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Ungewissheit vor jeder Fahrt

Die chaotische Lage auf dem Budapester Ostbahnhof wird zur Belastungsprobe für die Bundespolizei in Dresden. Eine Einsatzbegleitung.

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© Robert Michael

Von Christoph Farkas

Es ist kurz vor halb fünf am Nachmittag, als sich Katja Langeleist und Heiko Seddig am Bad Schandauer Bahnhof die Ohren zuhalten. Der rot-blaue Eurocity aus Budapest bremst immer schriller, bis er zum Halten kommt. Sie öffnen die Tür am Zugende und steigen ein. 28 Minuten bis Dresden.

Langeleist und Seddig sind Beamte der Bundespolizei, Inspektion Dresden. Sie kontrollieren die europäischen Fernverkehrszüge, die aus Bratislava über die Grenze kommen, aus Prag oder Budapest. Sie fahnden nach Kriminellen, Drogen- oder Waffenschmugglern. Sie schauen außerdem, wie es offiziell heißt, nach „Personen, die ohne erforderliche Dokumente in die Bundesrepublik Deutschland einreisen“. Das heißt: nach Flüchtlingen. In den letzten Tagen konzentriert sich ihre Arbeit vollständig darauf. Seit Wochenbeginn sind Tausende Flüchtlinge aus Budapest mit der Bahn Richtung Westen unterwegs. Am Dienstag und Mittwoch stellten Seddig, Langeleist und ihre Kollegen 128 Flüchtlinge fest, vor allem Syrer, aber auch Menschen aus Afghanistan, Pakistan, Irak, Bangladesch und Myanmar. So viele in kurzer Zeit waren es zuletzt in den Neunzigern.

Die beiden Bundespolizisten beginnen die Kontrolle. Es ist warm und stickig im Zug. Privat fahren die Polizisten fast nie Bahn. Sie öffnen Toilettentüren, inspizieren den ersten Großraumwagen. Junge, blonde Menschen hängen auf den Sitzen. Einen asiatisch aussehenden Mann spricht Langeleist an. „Guten Tag, Bundespolizei, ihre Passdokumente bitte, Passport please.“ Der Mann zeigt seinen amerikanischen Pass, weiter geht es. Viele Menschen im Zug nicken den Beamten zu, lächeln. Eine ältere Frau steht vor einer Abteiltür und sagt: „Hinter mir sind keine.“

Sie wecken zwei schlafende junge Männer mit, so Langeleist, „auffallend wenig“ Gepäck. Ein Pakistani und ein Franzose. Sie machen Urlaub in Prag und fahren für eine Nacht nach Berlin, sagen sie. Katja Langeleist besieht die Pässe, hält sie gegen das Sonnenlicht, prüft sie mit ihrer UV-Lupe. Heiko Seddig lässt per Handy bei Interpol die Personalien prüfen. Die Verbindung ist schlecht, bricht ab. Elbsandsteingebirge. Mit dem Funkgerät, das ein wenig besser funktioniert, sagen die Kollegen durch: Alles ok. Die Bundespolizei wünscht eine gute Reise.

Die Arbeit ist stressig in den letzten Tagen. Informationen über massive Verspätungen und mögliche Zahlen von Flüchtlingen an Bord kommen nur kurzfristig. Ungewissheit vor jeder Fahrt. Die meisten Flüchtlinge kamen in den Nachtzügen, viele Frauen und Kinder waren dabei. Sie wollen immer zuerst wissen, in welchem Land sie jetzt sind. Sie sind erleichtert, wenn die Polizisten antworten: Deutschland. Viele wollen weiter nach Hamburg, Berlin, Skandinavien, doch ihre Fahrt endet vorerst in Dresden. Dort werden sie bei der Polizei registriert und mit Essen versorgt, ehe sie nach Chemnitz zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fahren. Von dort werden sie auf die Heime verteilt.

Seddig und Langeleist kontrollieren noch einen Syrer mit Lackschuhen, der eine gültige bulgarische Aufenthaltserlaubnis hat, und ein Cappuccino trinkendes arabisches Paar im Speisewagen. Keine Flüchtlinge an Bord. Minuten später erreicht der Zug Dresden, Gleis 17. Normalerweise würden sie jetzt direkt wieder nach Bad Schandau fahren, zum nächsten Eurocity. Doch der verspätet sich um drei Stunden: Es war Chaos am Morgen in Budapest.