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„Bürokratie ist Fluch und Segen“

Gurkenkrümmung, Flughafenbau, Fördermittel: Im Dreiseithof streiten Landespolitiker über Sinn und Unsinn von Vorschriften und die Größe von Behörden.

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© Eric Weser

Von Eric Weser

Gröditz. Über die Geschehnisse rund um Chemnitz redet seit Wochen die Republik. Bei der Gröditzer Podiumsdebatte mit Landespolitikern am Donnerstagabend sollte es aber bewusst nicht darum gehen. „Man sollte nicht vergessen, dass es noch andere wichtige und wichtigere Themen gibt“, verteidigte Organisator Norbert Ehme vom Gröditzer Bündnis für Demokratie und Zivilcourage, das diesmal unter anderem das Thema Bürokratie auf der Agenda stand.

Dass die „Herrschaft der Verwaltung“ wächst, dass das viele Menschen ärgert und private als auch öffentliche Vorhaben hemmt – da waren sich die Parteienvertreter von AfD, CDU, SPD, Grünen und Linken einig. Wie gravierend das Problem ist und wie man es löst, da gingen die Meinungen dann aber stellenweise weit auseinander.

Eine Lanze für die Bürokratie hierzulande brach Sebastian Fischer (CDU): Aus Gesprächen in der Ukraine habe er mitgenommen, dass die Verwaltung etwa im Gesundheitsbereich dort als „Himmel auf Erden“ gesehen werde. Denn sie sorge dafür, dass es gerecht zugehe es keine Korruption gebe. Niemand müsse einen Arzt bestechen, um behandelt zu werden. Der Christdemokrat sah sogar in der EU-Gurkenkrümmungsverordnung Vorteile. Die oft verspottete Regelung sorge am Ende für niedrigere Gurkenpreise, weil gerade Gurken im Vergleich zu krummen niedrige Transportkosten bedeuteten.

Henning Homann (SPD) verwies auf Vorteile einer demokratisch und rechtsstaatlich verfassten Verwaltung. „Es gelten klare Regeln für alle, nicht das Recht des Stärkeren oder Reicheren.“ Der Grüne Gerd Lippold sagte, es gehe bei bürokratischen Entscheidungen oft um Fragen von Recht und Gerechtigkeit gehe – immer dann, wenn verschiedene Interessen aufeinanderprallen. „Ein Unternehmen, das Chemieprodukte herstellt, schimpft schrecklich über Sicherheitsvorschriften. Aber die Bürger die daneben wohnen, bestehen auf noch strengeren Regeln.“

Dass es immer mehr und kompliziertere Vorschriften gebe, liegt nach Ansicht von AfDler Maximilian Krah nicht zuletzt an einflussreichen kleinen Gruppen, die gezielt Einfluss auf die Gesetzgeber nehmen. Beispiele seien das auf EU-Ebene beschlossene Leistungsschutzrecht als auch die Datenschutzgrundverordnung. Durch zu komplizierte Regeln und zähe Entscheidungsprozesse drohe Deutschland, international den Anschluss zu verlieren, so Krah. „Wir bekommen ja nicht mal einen Flughafen gebaut“, spielte er auf das Endlos-Bauprojekt in Berlin-Schönefeld an. In China wäre ein vergleichbares Vorhaben längst realisiert. Um Bürokratie einzudämmen, will der AfDler sowohl Gesetzeskataloge als auch den Personalkörper in der „zu fett gewordenen“ Verwaltung ausdünnen. Bei manchen Behörden würde man eine Abschaffung nicht mal bemerken, so Krah. Bedenken, dass unter einer Verschlankung die Rechtsstaatlichkeit leidet und Korruption Einzug hält, wies er zurück.

Während Krah Behördenpersonal abbauen will, will Sozialdemokrat Homann welches einstellen. Dass manche Ämter lange für eine Entscheidung brauchen, liege oft auch daran, dass Leute fehlen, um die Arbeit zu machen. Für schnellere Entscheidungsprozesse müsse die kommunale Selbstverwaltung gestärkt werden. Ähnlich hörte sich das beim Linken-Abgeordneten Rico Gebhardt an. „Wir brauchen weniger Förderprogramme, sondern mehr Pauschalen.“ Damit könne in den Gemeinden vor Ort entschieden werden, wo öffentliches Geld hinfließt, ohne dass wie derzeit üblich eine prüfende Ministerialbürokratie zwischengeschaltet sei. Gebhardt sprach sich – wieder analog zu SPDler Homann – für eine andere Verwaltungskultur aus. Es brauche mehr Mut zu Entscheidungen. Auch Grünen-Politiker Gerd Lippold will, dass es für Bürokraten mehr Ermessensspielräume gibt, dass diese im Sinne der Bürger genutzt werden „und weniger zur eigenen Risikominimierung.“

Nach knappen zwei Stunden und kontroversen Diskussionen ums Thema Bürokratie sowie den zweiten Schwerpunkt des Abends (Bildung) verstreuten sich die Teilnehmer in der Nacht. Organisator Norbert Ehme zeigte sich etwas geknickt, dass die Debatte mit nicht mal 20 Gästen – viele davon (ehemalige) Gröditzer Stadträte – nur spärlich besucht war. Aus seiner Sicht eine vertane Chance – die sich bei der nächsten Podiumsdebatte 2019 nachholen lasse.