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Mit den Allergefährlichsten

Claudia Ramsdorf leitet in der Bautzener JVA die Abteilung für Sachsens Sicherheitsverwahrte. Das sind diejenigen, die immer eine Gefahr bleiben. Was wird, wenn sie alt werden?

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© Steffen Unger

Von Jana Ulbrich

Bautzen. In dem gelben Backsteinbau hinter dem hohen Sicherheitszaun leben die Allergefährlichsten. Diejenigen, die für immer weggesperrt bleiben müssen: Totschläger, Räuber, Vergewaltiger, Kinderschänder. 34 Männer sind es derzeit, der jüngste erst 36, der älteste schon 78 Jahre alt. Der gelbe Backsteinbau auf dem Gelände der Bautzener Justizvollzugsanstalt ist Sachsens Sicherungsverwahrung. Wer hier untergebracht ist, hat das Gefängnis schon hinter sich und die Strafe für sein Verbrechen verbüßt. Wer sicherheitsverwahrt ist, ist kein Gefangener mehr. Und muss dennoch womöglich den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen.

Blick in ein noch leeres Zimmer des Sicherungsgewahrsams in Bautzen. Mehr darf vom Haus nicht gezeigt werden.
Blick in ein noch leeres Zimmer des Sicherungsgewahrsams in Bautzen. Mehr darf vom Haus nicht gezeigt werden. © dpa/Arno Burgi

Claudia Ramsdorf kennt die Lebensgeschichten und das Seelenleben der 34 Männer hier wie niemand sonst. Die 43-Jährige hat die Abteilung für Sachsens Sicherungsverwahrte in Bautzen 2013 mit aufgebaut und leitet sie seitdem. Sie hat dafür gesorgt, dass sich die Männer hier nicht mehr wie Gefangene fühlen müssen. „Man muss da schon einen klaren Unterschied machen“, sagt die Juristin mit der ihrem Berufsstand eigenen Sachlichkeit. „Es geht bei diesen Männern nicht mehr darum, eine Schuld zu verbüßen. Die ist mit der Haftzeit abgegolten.“

Nicht jedermanns Sache

Claudia Ramdorf ist die Expertin für die Sicherungsverwahrung in Sachsen. Sie hat als Fachberaterin am neuen Gesetz mitgearbeitet. Das musste her, nachdem das Bundesverfassungsgericht 2011 das bisherige als verfassungswidrig erklärt hatte. Das neue Gesetz gewährt den Sicherungsverwahrten unter anderem mehr Platz und bessere Lebensbedingungen. Es soll ihnen besser gehen als den Strafgefangenen nebenan. „Wer hier untergebracht ist, wäre in Freiheit eine Gefahr für alle anderen“, sagt Claudia Ramsdorf, „weil eben nicht ausgeschlossen werden kann, dass er wieder Verbrechen begeht.“

Die Chefin hat ihr Büro direkt in dem gelben Backsteinbau. Sie begegnet den Untergebrachten jeden Tag. Das ist nicht jedermanns Sache. „Alle Mitarbeiter arbeiten freiwillig hier“, sagt Claudia Ramsdorf. Auch sie selbst hat sich diesen Job ganz bewusst ausgesucht. „Wir mussten 2011 dieses Gerichtsurteil umsetzen“, erklärt sie. „Das hat mich vor allem als Juristin interessiert, aber auch menschlich.“ Einfach ist dieser Job beileibe nicht. Schließlich sind es besonders schwere Straftäter und besonders schwierige Charaktere, mit denen es Claudia Ramsdorf und ihre Mitarbeiter in dieser Abteilung zu tun haben. „Als Juristin hilft mir, mich immer zu vergegenwärtigen, was hier unsere Aufgabe ist“, sagt sie: „Wir schützen die Allgemeinheit mit dem, was wir hier tun.“

Nach draußen nur in Begleitung

Claudia Ramsdorf weiß, was das für ein Aufwand ist: Um die 34 Sicherungsverwahrten kümmern sich drei Psychologen, drei Sozialarbeiter, 14 Vollzugsbedienstete und ein Kunsttherapeut. Neben persönlicher und arbeitstherapeutischer Betreuung gibt es eine Back- und Kochgruppe, eine Film- und Fotogruppe, eine Sportgruppe und anders mehr. Es gibt einen Sportplatz, einen Garten mit Beeten, Grillecke und Goldfischteich, Hühner, Aquarien, eine Vogelvoliere und den kohlrabenschwarzen Therapie-Kater Moritz. Mit irgendwas müssen sich die Männer ja auch beschäftigen.

