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Geschäftsmodell Asyl

Klagen, Ermittlungen und hohe Gewinne: Mit European Homecare aus Essen betreibt jetzt eine knallhart kalkulierende Firma die Dresdner Erstaufnahme-Unterkünfte.

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Von Tobias Wolf und Ulrich Wolf

Ein dunkelgrünes Tor. Undurchsichtige Kunststoffmatten am Zaun. Die Leichtbauhallen für 500 Flüchtlinge an der Bremer Straße in Dresden sind gut abgeschirmt. Obwohl es nichts zu sehen gibt. Zumindest keine Asylbewerber, das Areal ist verwaist. Nur ein paar Sicherheitsleute drehen ihre Runden. Was aus dem Gelände werden soll? „Ich darf nichts sagen“, raunt ein Wachmann und schließt das Tor. Die Bremer Straße ist eine von zwölf Erstaufnahme-einrichtungen in Sachsen. Auch das frühere Technische Rathaus in der Hamburger Straße in Dresden gehört dazu. Auch hier Stahl und Stacheldraht, gesichert wie eine Kaserne. Dort könnten 1 600 Asylbewerber unterkommen. Ende Juli waren es nur rund 300, ein Drittel davon Kinder.

EHC-Chef Sascha Korte verdient seit Jahren an der Flüchtlingskrise.
EHC-Chef Sascha Korte verdient seit Jahren an der Flüchtlingskrise.

Zuständig für Bremer und Hamburger Straße war seit 2015 das gemeinnützig arbeitende Rote Kreuz. Ob die Gemeinnützigkeit auch in Zukunft im Fokus steht, darf jedoch bezweifelt werden. Anfang August hat die European Homecare GmbH (EHC) die beiden Anlagen übernommen. Das Unternehmen mit Sitz in Essen betreut nach eigenen Angaben in 80 Einrichtungen Asylbewerber, Flüchtlinge und Obdachlose. „Umfassend und verantwortungsvoll“, heißt es auf der Internetseite der Firma.

Das mit der Verantwortung, das ist so eine Sache. Erst recht, wenn es um Werbung und Wirklichkeit geht. Frag nach bei der Autoindustrie. Oder den Banken. Und auch European Homecare hat es erwischt.

Die Staatsanwaltschaft Siegen hat nun 38 Personen angeklagt. Darunter sind EHC-Angestellte sowie Wachleute, die von der Essener Firma beauftragt wurden. Sie sollen 2014 in einer Asylunterkunft im siegerländischen Burbach an Misshandlungen von Flüchtlingen beteiligt gewesen sein. Insgesamt stehen 54 Straftaten auf der Liste der Ankläger, die auch die Firmenzentrale durchsuchten.

Der zuständige Oberstaatsanwalt Patrick Baron von Grotthuss rechnet „frühestens im nächsten Jahr mit ersten Verhandlungstagen“. Das Verfahren umfasse etwa 33 000 Seiten Aktenmaterial. Im Fokus stünden EHC-Mitarbeiter der Heimleitung und Sozialbetreuer. Sie sollen Bewohner bei Verstößen gegen die Hausordnung tagelang in eigens eingerichteten „Problemzimmern“ eingesperrt haben. Dabei sei es zu Körperverletzungen, Nötigungen und Diebstählen gekommen.

Burbach ist kein Einzelfall. Von 2003 bis 2011 betrieb EHC die zentrale österreichische Erstaufnahmeeinrichtung in Traiskirchen. In dieser Zeit starb ein Flüchtling nach einer Schlägerei unter den Bewohnern, eine Frau aus Kamerun zeigte einen Wachmann des Sicherheitsdienstes wegen einer Vergewaltigung an. Mangels Beweisen wurde er freigesprochen. 

Besonders heimelig sieht es nicht aus am Sitz der „Europäischen Hauspflege“. Wörtlich übersetzt lautet so der Name der 1989 gegründeten Firma. Ihr Geschäft organisiert sie in einem Bürokomplex an der Essener Alfredstraße. Nebenan tüfteln Ingenieure des Baukonzerns Hochtief. Mit Flüchtlingen macht EHC das beste Geschäft seiner Unternehmensgeschichte. Auch dank knallharter Kalkulation.

