Merken

Die alten Wilden von Hermsdorf

Hinter Dresden an der Großen Röder steht seit 800 Jahren ein Schloss mit Park. Hier stieg August der Starke ab und hier wuchs eine Spionin. Heute gehört das Schloss der Gemeinde und die hat großes Glück.

Teilen
Folgen
© Thomas Schade

Von Thomas Schade

Volker, Manni und Eberhard sind alle über 70 und haben wenig Zeit. Auf Knien schindern sie über den Fußboden im Westflügel von Schloss Hermsdorf und verfugen die Sandsteinplatten des neuen Fußbodens. Eile ist geboten, denn die Interessengemeinschaft Schloss Hermsdorf öffnet am 10. September wieder einmal die Türen, damit Besucher sehen können, dass sich was tut in dem alten Barockschloss. „Da müssen wir was Neues vorzeigen, sonst denken die Leute, wir faulenzen hier nur“, sagt Volker Dreßler. Der ehemalige Kraftwerksingenieur zwinkert mit den Augen, er ist Sprecher der Interessengemeinschaft.

Eberhard Rehor und Volker Dreßler (l.) beim Verfugen.
Eberhard Rehor und Volker Dreßler (l.) beim Verfugen. © Thomas Schade
Der Salon Prinzessin Anna Luise im Obergeschoss. Foto: / /
Der Salon Prinzessin Anna Luise im Obergeschoss. Foto: / / © Thomas Schade
Wappen Schönburg-Waldenburg
Wappen Schönburg-Waldenburg © Thomas Schade

Seit fast einem Jahr sind sie im Westflügel zugange. Bis 1998 speisten hier die Rentner des kommunalen Feierabendheimes. Da waren die Decken abgehängt und nichts zu sehen von den alten Bogendecken mit viel Stuck. Bis zu 28 Farbschichten pickelten die Rentner vorsichtig von den Ornamenten. Allein dafür seien mehr als 1 500 Stunden notwendig gewesen, sagt Dreßler. Nun sind schon Leitungen verlegt. Die Heizkörper müssen nur noch angeschraubt werden, Elektrokabel hängen aus den Wänden. An zwei Tagen in der Woche trifft sich die Gruppe. Bis Herbst soll er fertig werden – der Prinz-Hermann-Salon. „So werden wir das Café nennen, das hier entstehen soll“, sagt Monika Klink. Sie steht auf der Leiter und pinselt den Haftgrund auf die abgewaschenen Wände.

Der Westflügel ist nicht das erste Projekt der Interessengemeinschaft. Die Rentnergang, wie Dreßler die handwerkliche Truppe nennt, hat bereits die Wege im weitläufigen Schlosspark und eine Stützmauer im Norden instand gesetzt und den Gartensaal des Schlosses zu einem sonnigen Feierraum hergerichtet. Bis vor wenigen Jahren war er Abstellkammer und davor Schlafsaal der Alten. Projekte, für die die Gemeinde Ottendorf-Okrilla als Eigentümerin des Schlosses mehrere Hunderttausend Euro im Haushalt haben müsste. Das ehrenamtliche Wirken der Senioren ist zum Glücksfall für die Kommune geworden. Ohne sie wäre das Landschloss wohl dem Verfall preisgegeben.

Wo der Lausebach in die Große Röder mündet, stand vermutlich schon in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts ein Gutshof. Hundert Jahre später wurde der Name Hermansdorf erstmals urkundlich erwähnt. Wiederum einhundert Jahre später residierte mit der Familie Carlowitz die erste Herrschaft in Hermsdorf. Später fiel Hermsdorf zweimal in kurfürstlichen Besitz. Aber die Wettiner gaben die Herrschaft stets wieder ab, meist an Adelsfamilien, die am sächsischen Hofe ein und aus gingen. Eine von ihnen waren die Flemmings. Sie hatten großen Einfluss am Hofe und huldigten August dem Starken heftig, wenn er auf der Reise nach Polen in Hermsdorf abstieg. Doch glücklich wurden die Flemmings in Hermsdorf nicht. Am 4. Juni 1729 brach ein Feuer aus in der benachbarten Brauerei. Die Flammen griffen auf das Schloss über. Es brannte bis auf das Erdgeschoss nieder. Flemming baute es in seiner heutigen Gestalt wieder auf. Aber seine Prunksucht ruinierte die Familie.

