Merken

„Die Lehrer arbeiten am Limit“

Oberschulleiterin Sabine Grünke aus Bischofswerda sagt: An den Schulen muss sich in Zukunft viel ändern.

Teilen
Folgen
© Steffen Unger

Bautzen. An den Schulen der Oberlausitz fehlen so viele Lehrer wie noch nie. Wie kann ein Schulbetrieb ohne ausreichend Personal überhaupt vernünftig laufen? „Wenn wir nicht mehr nur versuchen, Löcher zu stopfen, sondern umdenken und uns inhaltlich und organisatorisch neu ausrichten“, sagt Sabine Grünke. Die 59-Jährige ist Schulleiterin der Oberschule Bischofswerda. Im SZ-Gespräch erklärt sie auch: Verbeamtung allein ist keine Lösung.

Frau Grünke, können Sie an Ihrer Schule noch einen Stundenplan bauen?

Das ist schwierig. Wir haben das Schuljahr mit einem Übergangsplan begonnen, weil wir drei neue Seiteneinsteiger bekommen haben, die erst einmal noch eine dreimonatige Ausbildung absolvieren mussten. Aber bei nur einem Übergangsplan ist es nicht geblieben. Inzwischen haben wir schon den vierten Stundenplan. Und ich ahne, das wird nicht der letzte sein. Zum Halbjahr geht wieder eine Kollegin in den Ruhestand. Bisher haben wir für sie noch keinen vollständigen, auch fachlich passenden Ersatz. Es kann passieren, dass ich vorerst einige Unterrichtsstunden kürzen muss. Wir suchen noch nach Lösungen, denn Stundenkürzungen sind das letzte Mittel.

Sieht so jetzt die Normalität an den Schulen aus?

Ja. Wir als große Schule mit 445 Schülern und 36 Lehrkräften sind da noch ganz gut dran. Größere Schulen sind eher in der Lage, mit den Stunden „jonglieren“ und die Vertretung auf mehrere Schultern verteilen zu können. Kleinere Schulen mit wenigen Lehrkräften können das nicht. Für krankheitsbedingten Ausfall habe ich aber auch an unserer großen Schule nur sporadische Lösungen, also kaum fachgerechten und schon gar nicht planmäßigen Ersatz. Es gibt keinerlei Reserven. Die Personaldecke ist einfach an jedem Ende zu kurz.

Können das die Lehrkräfte, die da sind, überhaupt alles noch schultern?

Die Kollegen arbeiten nahezu alle am Limit. Ein Zeichen, dass sie irgendwann erschöpft sind, ist die Tatsache, dass wir an unserer Schule keinen Lehrer haben, der länger arbeiten möchte, als er müsste. Die Kollegen gehen sobald wie möglich in den Ruhestand, möglichst auch schon in den vorgezogenen. Ich habe allergrößte Hochachtung vor dem tagtäglichen Pensum, das sie leisten. Und ich muss feststellen, dass auch nicht mehr zu schaffen ist. Das Kernstück unserer Arbeit bleibt für uns der Unterricht. Aber daneben haben wir ja noch andere Aufgaben. Die machen mir momentan fast noch mehr Sorgen als der Unterrichtsausfall.

Was meinen Sie damit?

Es bleibt neben dem Unterricht viel Wichtiges auch auf der Strecke: Die Seiteneinsteiger brauchen vor allem eine pädagogisch-methodische Betreuung, die Klassen brauchen ihre Klassenleiter als verlässlichen Ansprechpartner. Wir haben Schüler mit Verhaltensauffälligkeiten, die einer intensiven Förderung im sozial-emotionalen Bereich bedürfen. Wir haben an der Schule auch Schüler mit Autismus und Schüler mit körperlichen Beeinträchtigungen. Dafür gibt es zwar zusätzliche Förder- und Integrationsstunden, aber die kann ich kaum vergeben. Wir haben uns entschieden, zuerst den Unterricht im Grundbereich abzusichern. Die Oberschule ist zwar vielfältiger, der Schülerklientel differenzierter geworden, nur sind z. B. sowohl die personellen wie auch die sächlichen Rahmenbedingungen dafür nicht „mitgewachsen“.