Man arbeite mit „zertifizierten Qualitätsstandards“ heißt es auf der Internetseite. Mit „speziellen Sicherheitsaudits“, mit „wirkungsorientierten und flexiblen Konzepten“. Technokraten-Sprache, kontrastiert mit hohen moralischen Ansprüchen wie: „Als oberster ethischer Grundsatz gilt, die Asylbewerber als Menschen zu respektieren, die ein Grundrecht wahrnehmen wollen.“ EHC betrachte Würde, Offenheit, respektvollen und nichtrepressiven Umgang „als Voraussetzung, um das Wohl der Gemeinschaft in den Vordergrund zu rücken.“ Das Bemühen um das Wohl der Gemeinschaft – zweifelsohne kommt es auch dem Wohl des Eigentümers zugute. Sascha Dominique Korte, 45 Jahre alt, hatte 2006 das Erbe seines Vaters angetreten. Der EHC-Chef lebt in einem großen, aber nicht mondän wirkenden Einfamilienhaus im grünen Süden Essens. Um die Ecke liegt der bei Ausflüglern beliebte Baldeneysee. Korte junior hat European Homecare in Sachen Flüchtlingsbetreuung zu einer sehr bekannten Adresse in den öffentlichen Verwaltungen gemacht. Wohl wissend, dass es bei diesem Thema durchaus einmal Ärger geben könnte, etwa mit den Medien, hat Korte die Unternehmenskommunikation einem gewieften PR-Profi übertragen: dem früheren Sprecher von Volkswagen, Klaus Kocks. Dem Spiegel hat dieser mal gesagt, sein Kunde EHC sei „der Aldi unter den Anbietern“.

Im Jahr 2015 schnellte der Umsatz des Asylheimbetreibers um das 3,5-Fache empor, auf fast 178 Millionen Euro. Die Mitarbeiterzahl verdreifachte sich auf 1 200. Der Nettogewinn fiel fünfmal so hoch aus wie 2014: 26 Millionen Euro blieben übrig. Laut Bilanz gingen vier Millionen davon aufgrund eines Gewinnabführungsvertrags an einen „atypisch still beteiligten Gesellschafter“. Dabei soll es sich um Kortes Vater handeln. EHC schweigt dazu. Eine Rendite von 14 Prozent nach Steuern – das ist Porsche-Niveau. 2016 dürfte wegen zurückgehender Flüchtlingszahlen nicht so gut gelaufen sein. Der Jahresbericht ist noch nicht veröffentlicht.

Weniger traumhaft als die Rendite sind die Arbeitsbedingungen. Özay Tarim, Sekretär der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft in Düsseldorf, sagt: „Aus unserer Sicht missachtet EHC Arbeitnehmerrechte.“ So habe deren Mitarbeiter Stefan Mayer* eine Abmahnung erhalten, weil er im Mai an einer Schulung zum Wahlvorstand für die Betriebsratswahl teilnahm. Ihm, Mayer, sei vorgeworfen worden, während der Seminartage nicht zur Arbeit in Neuss erschienen zu sein. Dann sei er grundlos gekündigt worden.

Ende November 2016 hatte EHC Mayer schon einmal gekündigt. Damals war das Datum auf dem Briefkopf identisch mit dem Datum einer Betriebsversammlung, auf dem der Wahlvorstand bestimmt wurde. Mayer klagte, man einigte sich in einem Vergleich, Mayer arbeitete weiter. Bis eben zum Mai. Anfang September wird wieder vor dem Arbeitsgericht verhandelt. „Das ist kein Zufall“, sagt Verdi-MannTarim. „Das hat System.“ In Neuss gibt es immer noch keinen Betriebsrat. „Den gibt es nach unserer Kenntnis bislang nur an vier Standorten“, sagt Tarim. Unternehmenssprecher Kocks sagt zu dem Thema nichts.

