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Schräge Typen

Der Mann, der Unister-Chef Thomas Wagner einen Millionenkredit vermittelte, muss ins Gefängnis. Wie der Betrug im Detail ablief:

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© Sebastian Willnow

Von Ulrich Wolf, Leipzig

Auch sein letztes Wort half ihm nicht wirklich weiter. „Ich habe noch nie jemanden betrogen. Ich bin da so hineingeschlittert, wollte nur helfen. Mir tut es unheimlich leid, was da passiert ist“, sagt Wilfried Schwätter. Das Landgericht Leipzig nahm dem alten Mann, der im November 70 wird, das nicht ab. Es verurteilte ihn zu drei Jahren und zehn Monaten Gefängnis. Wegen schweren Betrugs, unter anderem am Gründer und Chef des Leipziger Internetunternehmens, Thomas Wagner.

Die viersitzige Piper, in der auch Unister-Chef Thomas Wagner saß, stürzte beim Rückflug nach dem gescheiterten Geschäft in Venedig über Slowenien ab. Niemand überlebte.
Die viersitzige Piper, in der auch Unister-Chef Thomas Wagner saß, stürzte beim Rückflug nach dem gescheiterten Geschäft in Venedig über Slowenien ab. Niemand überlebte. © dpa
Im Hotel Luisenhof in der Innenstadt von Hannover gab es erste Kontakte. Wagners Vertraute warnten ihn damals: „Thomas, ich glaube, wir haben mit der Mafia gesprochen.“
Im Hotel Luisenhof in der Innenstadt von Hannover gab es erste Kontakte. Wagners Vertraute warnten ihn damals: „Thomas, ich glaube, wir haben mit der Mafia gesprochen.“ © imago/Rust

Seine Verurteilung kam nicht überraschend, zu erdrückend waren die Beweise. Spannend war der Prozess dennoch. Er öffnete die Tür in die sonst so verborgene Welt der halbseidenen Geschäftemacher. Schon diese Zeugen. 21 waren es, darunter etwa ein Ex-Notar aus Hannover, der mit gefälschten Unterlagen aus der größten Kaserne Brandenburgs ein Wohngebiet machen wollte, damit aber nur den Rücktritt des Innenministers beschleunigte. Oder der ehemalige hessische Landeschef der Schill-Partei. Oder ein Gastwirt aus dem Sauerland, der für einige Jahre sein Glück in Thailand versuchte. Und bei einem Juwelenlieferanten aus Zürich, der ebenfalls geladen war, räumte der Staatsanwalt ein: „Ich habe keine Chance, an ihn heranzukommen. Er ist in Tansania abgetaucht.“

Mitten hinein in diese Schräge-Typen-Welt ist Unister-Gründer Thomas Wagner geraten. Leipzigs Vorzeige-Unternehmer, der mit Marken wie ab-in-den-urlaub.de oder fluege.de etablierten Reisekonzernen das Fürchten lehrte. Wie war das möglich?

Es ist Ende 2015, Wagner ist 38, und doch kämpft er schon um sein Lebenswerk. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat Anklage erhoben, sie sieht illegale Methoden im Hause Unister. Im Konzern tobt zudem ein heftiger Streit mit dem ehemaligen Finanzchef. Das Unternehmen ist hoch verschuldet, die Banken haben den Geldhahn zugedreht.

Wagners ehemaliger Pressesprecher will helfen. Über den Ex-Landtagsabgeordneten Volker Külow von den Linken vermittelt er den Kontakt zum Leipziger Häuserkönig Oliver Bechstedt. Man trifft sich im Februar 2016. „Es ging um Kontakte zu Investoren“, sagt der Immobilienmanager. Er fragt nach bei einer Fondsgesellschaft in Peking, beim Diners-Club in Zürich, bei ProSieben und bei einem Ex-Manager der Deutschen Kreditbank in Leipzig. Der Mann heißt Karsten Keune, und er sollte zu einem wichtigen Glied in der Ereigniskette werden, die mit dem Tod Wagners endete.

