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Großvaters Ost-Schatz

Während das Radebeuler DDR-Museum wackelt, eröffnet eine junge Brandenburgerin in Leipzig einfach mal ein neues.

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© dpa

Von Sven Heitkamp, Leipzig

Nancy Häger steht hinter dem Tresen ihres „N’Ostalgie-Museums“ in der Leipziger Innenstadt und strahlt: Ihre gerade erst gestartete Ausstellung brummt. Allein an den ersten vier Tagen nach der Eröffnung kamen 300 Besucher, sagt die Frau mit dem offenen Lachen und der Berliner Schnauze. Während das DDR-Museum in Radebeul derzeit wegen immenser Mietzahlungen ums Überleben kämpft, wagt die 32-Jährige aus Brandenburg an der Havel mit dem riesigen privaten Schatz ihres verstorbenen Großvaters einen ostalgischen Neustart in Leipzig.

Einen Großteil von etwa 30 000 Exponaten aus der gesamten DDR-Zeit – vom Aschenbecher aus Tambach-Dietharz bis zum Volkspolizei-Abzeichen – stellt sie im historischen Messehaus „Steibs Hof“ nahe dem Brühl aus. Dabei kam sie eigentlich der Liebe wegen nach Sachsen. Ihr Freund, ebenfalls ein Brandenburger, wohnt schon seit Jahren in Leipzig, Nancy Häger wollte endlich zu ihm ziehen. Doch die gelernte Kauffrau für Bürokommunikation wollte mal was anders wagen, als den bisherigen Arbeitsplatz gegen ein anderes Büro einzutauschen. So besann sie sich auf den Fundus ihres Großvaters, um mehr daraus zu machen: „Man kann es ja mal versuchen.“

Horst Häger hatte in den 90er-Jahren angefangen, zu sammeln. Er war arbeitslos und stand kurz vor der Rente. Nun durchforstete er Flohmärkte, Haushaltsauflösungen und Sperrmüllhaufen oder überredete Bekannte, sich von ihren Erinnerungsstücken zu trennen. „Erst füllte sich ein Hobbykeller – dann waren es bald fünf“, erzählt die Enkelin. Doch plötzlich sollte das Wohnhaus einem Einkaufzentrum weichen, die Hägers mussten umziehen. Für die riesige Sammlung bot ihnen die Stadt Brandenburg ein paar leere Räume in einem Hinterhof an. Der Anfang des Museums. Als die Sammlung später auf einem Spargelhof zu sehen war, kamen am Wochenende schnell mal 150 Besucher. „Da musste ich bereits mit aushelfen“, erzählt Nancy Häger.

Diesen Sommer hat sie nun alles nach Leipzig geschafft. Ein Kraftakt. Das N’Ostalgie-Museum begrüßt die Besucher schon im Erdgeschoss mit einem blauweißen Trabant 501 von 1961 und mit Simsons aus Suhl, mit einem kompletten Wohnzimmer samt Sofas, Sesseln und Anbauwand, mit einem vollen Bücherregal und Plakaten vom SED-Parteitag 1954. Auch Wiesel, Troll und Berlin, die Motorroller aus den Industriewerken Ludwigsfelde (IWL), sind da. Nur ein „Pitty“ fehlt noch in der Sammlung. Im Keller sind die Regale gefüllt mit Blechautos, Puppen, Spielen und Schaukelpferd, um die Ecke stehen Konserven, Saftflaschen und Plastikgeschirr wie auch eine ganze Palette Kameraausrüstungen von Beirette und Praktika. Manche Exponate waren auch schon als Requisiten in großen Kinofilmen zu sehen, in „Russendisko“ etwa und im Ausreisedrama „Barbara“.

Heikel ist indes die Sammlung in einem Hinterzimmer: Uniformen von Grenztruppen, Abzeichen und Auszeichnungen von NVA-Soldaten und Volkspolizisten, die Memoiren von Erich Honecker wie auch goldene Medaillen und eine Tschekisten-Losung hängen in dem Gruselkabinett unkommentiert zusammen. Die unerfahrene Ausstellungsmacherin hat bisher auf Kommentierungen verzichtet. Kein Wort fällt über Mauer, Schießbefehl und Mangelwirtschaft. „Die Leute wollen keine Erklärungen“, sagt sie. „Sie wollen einfach ihren alten Mixer wiedersehen und in Erinnerungen schwelgen.“ Tatsächlich erzählen sich die Besucher meistens olle Kamellen von anno dunnemals, Großeltern schildern Enkeln ihre Kindheit, und die Gäste grüßen beim Hereinkommen mit einem „Seid bereit!“ oder dem Ruf „Freundschaft!“ Über ein paar Hinweistafeln will Nancy Häger aber nochmal nachdenken.

Und die junge Frau möchte mehr als Exponate ausstellen. Noch diesen Sommer will sie Stadtrundfahrten in einem originalen 311er Wartburg anbieten und einen Moped-Verleih mit einem Schwung Schwalben starten, Arbeitstitel: „Rent a Bird“. Sie hat im Eingangsbereich das kleine Café „1:33“ eingerichtet und will Lesungen und andere Veranstaltungen organisieren. Sie setzt auf die 570 000 Bewohner der wachsenden Großstadt und ihre Touristen. Und sie hofft, dass sie mehr Glück haben wird als das DDR-Museum in Radebeul, das diesen Juli in die Insolvenz gehen musste. Die Radebeuler Museums-GmbH drücken enorme Mietschulden für die 3 500 Quadratmeter Ausstellungsflächen in dem modernisierten, fünfgeschossigen Plattenbaublock. Derzeit sucht ein Insolvenzverwalter nach Auswegen. Es könnte ebenfalls ein Umzug werden.