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Trauben und Löcher im Weinberg

Das einstige Vorzeigeobjekt wird nur noch auf Sparflamme gehalten, die Stadt Meißen scheint ihren Weinberg vergessen zu haben.

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© Claudia Hübschmann

Von Udo Lemke

Meißen. Großer Bahnhof mit Oberbürgermeister, Winzerprominenz, Presse, und die sächsische Weinkönig selbst zerdrückt die Müller-Thurgau-Trauben, um den Oechsle-Gehalt zu bestimmen. Das waren noch Zeiten: Vor ziemlich genau zwei Jahren wurde die Weinlese der Winzergenossenschaft am Meißener Stadtweinberg Steinberg eröffnet.

Dabei ist Vorsicht geboten, denn an zwei Stellen sind die Weinbergsmauern eingebrochen.
Dabei ist Vorsicht geboten, denn an zwei Stellen sind die Weinbergsmauern eingebrochen. © Claudia Hübschmann

Und heute? Es ist, als habe der schleichende Verfall von der gegenüberliegenden Bienenwirtschaft und der Reichmühle auf den Steinberg übergegriffen. Die beiden jeweils etwa drei Meter breiten Löcher in den Weinbergsmauern der vierten und der fünften Terrasse, über die die SZ im Februar berichtet hatte, klaffen nach wie vor. Mehr noch, Regen und Wind haben sie weiter vergrößert.

„Die ganze Ecke hier hinten vergammelt, keinen interessiert’s, keiner tut etwas.“ Andreas Schmidt macht keinen Hehl aus seinem Ärger. Er sieht nicht nur die beiden großen Einbrüche in den Weinbergsmauern, er sieht auch, „dass die Mauern gepflegt werden müssten, sie müssten im Winter ausgezwickelt werden, denn es fallen immer Steine heraus, denn der Berg drückt ja“. Allerdings ist eine solche Pflege weit und breit nicht in Sicht. Über zwei Jahrzehnte wurde der Steinberg mit beträchtlichem Aufwand zu dem aufgebaut, was er heute immer noch ist: ein Kleinod der sächsischen Winzertradition, mitten im Stadtgebiet von Meißen.

Doch nun sind alle Förderprogramme ausgelaufen, Schmidt ist der letzte und einzige beim Verein Gemeinnütziger Sozialer Förderkreis angestellte Arbeiter im Weinberg. „Ich bin schon froh, dass ich die Reben in Ordnung halte, da kann ich nicht noch an den Mauern herumklopfen.“ Schmidt, der davon spricht, in zwei Jahren in Rente zu gehen, hat einen Hektar extremer Steillage allein zu bearbeiten. Wie viele Tausend Treppenstufen – teils schwer beladen – er im Jahr steigen muss, lässt sich erahnen, wenn man weiß, dass der Steinberg acht Terrassen mit bis zu vier Meter hohen Trockenmauern hat, auf denen Dornfelder, Müller-Thurgau, Portugieser, Riesling, Traminer oder Weißburgunder gedeihen, an insgesamt rund 2 000 Weinstöcken.

„Wir wollen den Weinberg auf jeden Fall halten“, erklärt Andrea Fink vom Verein Gemeinnütziger Sozialer Förderkreis (GSF). Seit Mai versuche sie, über das Jobcenter ein entsprechendes Projekt gefördert zu bekommen. Sie erklärt, dass der Verein unmöglich die eingefallenen Mauern reparieren könne, dafür fehlten sowohl Personal als auch das nötige Geld. Außerdem sei die GSF nur Pächter bei der Winzergenossenschaft, die den Steinberg ihrerseits von der Stadt gepachtet habe. Letztlich müsse die Stadt für die Reparatur ihres Schauweinberges selbst aufkommen.

Bei der Stadtverwaltung fühlt sich allerdings niemand zuständig für den Steinberg. Auch nach einer Woche gibt es keine Antwort auf die Frage, was denn nun mit den kaputten Mauern werden soll, wer und wann sie repariert werden sollen. Aus der Stadtverwaltung kommt der Hinweis, sich doch an die GSF zu wenden. Diese ihrerseits wartet, so Bereichschefin Fink, dringend auf ein Zeichen der Stadt, wie es denn nun weiter gehen soll: „Von der Stadt wünschen wir uns, dass sie sich einmal klar äußert.“

Andreas Schmidt bereitet indes die Lese im Steinberg vor. Er pflückt ein paar gelbliche Solaris-Trauben und versichert: „Die haben hundert Oechsle.“ Das wäre ein Spitzenwert. Beim Steinberg möglich, denn er gilt als der wärmste Weinberg Sachsens.

Was die Weinlese betrifft, so versucht die GSF derzeit, ehrenamtliche Helfer zu finden.