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Ein Mann macht die Fliege

Ingolf Augustin ist Fliegenfischer. Mit der Flugangel ködert er in der Wesenitz Forellen – und Anglernachwuchs.

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© Marko Förster

Von Jörg Stock

Und jetzt ein wenig Zaubershow, sagt Ingolf Augustin. Sein Zauberstab ist die Angelrute. Er stellt sich damit auf den Liebethaler Buswendeplatz. Mit der Rechten beginnt er, das Gerät zu schwingen, locker aus der Schulter heraus, vor und zurück, das Handgelenk steif, so, als wäre es mit der Rute verwachsen. Die Linke gibt Schnur. Blitzend rollt sie durch die Luft, wird länger und länger, und – zack! – surrt das Schnurende vorwärts und landet zwanzig Meter entfernt auf dem Asphalt. Die Jungs staunen. „Geil!“

Ein sonniger Sonntagvormittag. Pirnas Angelvereine „Glück auf“ und „Stadt Pirna“ haben ihre Jungangler am Wesenitzufer im Liebethaler Grund versammelt. Anschauungsunterricht ist angesagt. Dozent: Ingolf Augustin, 43, aus Heidenau, Vorsitzender bei „Glück auf“ und Fliegenfischerprofi. Seit zwanzig Jahren verdient er mit dieser – wie er sagt – ältesten Art der Sportfischerei sein Geld. Er unterrichtet Anfänger und Fortgeschrittene, führt Angeltouren, baut und verkauft Köder. Im Fliegenbinden wurde Herr Augustin schon einmal Deutscher Meister. Er gewann mit der drei Millimeter kleinen Imitation einer Mücke.

Von der Quelle am Valtenberg in 515 Metern Höhe bis zur Einmündung in die Elbe bei Pratzschwitz legt die Wesenitz 83 Kilometer zurück. Liebethal befindet sich wenige Kilometer vor der Flussmündung. Vor allem im unteren Bereich des Flusses gibt es jetzt wieder verstärkt Forellen und andere Fische. Das war nicht immer so. Seit 1989 gibt es verstärkte Bemühungen, den historischen Rückgang der Fischfauna nach Anzahl der Arten und Individuen wegen industriell bedingter Umweltverschmutzung rückgängig zu machen.

Fliegenfischen gilt als hohe Kunst der Angelei. Weil die Köder, Nachbildungen von Insekten und deren Larven, sehr leicht sind, dient die Angelschnur als Gewicht. Sie auszuwerfen, kann man sich nicht im Internet abgucken, sagt Augustin. „Das muss man lernen.“ Und üben. Wer bei ihm einen Einsteigerkurs mitmacht, ist längst nicht perfekt. Ein Jahr vergeht, so schätzt der Experte, bis „die Schinderei“ langsam in Entspannung übergeht.

Unter den rund 16 500 Anglern im Regierungsbezirk Dresden sind laut Sächsischem Anglerverband etwa 250 Fliegenfischer, Tendenz stabil bis leicht steigend. Jahrhundertelang gepflegt in adligen Kreisen Großbritanniens, gilt das Hobby noch immer als elitär. Unter den Fluganglern sind Obama und Putin, Prinz Charles und Tiger Woods, George Clooney und Coco Chanel. Augustin will gegen das exklusive Image angehen, auch mit Vorträgen wie hier an der Wesenitz, die er „für ein Bier und eine Bockwurst“ abhält. Die Ausrüstung aber hat ihren Preis. Für eine Rute aus der Oberklasse zahlt man an die tausend Euro.

Die jungen Fischer, zwischen neun und 16 Jahren alt, drängen sich um einen Steinblock. Auf dem hat Ingolf Augustin ausgebreitet, was man braucht, um Leckerlis für Fische zu basteln. Fliegenfischen, sagt er, ist „eine „Komplettverarsche“ für den Fisch. Das macht den Reiz aus: Man bietet ihm absolut nichts an, was Sinn hat, und trotzdem fängt man ihn.

Widerhaken sind für Anfänger

Auf dem Stein liegen Fellstücke. Reh, Elch, Eichhörnchen. Auch Fasanenfedern. Wie kriegt man eine Forelle dazu, nach so etwas zu schnappen? Aus den vierzig Sorten Angelhaken in seinem Kasten sucht Ingolf Augustin einen passenden aus und klemmt ihn in den Bindestock. Präzisionstechnik aus der Schweiz. Normalerweise braucht er die Halterung unterwegs nicht. Seine Köder baut er daheim, typischerweise im Winter. Aber manchmal bindet er Attrappen direkt am Fluss, von genau den Fliegen, die dort vorkommen. Da dreht er auch mal die Steine um, guckt, was da kreucht und fleucht. Insektenwissen ist für den Flugangler ein Muss.

Zuerst biegt Augustin den Widerhaken mit einer Zange ab. Widerhaken, erklärt er den Kindern, sind nur für schlechte Angler gut. Unter Fliegenfischern ist es Brauch, darauf zu verzichten. So haben Fische, die mangels Größe zurück ins Wasser dürfen, gute Chancen, sich weiterzuentwickeln. Große Fische sind wertvoller als kleine, sagt Augustin, an der Angel, aber auch im Gewässer, weil sie da für Nachwuchs sorgen. Ein Angler muss wissen, dass er am Fluss Verantwortung trägt, sagt er. „Und das geht bei den Steppkes hier los.“ Augustin hat eine goldene Perle auf den Haken gefädelt. Das Auge angelt mit.

Dem Fisch ist es schnurz. Hauptsache es glitzert. Das weckt sein Interesse. Mit einem Kunststoffgarn wird nun der Hakenschaft umwickelt, Haftgrund für die Fasanenfeder, die Augustin mit schnellen Fingern einbindet. Den Brustbereich des Kunstinsekts formt er aus grünlich schimmernden Federsegmenten, dem sogenannten Pfauengras. Alles gut festgezurrt, fertig ist die Fasanenschwanznymphe, der Klassiker unter den Larven-Imitaten. Beim Angeln taucht dieser Köder unter und treibt auf den Fisch zu, erklärt der Fachmann, „wie eine große Wurst, die vom Himmel runterhängt“. Zaubershow, die Zweite, diesmal keine Trockenübung. Augustin steht in der Strömung, fest wie ein Fels, sagt er, dank Hartmetallspikes unter den Schuhsohlen. Wieder lässt er die Angelschnur fliegen. Ein wenig erinnert er an Brad Pitt im Hollywoodfilm „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“. In diesem Streifen ist das Angeln eine Art Religionsersatz, den der Vater den Söhnen vererbt hat.

Bei Ingolf Augustin war das völlig anders. Sein Vater verabscheut jedes Lebewesen, das aus dem Wasser kommt. Immerhin schenkte er Ingolf zum 8. Geburtstag eine Angel. Tipps zur Benutzung hat er ihm damals nicht gegeben. Außer einem: „Junge, fall mir bloß nicht in die Brühe!“