Als der „Aldi unter den Anbietern“ zum Ende vorigen Jahres etwa 150 Mitarbeitern kündigte, bekamen die Arbeitsgerichte viel zu tun. Mindestens 70 Kündigungsschutzklagen sind beim Arbeitsgericht Essen eingereicht und inzwischen erledigt worden, sagt Richterin Katja Buschkröger. In einigen Fällen habe EHC Entlassungen zurückgenommen. „Es kommen aber immer wieder Klagen herein, vor allem, wenn irgendwo Standorte schließen.“

Katia Ahmad* ist nach eigenen Angaben auch von EHC gekündigt worden. Sie flog kurz vor Ende der sechsmonatigen Probezeit raus. Die 37-Jährige erzählt, sie sei im Herbst 2015 angestellt worden, als Sozialbetreuerin in einer Unterkunft in Essen, obwohl ihr die Qualifikation fehlte. „Ich habe nur eine Ausbildung im Einzelhandel. Wir durften gar keine richtige soziale Betreuung leisten.“ Der zuständige Regionalleiter habe angewiesen, maximal zwei Minuten pro Asylbewerber aufzubringen. „Länger war strengstens verboten.“ Die als Sozialbetreuer angestellten Mitarbeiter hätten stattdessen viel Zeit in Verwaltungsarbeit stecken müssen. „Ansonsten sollten wir nur anwesend sein.“ Der Regionalleiter habe ein „Problemzelt“ für Nordafrikaner und Syrer aufstellen lassen, versehen mit dem Kommentar: „Packt die alle da rein, die sollen sich die Köpfe einschlagen, dann werden sie abgeschoben.“ Ahmad zufolge ist ihr jeglicher privater Kontakt mit Asylbewerbern verboten worden. „Ich durfte nicht mal in der Innenstadt einkaufen, weil dort ja viele Flüchtlinge unterwegs sind.“ Eine Abmahnung erhielt sie trotzdem. Der Grund: „Ich habe fünf asylsuchenden Frauen in meiner Freizeit beim Übersetzen von Sozialamtsunterlagen geholfen.“ EHC schweigt zu dem Fall.

Ahmads damaliger Kurzzeit-Chef sitzt nun mit Firmenboss Korte im Vorstand der Stiftung Soziale Dienste. Die wirbt mit dem Logo des Asylheimbetreibers um Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit. Sie sollen eingesetzt werden in Unterkünften, mit denen EHC Profit macht. Offenbar genügend Profit, um eigene Vermögensverwaltungsfirmen zu gründen.

Thea Müller* hat ähnliche Erfahrungen gemacht wie Katia Ahmad. Die 33-Jährige spricht nicht von Problemzimmern oder -zelten, sondern gleich von einer „Problem-Unterkunft“. Gemeint ist ein EHC-Heim im Leipziger Norden. Dort seien zu 90 Prozent Straffällige untergebracht. „Wir haben Psychologen vorgeschlagen, um die Konflikte in den Griff zu bekommen. Das wird alles abgeschmettert“, sagt sie. Bewohner, die teils schon jahrelang auf ihren Asylbescheid warteten, bedrohten Mitarbeiter. „Wir bekommen den Frust stellvertretend ab“, sagt sie. Es seien zum Glück nicht alle so. „Viele gehen freundlich mit uns um.“

Dem zuständigen Regionalleiter sei es egal, was mit Flüchtlingen und Mitarbeitern passiere, sagt Müller. „Hauptsache, die Zahlen stimmen.“ Das sei von Anfang an so gewesen. Kaputte Fenster seien notdürftig mit Spanplatten verkleidet, defekte Kühlschränke nicht ersetzt und Hinweise zum Brandschutz ignoriert worden. Extrem gespart werde bei der Sicherheit. Unter den Wachleuten sind Rechtsextreme, die Flüchtlinge schikanieren und mit Kanake, Idiot oder Arschloch ansprechen.

Bereits 2015 gab es Vorwürfe gegen den Leiter eines EHC-Heims in Hoyerswerda, der Flüchtlinge als „Kanaken“ und „Drecksschlampen“ beschimpft haben soll. Die Firma räumte damals ein, der Heimleiter äußere sich schnell etwas zügellos. Ihm sei der „Kopf gewaschen“ worden und er werde sich künftig empathischer verhalten. Der Mann behielt den Job. Der Vertrag der Sozialarbeiterin, die die Missstände angeprangert hatte, wurde nicht verlängert.