Die Einzelzimmer im gelben Backsteinbau haben alle ein eigenes Bad und eine Kochzeile. Die Sicherungsverwahrten können sie nach ihren eigenen Vorstellungen einrichten. Und die Türen stehen offen. In ihren Wohngruppen können sie sich völlig frei bewegen. Nur raus aus dem Gelände dürfen sie nur in Begleitung – wenn es sein muss, mit einer Handschelle an einen Bediensteten gebunden oder mit drei Vollzugsbediensteten als Bewachung. Das Konzept ist bis ins Letzte durchdacht. „Es ist auch noch nie missbraucht worden“, sagt Claudia Ramsdorf.

Die Männer grüßen die zierliche Frau mit Respekt. Claudia Ramsdorf begegnet ihnen mit Distanz. „Anders würde das nicht gehen“, sagt sie. „Man darf sich hier nicht vereinnahmen lassen.“ Der professionelle Abstand hilft ihr auch, die persönlichen Schicksale und Lebensgeschichten nicht zu nahe an sich herankommen zu lassen. Eine falsche Entscheidung könnte hier fatale Folgen haben. Immer nach einem Jahr beispielsweise muss für jeden Untergebrachten über die weitere Sicherungsverwahrung neu entschieden werden. Bisher hat es nur sechs Entlassungen gegeben, drei davon erst nach mehr als zehn Jahren – und stets unter strengen Auflagen, mit dauerhafter Betreuung und zum Teil mit einer elektronischen Fußfessel.

Konzept für Pflegefall in Arbeit

Viel eher wird es in den kommenden Jahren wohl der Fall werden, dass die Sicherungsverwahrten in dem gelben Backsteinbau alt werden, so sieht es Claudia Ramsdorf. Deswegen arbeitet sie jetzt an einem nächsten Konzept: Es soll zeigen, wie man künftig umgeht mit den Untergebrachten, die Hilfe im Alltag benötigen. „Wenn es um dauerhafte Pflege geht, dann werden wir das hier einrichten“, sagt die Regierungsdirektorin ohne Umschweife. Sie hat schon geplant, was allein für Umbauten nötig sind: „Wir brauchen dann größere Räume und Sanitäreinrichtungen, die behinderten- und rollstuhlgerecht sind, und möglicherweise auch Pflegebetten“, sagt sie. Sie geht aber davon aus, das jemand, der bettlägerig und zum Pflegefall wird, seine Tage nicht mehr in diesem Backsteinbau hinter dem hohen Sicherheitszaun verbringen muss.

„Keiner soll und muss im Gefängnis sterben.“, sagt Claudia Ramsdorf. „Ihre letzten Tage und Wochen sollen die Strafgefangenen und Sicherheitsverwahrten in Freiheit verbringen.“ Auch in der Bautzener Justizvollzugsanstalt, in der Claudia Ramsdorf die stellvertretende Anstaltsleiterin ist, ist das so geregelt. Aber immer zählt zuerst, wie gefährlich jemand noch ist. Aktuell geht es im Gefängnis gerade um einen über 65 Jahre alten Strafgefangenen, der gern entlassen werden möchte, weil er krank ist. Zwei Gutachter aber sagen, dass er trotz seiner Krankheit und des fortgeschrittenen Alters noch als gefährlich eingestuft werden müsse. Im Notfall käme er unter Bewachung in ein Haftkrankenhaus. Etwas anderes könnte die Anstaltsleitung nicht verantworten.

Der Fall wird kein Einzelfall bleiben. Acht Strafgefangene, die zurzeit in Bautzen einsitzen, sind bereits über 65 Jahre alt, neun weitere über 60. Manche von ihnen haben noch einige Jahre in Haft vor sich.