Zwei, drei Wochen nach dem Treffen mailt Wagner an Keune: „Oliver Bechstedt war so freundlich, mir Ihre Kontaktdaten zu vermitteln.“ Der Banker wittert ein Geschäft, meldet Bechstedt alsbald Vollzug. Er habe von Wagner das Mandat zur Investorenvermittlung erhalten. Einer der Kandidaten sei ein Geschäftsmann aus Israel. Der biete einen Kredit von 15 bis 20 Millionen Euro an, als Sicherheit reichten zehn Prozent des Darlehens in bar. Währenddessen reist ein 68-jähriger Mann aus dem westfälischen Unna in die slowenische Hauptstadt Ljubljana, um sich dort wegen eines anderen Kreditgeschäfts mit diesem Israeli zu treffen. Der Reisende ist der nun verurteilte Einzelhandelskaufmann Wilfried Schwätter.

Banker Keune und Wagner begegnen sich erstmals Anfang Juni. Mit dabei sind ein Vertrauter des Unister-Chefs und ein Unternehmensberater. Der sagt vor Gericht, nach einer gewissen Sendepause habe sich Heinz Beck bei ihm gemeldet. „Den hielt ich für einen soliden Partner.“ Beck, 64 Jahre, ist ein Leasingspezialist aus Iserlohn. Er kennt Keune, er kennt Schwätter. Am 21. Juni schickt Beck dem Berater einen Darlehensentwurf zur Prüfung. „Ich sah das kritisch. Wohl deshalb brach der Kontakt ab, fortan war ich völlig draußen.“

Keune aber bleibt an Wagner dran. Der Unister-Boss schickt zwei Vertraute nach Hannover, um dort mit Keune, Beck und Schwätter zu konferieren. Wagners Emissäre erzählen vor Gericht, der Mann aus Unna sei eindeutig als Vertreter des Investors aufgetreten, „angeblich ein israelischer Diamantenhändler mit Wohnsitz in Italien oder so was“. Der Investor heiße Levy Vass, man arbeite seit fast 20 Jahren mit ihm zusammen. Referenzen habe Schwätter keine vorgelegt. „Als dann auch noch die Sprache auf Bargeld in Schweizer Franken kam, sind wir gegangen“, sagen die Wagner-Vertrauten. „Die Visitenkarten der Herren haben wir draußen in einen Mülleimer geschmissen.“ Noch auf der Rückfahrt wird Wagner informiert: „Thomas, ich glaube, wir haben mit der Mafia gesprochen.“

Am anderen Morgen, es ist inzwischen der 29. Juni, beteuert Keune in einer Mail an Wagner die Seriosität von Vass. Am gleichen Tag treffen sich in der Unister-Zentrale diverse Führungskräfte, auch Wagners Hannover-Vertraute sind dabei. Sie warnen ihn noch einmal, doch der Chef habe nur geantwortet: „Mal sehen, ich lasse das trotzdem von den Juristen prüfen.“ Tatsächlich schickt Wagner den Kreditvertrag nach Frankfurt am Main. Dort hat die Haus- und Hofkanzlei von Unister ihren Sitz. Es gibt es zwar „einige Bedenken“, eine eindeutige Warnung aber bleibt diesmal aus.

Der Deal soll in Venedig über die Bühne gehen. Beck will eine Piper chartern. Der Termin wird auf den 13.  Juli fixiert, da Beck am 15. zum Abiball seines Stiefsohns wieder daheim sein will. Wagner telefoniert mit Keune, legt einen Aktenvermerk an. Einige Stichpunkte versieht er mit einem Fragezeichen: die Echtheitsprüfung des Geldes, den Ort des Austauschs, die Anmeldung bei der Einfuhr, die Kontoeröffnung. Keune versichert, Zollerklärungen seien nicht nötig.

