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Todesfahrer muss ins Gefängnis

Eine Radfahrerin wird in Coswig von einem Audi erfasst. Sie stirbt im Krankenhaus. Der Fahrer hatte drei Promille. Um 6.30 Uhr.

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© Archiv/Roland Halkasch

Von Jürgen Müller

Meißen. Es ist mucksmäuschenstill im Saal 1 des Meißner Amtsgerichtes am Dienstagnachmittag, als eine Rechtsmedizinerin über die schweren Verletzungen einer 55-jährigen Frau spricht, die sie am 21. September vorigen Jahres bei einem Verkehrsunfall in Coswig erlitt. Zwei Wochen später starb sie in der Universitätsklinik in Dresden an den Folgen der Verletzungen.

Völlig demoliert wurde das Fahrrad. Ein Sachverständiger stellte fest, dass das Rücklicht eingeschaltet war.
Völlig demoliert wurde das Fahrrad. Ein Sachverständiger stellte fest, dass das Rücklicht eingeschaltet war. © Archiv/Roland Halkasch
Das Foto zeigt, mit welcher Wucht die Frau gegen das Auto geschleudert wurde und die Frontscheibe durchschlug.
Das Foto zeigt, mit welcher Wucht die Frau gegen das Auto geschleudert wurde und die Frontscheibe durchschlug. © Archiv/Roland Halkasch
Im Pkw fanden die Polizisten zwei leere Schnapsflaschen.
Im Pkw fanden die Polizisten zwei leere Schnapsflaschen. © Archiv/Roland Halkasch

Der Gutachterin gegenüber sitzt ein 35-jähriger Mann. Er hat ein Menschenleben auf dem Gewissen, ist der Unfallverursacher. Wenn im Straßenverkehr bei einem Unfall ein Mensch getötet wird, reagiert die Justiz meist mit Geldstrafen. Denn ein Unfall ist nun mal ein plötzlich eintretendes, nicht vorhersehbares, oft unabwendbares Ereignis. Aufgabe eines Gerichtes ist es nun, die jeweilige Schuld des Verursachers festzustellen. Und die ist oft gering, so schwer auch die Folgen für die Opfer und deren Angehörige sind.

Doch hier ist alles anders. Schon die Tatsache, dass sich das Schöffengericht mit dem Fall beschäftigt, zeigt, dass der Angeklagte schwere Schuld auf sich geladen hat und mit einer Haftstrafe rechnen muss. Seine Schuld besteht vor allem darin, dass er sich total betrunken ans Steuer seines Audi setzte. Zwei Stunden nach dem Unfall hatte er immer noch einen Blutalkoholwert von 2,82 Promille. Zum Unfallzeitpunkt waren es demnach mindestens 3,05 Promille.

Und es kommt noch schlimmer. Als sich der Mann um 4.30 Uhr an jenem Tag in Coswig ins Auto setzte und zur Arbeit nach Nossen fuhr, hat er einen Wert von mindestens 3,25 Promille gehabt. In Nossen angekommen, stellt er fest, dass er einen so mächtigen „Kater“ hat, dass er nicht arbeiten kann. Doch Autofahren kann er noch, glaubt er. Und setzt sich erneut ins Auto, fährt zurück nach Coswig. Dabei nutzt er die gesamte Breite der Fahrbahn, auch die der Gegenspur, wie ein Zeuge berichtet. Und hat riesiges Glück, dass nichts passiert.

Bis kurz vor dem Ziel geht die Fahrt gut. Dann aber übersieht er eine Radfahrerin, rammt sie von hinten ungebremst. Die Frau wird gegen die Frontscheibe geschleudert, dann aufs Dach, fällt seitlich auf die Straße. Neben inneren Verletzungen zieht sie sich etliche Brüche, auch schwerer Trümmerbrüche zu. „Sie war ansprechbar und wimmerte nur. Ich dachte, sie schafft es“, sagt ein Zeuge, der als Erster am Unfallort war. Sie schafft es nicht. Zwei Wochen später stirbt die Frau. Im Auto des Angeklagten finden die Ermittler zwei leere Schnapsflaschen. Während der Fahrt will der Mann aber nicht getrunken haben.