Die interessanteste Frau, deren Name mit Hermsdorf verbunden ist, heißt Auguste Charlotte Gräfin von Kielmannsegge. Das meint zumindest Monika Klink. Sie kann nicht nur mit der Malerbürste umgehen. Die Hermsdorferin ging im Schloss in den Kindergarten und saß oft bei den Alten, wenn die über die früheren Zeiten erzählten. Heute gilt sie als ausgezeichnete Kennerin der Ortsgeschichte und führt Besucher durch das Schloss und den Park.

Sie erzählt, dass das adelige Mädchen, eine geborene Auguste Charlotte von Schönberg, nach 1777 in Hermsdorf aufgewachsen sei. Als Geheimagentin Napoleons habe die Adelsdame ihren Platz in den Geschichtsbüchern gefunden. Mit 20 hatte sie den acht Jahre älteren Bonaparte in Italien kennengelernt. Dort zog der Korse gerade gegen den Papst zu Felde. Seither ranken sich Mythen um die Gräfin aus Hermsdorf. Sie war seit 1796 mit einem Grafen aus Lübbenau unglücklich verheiratet. Er starb nach vier Jahren Ehe mit nur 27 Jahren. Bis heute grübelt die Nachwelt, ob die junge Gräfin ihren Gatten mit frischem Kirschkuchen vergiftet hat?

Mit Geschichten wie diesen fesselt Monika Klink die Schlossbesucher schnell. Auch über die letzte Herrschaft auf Schloss Hermsdorf, die Schönburg-Waldenburger, kann sie stundenlang erzählen. Nur durch Zufall seien sie nach Hermsdorf gekommen. Denn auf der Suche nach einem Familiensitz wollte der sächsische General Georg von Schönburg-Waldenburg im Herbst 1864 eigentlich in den Nachbarort, um Schloss Wachau zu kaufen. Doch der Kutscher hatte sich verfahren und den General nach Hermsdorf gebracht. Ein Jahr später ließ sich die Familie hier nieder.

Auch Prinz Hermann, der älteste Spross der Familie, lebte in Hermsdorf, wenn er nicht als Diplomat in preußischen oder sächsischen Diensten unterwegs war. Hermann war der letzte Schlossherr, er starb 1943. Bei ihm gingen die sächsischen Könige in den letzten Jahren ihrer Herrschaft wieder ein und aus. Während der Revolutionswirren im Herbst 1918, so weiß Monika Klink, sei Prinz Hermann nach Dresden geeilt, um Friedrich August III. zum Bleiben zu überreden. Doch der letzte Sachsenkönig war schon abgereist.

Um seinem Besitz auch nach dem Tod nah zu sein, habe Hermann schon zu Lebzeiten eine Gruft unter der Schlosskapelle anlegen lassen. Dort liege der Prinz bis heute. Nur an seinem Sargdeckel fehlen ein paar Schrauben. „Die wurden nicht wiedergefunden, nachdem Rotarmisten 1945 die Gruft geöffnet hatten“, sagt Monika Klink. Die Russen suchten das Tafelsilber des Schlosses. Aber sie suchten vergeblich. „Der größte Teil ist bis heute nicht gefunden“, sagt die Hermsdorferin. Bis auf einen Sack voller Scherben. Den entdeckte ein Einwohner vor dreieinhalb Jahren in einer der alten herrschaftlichen Garagen unter einem Schweinetrog. Von den Alten im Ort weiß Monika Klink, dass die Russen 1945 ihren Spaß daran hatten, das Meissener Porzellan aus dem Fenster zu werfen.

