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Wie gefährlich sind die Leipziger Autonomen?

Seit den G20-Krawallen sind sie im Fokus. Doch in der Stadt ist es ruhiger geworden.

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© Archivbild/dpa

Von Violetta Kuhn

Das mit Stacheldraht bewehrte Eingangstor zu Leipzigs autonomem Zentrum ist angelehnt. Von einer Wand lächelt ein Graffiti-Polizist. Und zwei dunkel gekleidete Männer erklären freundlich, dass sie derzeit nicht mit Journalisten sprechen möchten. Einen bedrohlich militanten Eindruck hinterlässt das Black Triangle, ein autonomes Kulturprojekt auf einem besetzten Gelände im Süden von Sachsens größter Stadt, auf den ersten Blick nicht.

Doch die linke Szene der sächsischen Stadt gilt bei Verfassungsschutz und Polizei als besonders gefährlich. Und spätestens seit Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) nach der G20-Randale in Hamburg laut darüber nachdachte, Szenetreffs im südlichen Stadtteil Connewitz zu schließen, gilt Leipzig vielen in Deutschland als linke Hochburg.

Von 300 bis 350 Linksextremen in Leipzig ging der sächsische Verfassungsschutz zuletzt aus. Die Stadt sei der Schwerpunkt der Autonomen im Land und habe das stärkste gewaltbereite Potenzial. Zum Vergleich: Im knapp sechsmal so großen Berlin gibt es nach Behördenangaben etwa dreimal so viele Linksextreme: 970.

Nun droht die Räumung des Black Triangle, die Leipziger Szene ist in Aufruhr. Das Gelände zwischen Gleisen und Schrebergärten ist seit gut einem Jahr von Linken besetzt, es gehört der Deutschen Bahn. Die will es zurück und klagt vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe.

Eine Entscheidung kann jeden Tag fallen, wann genau, steht nach Angaben des Gerichts nicht fest. Linksextreme verübten im Juli einen Farbanschlag auf ein Leipziger Polizeirevier und bekannten sich auf der Plattform Linksunten dazu. „Die Zeiten stehen also auf Sturm“, schrieben anonyme Verfasser – und riefen zu noch mehr Zerstörungen auf. „Ich glaube, wenn die das Black Triangle räumen, das wird nicht lustig“, sagt einer, der selbst in der linken Szene unterwegs ist, bei einem Treffen in der Innenstadt. Sein Name soll geheim bleiben. Falls das autonome Zentrum dichtgemacht werde, komme für Proteste sicher Unterstützung aus Städten wie Halle und Berlin, sagt der 30-Jährige.

Ob sich die Polizei derzeit auf mehr linke Aktionen einstelle? Auch wegen des jüngsten Linksunten-Verbots oder der ersten strengen Urteile gegen G20-Randalierer? Ein Sprecher der Polizei erklärt, die Beamten rechneten ohnehin seit Jahren „an jedem einzelnen Tag“ mit linksextremen Aktionen. Angezündete Fahrzeuge, mit Bitumen bespritzte Häuser, „Hausbesuche“ bei politischen Gegnern oder Angriffe auf Polizeiobjekte überraschten in Leipzig niemanden mehr wirklich.

Connewitz als Treff der Szene

Einen Höhepunkt linksextremer Gewalt gab es im Dezember 2015, als Vermummte im Süden der Stadt ganze Straßenzüge verwüsteten. Auslöser für die Krawalle war eine Demonstration von Neonazis. Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) sprach von „offenem Straßenterror“. Im Januar desselben Jahres attackierten Dutzende Vermummte die Connewitzer Polizeiwache mit Pflastersteinen.

Zuletzt ist es nach Angaben des sächsischen Verfassungsschutzes um die Linken in Leipzig etwas ruhiger geworden. Die Zahl rechter Demonstrationen sei gesunken und damit auch die der linksextremen öffentlichen Aktionen. 2016 gab es demnach 57 linksextreme Gewalttaten, weniger als ein Drittel der Vorjahreszahl.

Doch immer noch beschreibt der Verfassungsschutz Leipzig als „Brennpunkt linksextremistischer Gewalt“. „Wir sind halt eine geballte Kraft“, sagt der 30-jährige Linke auf dem Platz in Leipzigs Zentrum. Ob er verstehe, dass die Szene als gefährlich gelte? Nein, sagt er. „Na klar, wir haben ein paar Spinner. Aber wenn nicht gerade Demo ist, dann lassen sie die Polizei ja meistens auch in Ruhe.“

Ohnehin sei häufig die Polizei Schuld, wenn Demonstrationen eskalierten. Statt normal mit den Teilnehmern zu reden, schubsten die Beamten sie. Wie auch immer: Connewitz sei fest in linker Hand.

Im Alltag, zwischen hippen Cafés und bürgerlich wirkenden Wohnhäusern, ist davon nicht viel zu merken. Leipzigs Oberbürgermeister lebt hier. Auffällig ist aber: An Hauswänden reihen sich die „No Cops“- und „Kill Cops“-Graffiti aneinander. Leipzigs Polizeipräsident Bernd Merbitz sagte kürzlich, rechtsfreie Räume seien entstanden, Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) nannte Leipzig ein „linkes Biotop“.

Die Linken-Politikerin Juliane Nagel, die den Süden Leipzigs in Sachsens Landtag vertritt, sieht das als Kompliment. „Na klar ist Leipzig ein Biotop für Linke, und das ist nichts Schlimmes“, erklärt sie. Menschenfeindliche Gruppierungen wie der Leipziger Pegida-Ableger hätten wegen der breiten antifaschistischen Bewegung in der Stadt nicht derart Fuß fassen können wie in anderen Orten Sachsens.

Zur Gewaltfrage gebe es in der Szene verschiedene Meinungen. „Dass es immer wieder Beschädigungen von Sachen gibt, auch politisch motiviert, ist nicht schön, aber ist ein Phänomen gerade urbaner Räume. Und damit kein Spezifikum von Leipzig.“ Sie selbst distanziere sich immer wieder von gezielter linker Gewalt, sagt Nagel. Dass rechtsfreie Räume entstanden seien, stimme nicht. Slogans wie „No cops“ seien nicht einmal strafrechtlich relevant. (dpa)