Der Angeklagte kümmert sich nicht um das Opfer. Stattdessen versucht er, die kaputte Frontscheibe auszubauen. Wahrscheinlich steht er unter Schock.

Der Mann, der aus Kasachstan stammt und seit dem Jahr 2000 als Spätaussiedler in Deutschland lebt, gibt zu, am Abend viel Wodka getrunken zu haben. Seine Freundin habe ihm gesagt, dass sie wieder nicht schwanger sei. „Seit einem Jahr versuchten wir, ein Kind zu bekommen. Aus Frust, dass es wieder nicht geklappt hat, habe ich mich betrunken“, sagt er. Weil er Angst gehabt hätte, seine Arbeit zu verlieren, habe er sich ins Auto gesetzt.

Doch ist er bei einem so hohen Alkoholwert überhaupt schuldfähig? Diese Frage müssen Gerichte immer dann klären, wenn ein Angeklagter einen Blutalkoholwert von mehr als drei Promille hat. Die Einschätzung der medizinischen Gutachter und auch die Zeugenaussagen sind eindeutig. „Es gibt keinerlei Anhaltspunkte für eine eingeschränkte Schuldfähigkeit oder gar für Schuldunfähigkeit“, stellt eine Medizinerin fest. Zwar sei der Mann deutlich alkoholisiert gewesen, habe aber kaum Ausfallerscheinungen gezeigt. Seine Sprache war deutlich, der Gang sicher, das Bewusstsein klar. Dies zeigt: Der Mann ist ein „Berufstrinker“, er ist Alkohol gewöhnt. Zweimal schon wurde er wegen Trunkenheit im Verkehr verurteilt, erst zu einer Geldstrafe, dann zu einer Haftstrafe auf Bewährung. Zweimal wurde ihm schon die Fahrerlaubnis entzogen.

Auch technische Ursachen schließt ein Kfz-Sachverständiger aus. Er hat den Audi untersucht. Es gab keinerlei Mängel. Untersucht hat er auch das Fahrrad der Getöteten. Und festgestellt, dass das Rücklicht brannte, als es zur Kollision kam. Zweifelsfrei ist auch, dass die Radfahrerin von hinten angefahren wurde. Vor Ort hatte der Angeklagte gegenüber de Polizei behauptet, die Frau sei von rechts gekommen und habe ihm die Vorfahrt genommen.

Trotz der eindeutigen Feststellungen der Mediziner hält die Verteidigerin ihren Mandanten aufgrund der Alkoholisierung für eingeschränkt schuldunfähig. Sie plädiert auf eine Haftstrafe von einem Jahr und fünf Monaten auf Bewährung. Wenn ihr Mandant ins Gefängnis käme, müsste seine Frau zu Hause bleiben und auf das inzwischen geborene Kind aufpassen, würde ihren Job verlieren, argumentiert sie. Dass ihr Mandant schuld daran ist, dass eine andere Frau ihr Leben verlor, wiegt da offenbar nicht so schwer.

„Sie hätten keinen Meter fahren dürfen“, sagt der Staatsanwalt und fordert eine Haftstrafe von einem Jahr und acht Monaten. Für Bewährung sieht er keinen Raum. Er bereue die Tat zutiefst und habe jetzt viel Zeit, die Schlussfolgerungen zu ziehen, sagt der Angeklagte.

Diese Zeit hat er tatsächlich. Das Gericht verurteilt ihn zu einer Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Ohne Bewährung. Frühestens in neun Monaten darf ihm die Behörde eine neue Fahrerlaubnis erteilen. Das ist nur Theorie. Praktisch muss er erst zum „Idiotentest“. Und zuvor sein Alkoholproblem in den Griff kriegen.