Wir reagieren denn die Kollegen auf die Situation?

Die hohe Belastung macht sich schon bemerkbar. Wer wäre unter diesen Bedingungen nicht unzufrieden? Zum Glück aber ist Lehrer sein ja nicht irgendein Beruf, sondern auch wirklich eine Berufung. Für ihre Schüler geben die Kollegen ihr Bestes.. Ich versuche, sie so weit wie möglich von allem zu entlasten, was über den Unterricht hinausgeht. Ich straffe Dienstberatungen, pflege einen effizienten Umgang mit der wertvollen Ressource Zeit, wir haben den Schulablauf zielführend strukturiert. Nächstes Jahr werden wir noch mehr Informationsabläufe digitalisieren.

Und wie läuft die Arbeit mit den Seiteneinsteigern?

Das ist natürlich nicht einfach. Die neuen Kollegen merken auch selbst sehr schnell, dass nicht nur Fachwissen, sondern vor allem viel Pädagogik gebraucht wird, um sich vor eine Klasse zu stellen. Und dass es in erster Linie um eine Arbeit mit Kindern und Jugendlichen geht, die viel Gespür und Liebe zum Beruf braucht. Wir haben in einem Fall auch ein Arbeitsverhältnis beendet. Auch im Kollegium sind nicht alle begeistert. Aber da sage ich ganz klar: Wir brauchen die Seiteneinsteiger und wollen sie unterstützen. Das erwarte ich von den etablierten Kollegen. Von den Seiteneinsteigern erwarte ich, dass sie gern mit den Kindern arbeiten.

Auch in den nächsten Jahren wird sich die personelle Situation an den Schulen nicht grundlegend verbessern. Wie kann denn ein ordentlicher Schulbetrieb unter diesen Bedingungen überhaupt noch gewährleistet werden?

Da fallen mir Lehrpläne und schulprogrammatische Arbeit ein. Ich denke zum Beispiel an „Lernfelder“ statt an reine „Fächer“. Die Lehrpläne müssen entschlackt und dahingehend aufeinander abgestimmt werden. An unserer Schule denken wir darüber nach, Fachbereiche zu bilden. So ließe sich zum Beispiel fächerverbindender Unterricht effizienter umsetzen. Wichtig ist es auch, die Kollegen zu entlasten und ihre Arbeit aufzuwerten, zum Beispiel unbedingt die gestrichene Klassenleiterstunde wieder einzuführen und die Lehrerstunden für integrativ zu beschulende Kinder wirklich zur Verfügung zu stellen.

Wie kann es gelingen, ausgebildete junge Lehrer in die Oberlausitz zu holen?

Sicher lässt sich da viel über Geld regeln. Damit meine ich aber nicht unbedingt die Verbeamtung, es gibt ja auch andere Wege. Was wir überhaupt nicht gebrauchen können, wäre eine noch größere finanzielle Ungerechtigkeit in den Kollegien, als das jetzt teilweise schon der Fall ist. Wir brauchen generell eine größere moralische und gesellschaftliche Anerkennung der Arbeit, die ein Lehrer leistet. Unsere Oberschule ist offen für die Unterstützung von Lehramtsanwärtern im Referendariat oder auch Studenten im Blockpraktikum. Vielleicht können wir uns so den einen oder anderen „Lehrernachwuchs“ sichern. Wir müssen die Städte und Gemeinden ins Boot holen und den Bewerbern attraktive Angebote für ihr Lebensumfeld machen. In Bischofswerda können wir immer noch von der Nähe zu Dresden profitieren. In Weißwasser, wo ich viele Jahre als Schulleiterin gearbeitet habe, ist das noch viel schwieriger.

Gespräch: Jana Ulbrich