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Buchvorstellung wird zum Medienereignis

Lukas Rietzschel stellt seinen Debütroman in Görlitz vor. Er gilt als Schlüsselbuch für Sachsens Entwicklung.

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© Nikolai Schmidt

Von Sebastian Beutler

Görlitz. Der Berliner Ullstein-Verlag hat viel in dieses Buch investiert. Der Erstling von Lukas Rietzschel „Mit der Faust in die Welt schlagen“ soll ein Verkaufserfolg werden. Schon weit vor dem Sommer verschickte der Verlag Rezensionsexemplare, bot Kontakte zum Autor an, gab hilfreiche Pressemitteilungen heraus, organsierte Lesereisen. Viele haben das Angebot wahrgenommen: Hamburger Zeitschriften wie „Spiegel“ oder „Stern“ haben ihre Reporter und Literaturchefs nach Görlitz geschickt, viele Journalisten fuhren mit Rietzschel von Berlin über Hoyerswerda und das Kraftwerk Boxberg nach Görlitz. Cornelia Geißler von der „Berliner Zeitung“ bekannte nach der Reise als durchgehend roten Faden des Tages, sie habe einen Tag lang kaum Internetempfang gehabt.

Die Plätze in der kleinen Buchhandlung waren schnell belegt, so groß war das Interesse an der Buchvorstellung.
Die Plätze in der kleinen Buchhandlung waren schnell belegt, so groß war das Interesse an der Buchvorstellung. © Nikolai Schmidt

Doch nun ist das Buch auf dem Markt, und Lukas Rietzschel hat es für Deutschland am Freitagabend in Görlitz vorgestellt. In der Comenius-Buchhandlung auf der Steinstraße. Da war es eng und voll wie schon lange nicht mehr. Die ARD schickte auch noch ein Kamerateam, und dem erst 24-jährigen Schriftsteller blieb anfangs aus Rührung und Ergriffenheit über dieses Interesse erst einmal die Sprache weg. Krass sei das, schließlich habe er doch nur ein Buch geschrieben.

Eines allerdings, das von seinem Verlag und vielen anderen als „Buch der Stunde“ wahrgenommen wird. Es erzählt die Geschichte zweier Brüder, die in einem kleinen Ort in Sachsen aufwachsen und mit der Entwicklung nach der Wiedervereinigung konfrontiert werden: Mit Jobverlusten, Zukunftsängsten, Abwanderung. Dabei wächst eine Wut, die als Antriebskraft für Fremdenfeindlichkeit und Aggression gilt. Ein „Debütroman über das langsame Wachsen des Zorns in Sachsen“, nannte es der „Spiegel“ am Wochenende. Und in dieser Zeitung hieß es: „Lukas Rietzschel schreibt einen Roman über Frust und Zorn in der sächsischen Provinz: das Buch der Stunde.“ Es ist kein unbedingt optimistisches Buch, und Lukas Rietzschel hat sich gegenüber Journalisten auch kritisch über die Entwicklung in Sachsen geäußert. So habe Sachsen ein strukturelles Problem mit Rassismus und Rechtsextremismus, sagte er im Deutschlandfunk Kultur, in der „Berliner Zeitung“ warf er dem Görlitzer Kaufhaus-Investor Winfried Stöcker vor, frauen- und ausländerfeindlich zu sein. In seinem Buch aber urteilt er nicht, sondern beobachtet, erklärt, beschreibt. Er habe das Buch bereits 2017 beendet, der Ullstein-Verlag bestätigt, dass es ihm einen Tag nach der Bundestagswahl angeboten wurde. Einen Tag, nachdem die AfD stärkste Kraft bei der Bundestagswahl in Sachsen wurde und Michael Kretschmer sein Direktmandat an Tino Chrupalla an der Neiße verlor. Aber doch ein Jahr vor den Ereignissen von Chemnitz, durch die der Band aber besondere Aktualität erfährt. Nun lesen viele den Roman als ein Schlüsselbuch, das erklärt, warum es so kam. Rietzschel selbst, der aus Räckelwitz stammt, in Kassel und Görlitz studierte und in Görlitz lebt, erklärt lediglich, dass „sich sein Text wie bei jedem Buch vom Autor emanzipiert habe“. Und er keinen Einfluss darauf habe, was die Menschen daraus lesen.

Ob der Aufwand des Ullstein-Verlages tatsächlich das Buch zum großen Erfolg macht, wird man schon an diesem Wochenende sehen, wenn es erstmals auf der Bestseller-Liste des „Spiegel“ erscheinen könnte.

Wer Rietzschels Buchvorstellung am Freitag in Görlitz verpasst hat, hat heute die Chance, sich das Buch vom Autor signieren zu lassen. Und zwar von 12.30 Uhr bis 13 Uhr in der Comenius-Buchhandlung, Steinstraße.