Doch Wagner besteht auf einem Vertrag mit allen Einzelheiten. Das macht die Hintermänner nervös. Beck fordert Vass auf, ein ausgefülltes Vertragsmuster zu senden. Insbesondere müsse ein Konto bei einer Bank in Venedig vorbereitet werden. Wagner wolle die erste Kredittranche keinesfalls in bar mit nach Deutschland zurücknehmen. Am 5. Juli schickt Vass aus einem Kopierladen in Kroatien einen Darlehensvertrag über 15 Millionen Euro an Schwätter. Der leitet ihn weiter an Beck. Dessen frühere Sekretärin sagt, ihr Ex-Chef habe den Vertrag überarbeitet. „Dann sollte ich alles sauber abschreiben.“ Beck habe danach erzählt, wenn das in Venedig klappe, wolle er eine neue Firma aufbauen.

Doch Wagner entdeckt in dem Kreditvertrag einen Passus, der ihm missfällt. Es geht um eine Gebühr in Höhe von 525 000 Euro. Keune erklärt, es handle sich um Bankkosten für die Kontoeröffnung. Vass sei aber zu einem Kompromiss bereit und werde die Hälfte übernehmen.

Trotz der Unstimmigkeiten beginnt Wagner, die geforderte Sicherheit von 1,5 Millionen Euro in bar zu organisieren. Mit einer „streng vertraulichen Arbeitsanweisung“ beauftragt er einen Mitarbeiter der Unister-Finanzabteilung, das Geld „in größtmöglicher Stückelung“ zu besorgen. Der Angestellte kontaktiert die Commerzbank in Leipzig wegen „einer vergleichsweise unüblichen Transaktion“.

Am letzten Sonnabend vor dem Italien-Trip erfährt Wagner von Keune, man werde sich nahe dem Flughafen treffen. Schwätter teilt mit, es handle sich um das Hotel Antony Palace. Beck erinnert Wagner daran, nicht den Personalausweis zu vergessen. Am Montag bestätigt der Unister-Chef, er habe das Geld besorgt und werde Herrn Schilling mitnehmen. Erstmals erzählt er seiner Lebensgefährtin vom beabsichtigten Flug nach Venedig.

Einen Tag vor dem Start ist in der Unister-Zentrale wieder eine Konferenz. Teilnehmern fällt auf, dass Wagner einen Rucksack trägt, was „völlig ungewöhnlich“ sei. Beck informiert Wagner, die Piper werde um 7.15 Uhr in Dortmund abheben und ihn und Schilling gegen 9.30 Uhr in Leipzig an Bord nehmen. Abends holt der Finanz-Mitarbeiter die 1,5 Millionen Euro bei der Commerzbank ab, übergibt sie Wagner. Der bittet darum, die Buchhaltung nicht zu informieren. „Je weniger Leute das wissen, desto besser.“ Nahezu gleichzeitig mailt Beck an Schwätter, er könne nicht mitfliegen, die Maschine habe nur vier Plätze.

Mittwoch, 13. Juli. Exakt um 13.27 Uhr landet eine aus Leipzig kommende Piper auf dem venezianischen Flughafen Marco Polo. Beck, Schilling, Wagner und der Pilot lassen sich von Keunes Ehefrau zum Antony Palace fahren. Dort sitzt ihr Mann bereits an der Bar. Man wartet auf Vass. Wagner sollte ihn später als „sympathischen, mittelalten Herrn“ beschreiben, der gebrochen Deutsch spreche. Vass kommt, zeigt seinen Ausweis. Demnach ist er italienischer, nicht israelischer Staatsbürger, geboren im Oktober 1952, wohnhaft in Florenz. Die erste Tranche von 4 090 000 Schweizer Franken sei in einem Koffer in seinem Auto, Wagner weist auf seinen Rucksack. Überwachungskameras zeigen, wie die beiden Männer das Hotelrestaurant in Richtung Parkplatz verlassen. Nur wenige Minuten später kommt Wagner zurück, ohne Rucksack, dafür mit einem Aktenkoffer.

