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„Vielleicht kommt er ja jetzt zurück“

Die Oberlausitz ist Stanislaw Tillichs Heimat. Hier hat er viel Rückendeckung. Es gibt aber auch Enttäuschte.

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© René Plaul

Von Sebastian Kositz

Geografisch betrachtet leben die Menschen im kleinen Dorf Neudörfel mittendrin. Sogar einen großer Stein mit einer Plakette wurde deshalb im Ortszentrum aufgestellt. Neudörfel, 170 Einwohner, gut 20 Kilometer nordwestlich von Bautzen, ist der Mittelpunkt des Landkreises. Und Neudörfel hat eine weitere Attraktion. Darauf wird sogar schon an einem Schild am Ortseingang verwiesen. Neudörfel, das ist nämlich auch der Geburtsort des Noch-Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU).

Dafür, dass der Ort im Zentrum des Kreises liegt und der wohl bekannteste Sohn des kleinen Ortes nach seinem Rücktritt umso mehr im Fokus der Debatte steht, herrscht dort nur einen Tag nach der überraschenden Ankündigung Tillichs hinzuwerfen, eine große Gelassenheit. Katzen tippeln über die leeren Straßen, verschwinden in gepflegten Vorgärten schicker Wohnhäuser. Nur ab und an rauscht ein Auto über die schmale Dorfstraße, Menschen sind gar nicht zu sehen. Wer Kontakt will, muss an einer der Haustüren klingeln. Beispielsweise bei Nikolaus Dürlich.

Nikolaus Dürlich ist Holzbildhauer. Er fertigt Holzkreuze, wie sie sich überall im Siedlungsgebiet der Sorben finden lassen – an Straßenkreuzungen, in Gärten. Bereits zu DDR-Zeiten hat er das Handwerk ausgeübt. Und er kennt natürlich wie alle anderen im Ort auch Stanislaw Tillich. Er kann sich daran erinnern, wie der Ministerpräsident als kleiner Junge Fußball gespielt hat und Stanislaw Tillich später in den 1980er-Jahren für den Rat des Kreises in Kamenz gearbeitet hat. Als ruhigen und bescheidenen Jungen habe Nikolaus Dürlich den fünf Jahre jüngeren Stanislaw Tillich erlebt. Und er hat noch die „Bild“-Zeitung von dem Tag im April 2008, als der bescheidene Junge aus Neudörfel als neuer Ministerpräsident verkündet wurde. „Wir waren froh, dass es einer von hier, vor allem einer aus dem Osten war“, sagt Nikolaus Dürlich.

Der Holzbildhauer spricht ruhig, sehr besonnen. Auch der Rücktritt des Ministerpräsidenten verleitet ihn nicht zu sonderlicher Aufgeregtheit. „Das war abzusehen“, sagt Nikolaus Dürlich. Stanislaw Tillich sei privat ein „super Mensch, für die Politik allerdings zu weich.“ Als Ministerpräsident habe er es immer allen recht machen wollen, nie eine klare Linie gehabt. So besteht kein Politiker, glaubt Nikolaus Dürlich. Und dazu sei noch der Frust der Menschen gekommen. Mit der Hand zeigt er die Straße hinauf in Richtung Räckelwitz, wo Neudörfel dazugehört. „Dort ist doch nichts mehr. Die Kneipe ist zu, das Krankenhaus ist weg, die Landärzte sind gegangen.“

Bis April 2015 in Panschwitz gewohnt

Schon kurz nach seiner Geburt war Stanislaw Tillich in ein damals neu gebautes Haus im benachbarten Panschwitz-Kuckau gezogen. Dort hatte er bis zu seinem Umzug im April 2015 gewohnt, auch als Ministerpräsident. In einer kleinen, schmalen Straße, am südwestlichen Ortsrand. Inzwischen steht das Haus mit der im satten Orange gestrichenen Fassade zum Verkauf. „Vielleicht kommt er ja jetzt zurück“, sagt ein Mann, der es sich am Vormittag mit einer Tasse Kaffee an einem Tisch in einer Bäckerei bequem gemacht hat. Ein Satz, der keineswegs sarkastisch gemeint ist.

Direkt hinter dem Elternhaus, dass Stanislaw Tillich jetzt für rund 217 000 Euro loswerden will, steht ein kleiner Wohnblock. Keine fünf Meter vom Gartenzaun der Familie Tillich entfernt, streicht ein älterer Herr gerade eine Holzkonstruktion. „Mir tut es sehr leid, dass er gehen muss“, sagt der rüstige Rentner. Oft habe er sich mit seinem prominenten Nachbarn direkt am Gartenzaun unterhalten. Selten bis gar nicht über Politik, eher ganz privat.

„Klar hat er im Umgang mit der AfD einen Fehler gemacht“, erklärt der Senior, der seit den 1950er-Jahren in der Nachbarschaft wohnt. Aber Stanislaw Tillich habe eben auch vieles richtig gemacht. „Mir geht es doch gut“, sagt der Mann mit einem zufriedenen Lächeln. Und es gebe eben Probleme, da kann auch ein Ministerpräsident nichts machen. Der Mann verweist als Beispiel auf den Gehweg vor dem Wohnblock. Bereits seit Jahren ist der in einem desolaten Zustand. Bei der Gemeinde ist der Mann deshalb immer wieder abgeblitzt. „Aber was kann denn da der Ministerpräsident dafür?“, fragt der Rentner.

Tatsächlich hört man im direkten früheren Wohnumfeld des Ministerpräsidenten viel Gutes über den 58-Jährigen. Was allerdings nicht heißt, dass es nur Gutes ist. Nur wenige Meter weiter werkeln ebenfalls ein älterer Herr und seine Frau in einem Garten. „Kein Kommentar“, sagt der Mann, während die Frau nur abwinkt. „Er hat hier zwar gewohnt. Ein Nachbar war er aber nicht“, gibt der Mann den fragenden Journalisten noch mit auf den Weg.

Enttäuschung ist herauszuhören

Doch auch in Stanislaw Tillichs Geburtsort Neudörfel ist offenbar nicht alles eitel Sonnenschein. An einigen Eingangstüren blocken die Leute freundlich ab. Denn schließlich kennt in dem Dorf jeder jeden. Zaghaft und hinter vorgehaltener Hand lässt sich dann aber auch Enttäuschung heraushören.

Erst im Sommer hatten die Menschen in Neudörfel das 400. Jubiläum des Ortes gefeiert. Ein großes Programm hatten sie auf die Beine gestellt, sogar einen Festumzug. Und auch Stanislaw Tillich sei eingeladen worden, vorbeizuschauen in dem Dorf, das sich nach außen hin gut sichtbar und stolz als Geburtsort des sächsischen Landesvaters anpreist. Nur: Stanislaw Tillich kam nicht. Ohnehin sei der bekannteste Bewohner des Ortes in den vergangenen Jahren immer seltener nach Neudörfel gekommen. Und wenn er mal da war, bei privaten Geburtstagsfeiern etwa, habe er lieber über Fußball und Gott und die Welt gesprochen. „Nur von Politik habe er meist nichts wissen wollen“, heißt es.

Dass er vor einem Jahr auch noch nach Dresden gezogen ist, dort in einem Penthouse im Nobelviertel Weißer Hirsch lebt und jetzt sein Elternhaus verkaufen will, kommt indes auch nicht bei allen gut an. Und auch wenn es niemand so sagt – so lässt sich bei einigen durchaus eine Art Verdruss darüber entnehmen, dass sich Stanislaw Tillich aus ihrer Sicht von der sorbischen Heimat abgewendet hat.