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Alarm im Chemiewerk

Die Staatsstraße ist dicht und mehr als hundert Kräfte im Einsatz – bei der Jahresübung der Wacker Chemie Nünchritz.

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© Sebastian Schultz

Von Antje Steglich

Nünchritz. Blaulicht und Sirenengeheul – kurz nach fünf am Dienstagnachmittag rückt die Werkfeuerwehr der Wacker Chemie AG Nünchritz in großer Zahl aus. Im Werkteil zur Herstellung von Polysilizium ist ein Stoff ausgetreten. Dunkler Rauch strömt aus einem der bunten Rohre nahe dem Werkszaun, Feuerwehrleute kommen angerannt. Auch die Johanniter sind bereits mit etlichen Rettungswagen vor Ort und bauen ein Zelt zur schnellen Versorgung der Verletzten auf. Fünf Mitarbeiter des Chemiewerkes müssen aus einem der Gebäude gerettet werden, während immer mehr Kräfte zur Jahresübung der Werkfeuerwehr anrücken.

Das Nünchritzer Werk der Wacker Chemie AG hat eine eigene Werkfeuerwehr, die einmal im Jahr mit den Feuerwehr- und Rettungskräften der Umgebung übt.
Das Nünchritzer Werk der Wacker Chemie AG hat eine eigene Werkfeuerwehr, die einmal im Jahr mit den Feuerwehr- und Rettungskräften der Umgebung übt. © Sebastian Schultz
Revierleiter Hermann Braunger (links) und Ronald Voigt vom Katastrophenschutz besprechen sich mit Wacker-Sprecherin Asta Tehnzen-Heinrich.
Revierleiter Hermann Braunger (links) und Ronald Voigt vom Katastrophenschutz besprechen sich mit Wacker-Sprecherin Asta Tehnzen-Heinrich. © Sebastian Schultz
Durchfahrt verboten, hieß es auf den Wechselverkehrszeichen, die unter anderem in Nünchritz, Leckwitz und am Elbradweg stehen.
Durchfahrt verboten, hieß es auf den Wechselverkehrszeichen, die unter anderem in Nünchritz, Leckwitz und am Elbradweg stehen. © Sebastian Schultz

„Dieses Mal wird ein ansteigendes Szenario simuliert“, sagt Unternehmenssprecherin Asta Tehnzen-Heinrich. Nebelmaschinen sorgen für den Rauch. Die Verletzten werden von Werkmitarbeitern nur gespielt. Trotzdem soll alles so echt wie möglich wirken, um den Ernstfall zu proben. So darf auch niemand mehr ins Werk. Außer den Rettungskräften.

Nur sechs Minuten, nachdem die Sirene die umliegenden Wehren alarmierten, treffen nun auch die ersten Kameraden der Nünchritzer Gemeindewehr in einem Transporter ein, eine Minute später folgt ein Löschfahrzeug aus Merschwitz. Die Warnung an alle Mitarbeiter des Chemiewerkes ist da längst raus. Sie dürfen die Gebäude nicht verlassen und müssen die Fenster geschlossen halten. Das Leck gilt als gefährlich, der Stoff wird zunächst mit Wasser niedergeschlagen.

Doch plötzlich gibt es nur ein paar Hundert Meter weiter das nächste Leck. Dieses Mal ist ein Tanklager im Polysilizium-Werk betroffen. Der Wind droht, die Gefahrstoffe auch über den Werkzaun hinauszutragen. Wieder gehen Sirenen. Nicht nur in Nünchritz, sondern dieses Mal auch in Zschaiten und Merschwitz und sogar auf der anderen Elbseite in Schänitz und Leutewitz.

Die Sprachdurchsage informiert über eine „Betriebsstörung“ bei Wacker und rät: „Holen Sie Ihre Kinder sofort ins Haus! Suchen Sie zu Ihrem Schutz ein geschlossenes Gebäude auf! Schließen Sie Fenster und Türen.“ Zu diesem Zeitpunkt wird auch die Meißner Straße, die direkt am Chemiewerk vorbeiläuft, gesperrt. Die großen Verkehrstafeln blinken und zeigen ein großes Durchfahrtsverbot an. Es ist beinahe 17.45 Uhr – und noch immer rücken Wehren aus der Umgebung an und heulen immer wieder die Sirenen. Dutzende Schaulustige säumen mittlerweile die Straße, vor allem Familien und Kinder verfolgen das Spektakel. Auch eine Jugendfeuerwehr aus der Gemeinde Stauchitz ist angereist.

Die Polizei hat sich derweil auf dem Parkplatz am Klärwerk der Wacker Chemie postiert – und hat alle Hände voll zu tun. Jedes Fahrzeug, das die Sperrung der S 88 ignoriert, wird rausgezogen. 20 Euro sind jedes Mal fällig. So mancher sieht das nicht ein.

20 Euro Strafe für Verkehrssünder

„Ich habe das Schild nicht gesehen“, sagt zum Beispiel ein Motorradfahrer aus Mühlberg. Es habe eine Traube Menschen an der Einfahrt zur Justus-von-Liebig-Straße gestanden, so dass er abgelenkt gewesen sei. Der Mühlberger fühlt sich zu Unrecht bestraft und diskutiert lange mit Riesas Revierleiter Hermann Braunger und seinen Kollegen von der Bereitschaftspolizei. Schließlich sei es sein ersten Vergehen in den drei Jahren, seit er stolzer Motorradfahrer ist. Doch um die Strafe kommt er nicht herum. Genauso wenig wie die anderen Verkehrssünder: 14 Fahrzeuge, vier Radfahrer und ein Gabelstapler sind es, bevor die Sirenen 15 Minuten später die „Entwarnung“ verkünden.

Das ist insgesamt weniger als vor zwei Jahren, bilanziert Revierleiter Braunger. Vor allem aus Richtung Nünchritz haben sich die meisten Fahrer vorbildlich verhalten und noch vor dem Wechselverkehrszeichen gewendet, beziehungsweise sind sie in die Von-Liebig-Straße abgebogen.

Von dem dritten Zwischenfall im Werk haben sie schon nichts mehr gesehen. Doch auch hier gibt es Verletzte. Die Zahl summiert sich am Ende auf zwölf, sagt Asta Tehnzen-Heinrich. Etwa 110 Kräfte sind an der Übung beteiligt. Und auch wenn die Meißner Straße wieder offen ist und der Verkehr fließt, ist für sie der Einsatz noch lange nicht beendet. Nach der Übung muss zusammengepackt und ausgewertet werden. Und das wird durchaus noch einige Tage dauern. Denn es geht bei solchen Übungseinsätzen nicht nur darum, wie gut und schnell die Wehren und Rettungskräfte zusammenarbeiten, sagt Ronald Voigt vom Katastrophenschutz des Landkreises Meißen. Auch die Reaktionen der Nachbarn werden an diesem Nachmittag protokolliert – und mit entscheiden, in welchem Umfang die nächste Jahresübung der Werkfeuerwehr stattfindet.