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Bomben werden unberechenbarer

Luftbilder von 1945 verraten, wo Blindgänger liegen könnten. Heute danach zu graben, funktioniert aber nicht.

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Von Sandro Rahrisch

Die erste Angriffswelle dauert keine halbe Stunde. Insgesamt 900 Tonnen Sprengstoff warfen die britischen Lancaster-Bomber in der Nacht zum 14. Februar 1945 über Dresdens Innenstadt ab. Noch während die Überlebenden aus dem Stadtzentrum fliehen, dröhnt der Himmel abermals. Diesmal lassen die Piloten um die 1 500 Tonnen Spreng- und Brandbomben fallen. Nicht nur die Altstadt steht in Flammen. Es trifft auch Striesen, Strehlen, Gruna, Reick, Blasewitz, Loschwitz, Löbtau, die Südvorstadt, die Friedrichstadt und die Johannstadt. Viele Häuser brennen noch, als die Amerikaner am Tag darauf zu einer dritten Welle starten und noch einmal über 770 Tonnen Bomben abwerfen.

Am Messering im Ostragehege vermutet die Polizei einen Blindgänger. Das Bild vom April 1945 zeigt an dieser Stelle einen schwarzen Punkt. Foto: Angermann Luftbildservice GmbH
Am Messering im Ostragehege vermutet die Polizei einen Blindgänger. Das Bild vom April 1945 zeigt an dieser Stelle einen schwarzen Punkt. Foto: Angermann Luftbildservice GmbH

Die mit Kratern, Ruinen und Schützengräben übersäte Innenstadt hat Christian Angermann noch heute vor Augen. Er ist im Besitz von rund 60 Luftfotos, die im April 1945 – also zwei Monate nach dem Feuersturm – von den Alliierten aufgenommen wurden. Er hat sie hochauflösend gescannt und am Computer so aneinandergelegt, dass er das zerstörte Zentrum auf einem einzigen Bild überblicken kann. In der Fachsprache heißt das georeferenziert.

Eine Fläche von fünf mal fünf Kilometern sieht er auf seinem Bildschirm. Angermann erkennt auf den historischen Fotos auch jenen schwarzen Fleck zwischen Elbe und altem Schlachthof, von dem die Polizei nun vermutet, es könnte sich um einen Blindgänger handeln. Eine nicht explodierte Bombe, die seit über 70 Jahren zwei bis drei Meter tief in der Erde liegt. Versunken bei dem Aufprall auf den sandigen Boden.

Schwarze Punkte sind auf Angermanns Luftbild viele zu erkennen, im Großen Garten, im Ostragehege oder in einer Kleingartensiedlung an der Weißeritz. Wenn man nur nach dunklen Punkten auf den Aufnahmen suchen müsste, warum werden dann immer wieder eher zufällig scharfe Blindgänger entdeckt? Warum wird nicht überall dort nach Bomben gegraben?

Über die Fotografien verfügt auch der Kampfmittelbeseitigungsdienst. „Für uns sind die Aufnahmen ein wichtiger Bestandteil, wenn wir einen möglichen Bombenfund beurteilen sollen“, sagt Sprecher Jürgen Scherf. Ein Allheilmittel seien die Bilder jedoch nicht. Völlig uninteressant seien freilich die unzähligen Krater auf den Aufnahmen. Denn genau dort sind Bomben bereits detoniert. Die eigentliche Herausforderung sei es, die schwarzen Punkte zu finden und richtig zu deuten. „Man muss unterscheiden: Handelt es sich um den Eintrittspunkt einer Bombe, ein Wasserloch oder einen Bildfehler“, so Scherf.

Und das ist nicht die einzige Unsicherheit. Selbst wenn jeder Punkt ein Blindgänger wäre, so liegt er da heute möglicherweise nicht mehr oder er ist längst entschärft. „Noch während des Krieges ist die Stadt beräumt worden“, sagt Scherf. Trupps gingen durch Dresden, zogen die Zünder aus den Sprengkörpern, warfen sie in eine Grube und schütteten das Loch zu. Listen sind damals nicht geführt worden. Nicht zu vergessen seien die Blindgänger, die man nicht sieht, weil sie von zerstörten Häusern verschüttet wurden oder erst fielen, nachdem die Aufklärungsflugzeuge die Innenstadt fotografiert hatten. Die letzten Bomben gingen Ende April auf Dresden nieder. „Die Luftbilder sind für uns unverzichtbar, wenn wir einem Verdacht nachgehen wollen. Aber verlässliche Aussagen lassen sich ausschließlich aus diesem Material nicht ableiten.“ Großflächige Grabungen wären also kaum sinnvoll. Genauer untersucht wird erst, wenn ein Grundstückseigentümer das anfragt, weil er bauen will. Dann holen die Experten die Bilder hervor und rücken mit Metalldetektoren an.

Wie viele Blindgänger noch in der Erde liegen, weiß auch der Kampfmittelbeseitigungsdienst nicht genau. Es sei nicht einmal klar, ob die Flugzeug-Beladungslisten der Briten und Amerikaner, mit denen der Kampfmittelbeseitigungsdienst arbeitet, richtig sind. Selbst Experten streiten, wie hoch der Anteil der nicht detonierten Bomben ist. Von 10 bis 20 Prozent ist die Rede. Dass diese immer gefährlicher werden, könne man so allerdings nicht sagen. „Sie werden unberechenbarer“, so Scherf. Weil die Zünder rosten und sich die chemische Zusammensetzung des Sprengstoffs über die Jahrzehnte verändert habe. „Es kann sein, dass die Bomben gar nicht mehr explodieren. Es könnte aber auch sein, dass sie empfindlicher geworden sind.“

Für Christian Angermann sollten die bisher wenig verbreiteten Luftbilder noch einen anderen Nutzen haben. Die Aufnahmen, die erst zusammengesetzt die immense Zerstörung des historischen Dresdens zeigen, sollten als Kriegsmahnmal für die nachfolgenden Generationen verstanden werden, findet er. So etwas dürfe nicht nur den Entschärfern vorbehalten bleiben. Solche Fotos gehörten ins Museum. Außerdem wäre es an der Zeit, die Umweltschäden aufzuarbeiten, die entstanden, als Bomben auf Tanklager und Gasometer fielen auch in Dresden.