Der Plan sieht nun vor, sich an einer Filiale der Banco Popular zu treffen. Dort will Wagner das Vass-Geld auf das angeblich vorbereitete Konto einzahlen. Videoaufnahmen zeigen, wie Wagner, Beck und Keune gegen 16 Uhr vor der Bank warten. Vass ist nicht zu sehen. Man wartet weiter. Beck ruft Schwätter an: „Lass mich nicht hängen, Willy!“ Der Mann aus Unna schickt eine SMS an Vass: „Hallo Levy, ruf‘ den Beck an, es gibt Ärger. Die Bank macht zu, die kriegen ihren Flug nicht mehr.“ Aber Levy schweigt. Mehr als eine Stunde vergeht, dann fährt man mit dem Taxi zum Flughafen zurück. Plötzlich will Beck die Provision haben: 220 000 Euro für alle Vermittler. Wagner öffnet den Koffer und entdeckt: Nur die oberste Schicht der Geldscheine ist echt. Der Unternehmer telefoniert sofort mit seiner Lebensgefährtin: „Oliver und ich wurden betrogen.“

Kurz vor 18 Uhr, wieder am Flughafen, schickt Beck erneut eine SMS: „Hallo Herr Schwätter, Vass hat gefälschte Scheine mitgebracht. Rückflug erst am nächsten Tag.“ Wagner stellt derweil eine Strafanzeige, ein Dolmetscher wird geholt. Die Italiener beschlagnahmen die falschen Vass-Millionen. Um 21.30 Uhr händigen sie Wagner lediglich 20 echte Banknoten zu je 1 000 Franken aus. Gegen 23 Uhr telefoniert er noch einmal mit seiner Lebensgefährtin.

Am nächsten Morgen um 6.23 Uhr schreibt Keune an Beck: „Wenn der Schwätter Vass 17 Jahre kennt, dann stecken die unter einer Decke.“ Vor Gericht sagt Schwätter, Beck habe ihn an jenem Morgen angerufen und dann an Wagner weitergereicht. Der habe aber das Falschgeld nicht erwähnt, sondern sich mit ihm treffen wollen. Um 10.16 Uhr hebt die Piper ab. Eine knappe halbe Stunde später meldet der Pilot der Luftüberwachung, er habe Vereisungs-Probleme. Um 10.51 Uhr verschwindet die Piper vom Radar. Sie stürzt über Westslowenien in einen Wald, brennt aus. Die vier Insassen sterben. Die slowenische Botschaft meldet sich gegen 16 Uhr bei Wagners Lebensgefährtin.

Einen Tag nach dem Absturz kontaktiert das sächsische Landeskriminalamt den Verbindungsbeamten des BKA in Rom. Der lässt alle greifbaren Beweise sichern: die Strafanzeige Wagners, Handys, Videoaufnahmen. Am 21. Juli sagt Keune als Beschuldigter beim LKA in Dresden aus, Schwätter wird telefonisch überwacht. Er spricht weiter mit Vass. „Brauchst keine Panik haben“, sagt er. „Ganz ruhig Mann, kriegen wir alles hin.“ Vass benutzt eine italienische Mobilfunknummer.

Am frühen Morgen des 28. Julis schlagen die Ermittler in Unna zu. Sie durchsuchen die 200 Quadratmeter große Wohnung Schwätters. Der inzwischen 69-Jährige wird in die JVA nach Dresden gebracht. 14 Tage später wird auch Becks Wohnung in Iserlohn durchsucht. Besonderes Interesse der Ermittler erwecken Aktenordner, in denen der Name Levy Vass auftaucht. Es geht um Diamantengeschäfte, um den Tausch von 250 Millionen serbischen Dinar, um Geschäfte mit Bugattis und um den Unister-Deal. In Italien entdecken Kriminalisten auf dem am Flugzeugwrack gefundenen Kreditvertrag neben Wagners DNA und Fingerabdrücken auch die von Vass. Sie ordnen sie einer bestimmten Person zu – doch weder Keune noch Schwätter identifiziere diese als Levy Vass.

Nach dem Tod Wagners geht Unister pleite. Die Reisesparte gehört mittlerweile einer tschechischen Investmentfirma. Gegen Keune wird weiter ermittelt, nach Vass gefahndet. Doch 1,5 Millionen Euro sollten ausreichen, um unterzutauchen.