Sehr kritisch äußert sich auch Martin Schmidt*. Er ist seit knapp drei Jahren bei EHC in Leipzig. „Das ist eine große GmbH, die einfach nur Geld scheffelt. Um Betreuung geht es denen nicht.“ Bei Problemen und Konflikten müsse man selbst eine Lösung finden. „Wenn man den Job liebt, kann man trotzdem viel bewegen“, betont der 29-Jährige. „Ich bin aber nicht Sozialarbeiter geworden, um jemanden noch reicher zu machen, als er schon ist.“

Die Sächsische Zeitung hat EHC schriftlich um Stellungnahme zu sämtlichen zuvor beschriebenen Vorwürfen früherer oder noch angestellter Mitarbeiter gebeten. Eine Woche nach Versand des detaillierten Fragenkatalogs antwortet der Kommunikationsbeauftragte Klaus Kocks, bei European Homecare „war damals von dem Vorgang nichts bekannt; dies ist nach wie vor so.“ Weitere vier Tage später teilt Kocks mit, die Fragen seien an eine Kanzlei weitergeleitet worden. Diese solle entscheiden, ob EHC die Fragen überhaupt vorgelegt werden. Kocks selbst hält sie für „maliziös implikativ“ und „intentional hypothetisch“. Zu solchen Fragen „nehmen wir aus gutem Grund niemals Stellung“.

Intransparent, abweisend, streng profitorientiert – so präsentiert sich der neue Betreiber der Erstaufnahmeheime in Dresden. Die zuständige Landesdirektion Sachsen hat keine Einwände. Sie hatte den Betrieb zum 1. Juli neu ausgeschrieben. Auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) bot mit. Im Chaos-Sommer 2015 musste es den Betrieb über Nacht garantieren, hatte danach mit Ehrenamtlichen Deutschkurse, Integrationsprojekte und eine Kinderbetreuung gestemmt. Für Kommunalpolitiker aus dem Bundesgebiet und der Schweiz waren die Dresdner DRK-Unterkünfte Vorzeigeobjekte. Sachsens CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich hatte den Helfern bei einer Feier Anfang 2016 noch für ihren unermüdlichen Einsatz in der Flüchtlingsarbeit gedankt. Der Dank gilt jetzt nichts mehr, es ging nur noch um das billigste Angebot.

Am Ende gewann EHC die jüngste Ausschreibung. Mögliche Ausschlussgründe seien geprüft und andere Auftraggeber befragt worden, sagt ein Sprecher der Landesdirektion. Zu den Betriebskosten der Heime will er nichts sagen, dies sei vertraulich.

Die Bezirksregierung in Düsseldorf hat weniger Probleme, den Umgang mit Steuergeld offenzulegen. Im Regierungsbezirk führt EHC vier Heime mit insgesamt 2 900 Plätzen. Kosten: 2,3 Millionen Euro pro Monat. Für das Erstaufnahme-Heim mit 800 Plätzen in Essen erhält EHC im Monat etwa 690 000 Euro. Rund 860 Euro pro Platz. Der Preis ist auch fällig, wenn wie Ende Juli nur die Hälfte belegt ist. Würde man diese Kalkulation auf Dresden übertragen, kostete allein der Betrieb der Unterkunft Hamburger Straße etwa 430 000 Euro pro Monat.

Dass European Homecare sich im Wettbewerb der Asylbetreuung gegen Organisationen wie Rotes Kreuz, Johanniter oder Malteser durchsetzt, könnte nach SZ-Informationen unter anderem am Preis der Verpflegung liegen. Das Rote Kreuz kalkuliere demnach mit zwölf Euro pro Tag und Flüchtling für drei Mahlzeiten und Getränke. EHC hingegen soll das für vier Euro anbieten. Bei voller Auslastung der Hamburger Straße ergäben sich somit 120 000 Euro im Monat, die die Landesdirektion weniger überweisen müsste. Weder Rotes Kreuz, noch European Homecare wollen das offiziell bestätigen. Auch die Landesdirektion schweigt sich dazu aus. Sachsens Rot-Kreuz-Chef Rüdiger Unger sagt zum verlorenen Bieterverfahren: „Unsere Standards sind nicht verhandelbar.“

* Namen geändert

„Klarstellung: In einer früheren Version des vorstehenden Artikels berichteten wir von einem angeblichen im April 2016 durch Ermittler durchsuchten „EHC-Heim“ in München. Hierzu stellen wir klar: Dieses Heim wurde nicht von der European Homecare GmbH betrieben.“