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Vorliebe für kleine Jungen

Mehr als 17 Jahre seines Lebens hat ein Meißner Kinderschänder im Gefängnis verbracht. Jetzt soll er sich wieder vergangen haben.

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© Claudia Hübschmann

Von Jürgen Müller

Meißen. Er tut es immer wieder, vergeht sich an Kindern und Jugendlichen, vorwiegend an Jungs. 17 Jahre und acht Monate seines Lebens hat der 55-jährige Meißner schon hinter Gittern verbracht, meist wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern. Nachdem er seine erste Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten vollständig abgesessen hatte, stand er unter Führungsaufsicht. Zunächst für vier Jahre, dann wurde diese unbefristet verlängert. Seit einiger Zeit trägt er eine elektronische Fußfessel. Das Landgericht Dresden wies schon vor sechs Jahren an, das der Mann keinerlei Kontakte zu unter 18-Jährigen haben, sie insbesondere nicht beherbergen und beschäftigen darf. Doch er hält sich nicht daran.

Schon in der DDR saß er wegen Staatsgefährdung im Gefängnis. Nach einer gescheiterten Republikflucht kommt er wieder in Haft, wird schließlich in die Bundesrepublik abgeschoben. Doch macht er erst mal einen Bankraub, bekommt dafür fünf Jahre und sechs Monate Gefängnis. Später wird er insgesamt sechsmal wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt.

Erst im vergangenen Jahr erhielt er in Meißen eine Haftstrafe von einem Jahr und acht Monaten, weil er einen geistig behinderten Jungen in einer Dresdner Wohnung missbraucht haben soll und zudem mehrfach gegen Weisungen während der Führungsaufsicht verstieß. Das Landgericht sah den Missbrauch im Berufungsprozess jedoch als nicht erwiesen an und änderte das Urteil ab, verurteilte ihn nur wegen Verstoßes gegen Weisungen zu einem Jahr Haft auf Bewährung.

Und nun sitzt er wieder in Meißen vor Gericht. 31 Verstöße gegen Weisungen während der Führungsaufsicht wirft ihm die Staatsanwältin vorher. So sollen in seiner Meißner Wohnung 14- bis 18-jährige Jugendliche, vorzugsweise Jungen, längere Zeit gewohnt haben. Dabei soll er sie mehrfach am Oberschenkel gestreichelt haben. Er soll darauf bestanden haben, von den Kindern mit „Papa“ angesprochen zu werden.

Ein Junge, der vier Wochen bei dem Angeklagten wohnte, weil ihn seine Mutter rausgeschmissen hatte, schlief mit im Doppelbett. Er sollte sich nackt ausziehen, was dieser aber ablehnte. Während der Junge schlief, soll er ihm fünfmal in die Hose gegriffen haben. Das streitet der Angeklagte ab. „Ich habe ihn nicht angefasst.“ Auch von Sprachnachrichten mit Inhalten wie „Mein kleines Schnuckelchen, wo bist du jetzt“, will er nichts wissen. „Ich hatte den Eindruck, dass mehr vorgefallen ist, als der Zeuge erzählt hat“, sagt die Kriminalistin, die den Jungen vernommen hatte.

Die Jungen haben bei dem Angeklagten gewohnt, weil sie dort rauchen und Alkohol trinken konnten, Ruhe vor ihren Eltern hatten. Meist sind es Förderschüler, stammen aus sozial schwachen Familien. Die Fußfessel trage er, weil er im Krieg mal ein Dorf ausgelöscht oder weil er jemanden umgebracht habe, erzählte er den Jungen, wenn diese nachfragten. Dass er sie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern trägt, sagte er nicht.

Dass er gegen Weisungen verstieß, gibt der Angeklagte zu. Doch sexuell missbraucht haben will er die Jungen nicht. Er habe dem Jungen nur in die Hose gefasst, um zu „prüfen“, ob er eingenässt habe, sagt er. Denn dieser sei Bettnässer gewesen. Der Junge hingegen sagt, dass ihm der Angeklagte „einen runtergeholt“ habe, während er schlief. Bei der Polizei hatte er das damals allerdings nicht angegeben.

Diese Tat ist dem Angeklagten aufgrund der Zeugenaussage nicht nachzuweisen. Hinzu kommt, dass der Zeuge den Angeklagten auch wegen Unterschlagung anzeigte, weil dieser Sachen und ein Fahrrad nicht herausrückte. Wollte sich der Zeuge dafür rächen? Für Staatsanwältin Yvonne Birke lässt sich auf die Aussagen des Zeugen keine Verurteilung wegen sexueller Nötigung stützen. Dass der Junge duschen musste und dabei die Duschtür nicht schließen durfte, sei zwar eine „missliche Situation“ gewesen, aber keine Straftat. Auch die Berührungen am Oberschenkel hätten die Schwelle zur Sexualstraftat nicht überschritten.

Es bleiben also noch die 31 Verstöße gegen die Weisungen während der Führungsaufsicht. Nur ein Jahr nach der letzten Haftentlassung sei der Angeklagte wieder in alte Verhaltensweisen verfallen. Er habe die angespannte familiäre Situation der Jungen ausgenutzt, um sie in seine Wohnung zu locken. Sie fordert eine Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Darin einbezogen werden soll das Urteil des Landgerichtes Dresden von einem Jahr.

Verteidiger Carl-Christian Roß sieht das anders. „Mein Mandant wurde ohne jegliche Therapie aus der Haft entlassen. Er ist krank. Was sollte sich bei ihm ohne Behandlung geändert haben?“, fragt er. Der Angeklagte sei sozial isoliert, jeder Erwachsene meide ihn. Deshalb suche er soziale Kontakte zu Leuten, die seine Vergangenheit nicht so genau hinterfragten. Wegen der Fußfessel werde er von der Agentur für Arbeit nicht vermittelt. Durch die totale Vereinsamung flüchte er sich in den Alkohol.

Zumindest dieses Problem will der Mann, der täglich zehn Flaschen Bier trinkt, jetzt angehen. „Wenn ich Alkohol trinke, komme ich auf dumme Gedanken. Man kann sein Problem nicht ersäufen, sondern muss sich ihm stellen“, gibt sich der gebürtige Dessauer geläutert. Zudem geht er zur Suchtberatung, will einen Entzug und eine Therapie machen. Außerdem sucht er regelmäßig eine Beratungsstelle für Sexualstraftäter auf, hält zuverlässig Kontakt zu seinem Bewährungshelfer.

Das Schöffengericht verhängt wegen 31 Verstößen gegen Weisungen während der Führungsaufsicht eine Haftstrafe von zwei Jahren, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wird. Als Auflage muss er eine Alkoholentwöhnung- und -therapie machen, darf diese nicht ohne Zustimmung des Gerichtes abbrechen. Wegen der sexuellen Nötigung wird der Angeklagte freigesprochen. Das Gericht würdigt in dem Urteil das Geständnis, wodurch vielen Zeugen eine Aussage erspart wurde und auch die Tatsache, dass die letzte Sexualstraftat fast sieben Jahre zurückliegt. „Wir sind mit dem Urteil in Vorleistung gegangen, jetzt müssen Sie liefern“, so der Vorsitzende Richter Andreas Poth.

Eines ist klar: Vergreift sich der 56-Jährige wieder an Jungs, droht ihm Sicherungsverwahrung. Dann wird er möglicherweise für den Rest seines Lebens weggesperrt. Das hatte ihm der Richter schon im vergangenen Jahr angedroht.