüler wurde das Dachtheater sogar zum Sprungbrett für eine professionelle Schauspielkarriere, wie für Till Wonka, der in Leipzig studierte und jetzt im Ensemble des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin ist.

Moutlak Osman war der künstlerische Leiter des Dachtheaters, die organisatorischen Dinge oblagen dem Vereinsvorstand. Dort aber zeigten sich zunehmend personelle Engpässe, sodass Osman schon 2013 die Reißleine ziehen wollte. „Den Beschluss zur Auflösung habe ich damals verhindert“, sagt Rülke. „Ich wollte dem Verein noch eine Chance geben.“ Osman jedoch, der nächsten März 80 wird, verabschiedete sich aus Altersgründen aus dem Vereinsvorstand, inzwischen betreut er auch die Ganztagsangebote nicht mehr. Martin Rülke, der 2014 zum Vorsitzenden des Vereins gewählt wurde, fand in dem Schauspieler Stefan Dietrich einen neuen künstlerischen Leiter. Dessen erste Inszenierung war „Der kleine Prinz“, die auch sehr erfolgreich lief. Leider blieb es dabei. Mitten in den Proben zu „Oh wie schön ist Panama“ warf Dietrich aus persönlichen Gründen das Handtuch.

„Das war letztlich der Todesstoß für das Dachtheater“, meint Rülke. Zumal er ein Grundproblem nicht lösen konnte: „Die Leute wollten zwar Theater spielen, aber kein Mitglied im Verein werden.“ Ohne Mitglieder aber gibt es keinen Verein. „Das ist die traurige Wahrheit“, resümiert Rülke und hofft, dass wenigstens der Name des Dachtheaters als Spielstätte und bei den Ganztagsangeboten überlebt. Die alten Kulissen aber werden in der Schule nicht gebraucht. Die will Rülke nun der Spielbühne und Karnevalsvereinen anbieten. Zum Wegwerfen sind ihm sein Knusperhäuschen und der Brunnen, der auch als Backofen diente, einfach zu schade. Sollte es einen Erlös geben, fließt dieser laut Vereinssatzung an die Stadt. Rülke will damit theaterpädagogische Projekte in Freital unterstützen. Den Beschluss dazu muss der Stadtrat fassen – und da hat er ja ein Wörtchen mitzureden.