Damals sei viel aus dem Schloss geschleppt worden, sagt Angelika Frenzel. Auch die Mittfünfzigerin aus Dresden ist ein Glücksfall für Schloss Hermsdorf. Sie ist Dekorateurin und hatte den großen Rittersaal im Erdgeschoss vor Jahren für einen Weihnachtsmarkt gemietet. Die Aktion war ein Erfolg. Mittlerweile führt Angelika Frenzel die Betreibergesellschaft Landschloss Hermsdorf, mietet das Schloss ganzjährig und ist Gastgeberin für Feierlichkeiten aller Art – von der Hochzeit bis zum Firmenevent. „Das Ambiente im Schloss und der romantische Park bieten dafür die beste Kulisse“, sagt sie und arbeitet eng mit der Interessengemeinschaft zusammen. Die Frauen richten das Schloss Raum für Raum wieder ein. „Die Leute bringen uns Mobiliar, weil sie sich freuen, dass hier etwas passiert“, sagt Angelika Frenzel. „Ab und zu kaufen wir etwas an, wenn wir es bezahlen können.“ Sogar Möbel, die bis 1945 zum Inventar gehörten, würden wieder auftauchen.

Nachdem die letzten Senioren im Sommer 1998 aus dem Schloss ausgezogen waren, erlebten die alten Mauern zunächst wechselvolle Jahre. Ein paar Maler aus Dresden wollten Hermsdorf zum Kunstschloss machen und erhielten auch den Zuschlag von der Gemeinde. Viel Euphorie habe es damals gegeben, erinnert sich Frank Holata. Er war in jener Zeit Gemeinderat der Linken, später Ortsvorsteher und aktiv in der Schlossparkgesellschaft, die über Jahrzehnte das Volksfest des Ortes veranstaltet hat. Die Ambitionen der Künstler waren groß, aber ihr Budget blieb klein und potente Sponsoren meldeten sich immer seltener. So stritten Gemeinde und Künstler schon bald um Geld und warfen sich gegenseitig Versäumnisse vor. Der Verein versank in Schulden. Die Gemeinde war nicht bereit, die Kunst im Schloss um jeden Preis zu retten. Im Ort redete man nicht mehr vom Kunstschloss, sondern von den Lebenskünstlern, die da eingezogen waren. Nach vier Jahren starb der Traum.

Danach plagte die Gemeinde wieder die Frage: Was tun mit dem alten Herrensitz? Ein Schönheitschirurg aus Leipzig hatte Interesse, erinnert sich Frank Holata. Aber ernsthafte Angebote gab es nicht, denn die Gemeinde hatte beschlossen, dass der Park, die kleine Kapelle und der sanierte Barocksaal als Veranstaltungsraum öffentlich zugänglich bleiben sollten. Das Schloss sei nicht direkt ein Klotz am Bein der Gemeinde, „aber ein Problemkind ist es schon“, sagt Holata. Mit der Schlossparkgesellschaft erhält der 70-Jährige das Kulturleben im Park und im Schloss durch Konzerte, Lesungen und Ausstellungen.

In jener Zeit habe Johannes Rehor, ein langjähriger Gemeinderat, immer wieder gefragt: „Wie wollen wir das Schloss unseren Nachkommen hinterlassen?“ So erzählt es dessen Bruder Eberhard. Der Hans, wie sie ihn nannten, habe sie damals aufgerüttelt, einfach anzupacken und etwas für die Erhaltung des Schlosses zu tun. Leider erlebte er nur kurz, dass sein Drängeln erhört wurde. Johannes Rehor starb im Juni 2014. Zuvor hatte er verfügt, bei der Trauerfeier auf Blumen zu verzichten und stattdessen Geld zu spenden für die Erhaltung von Schloss Hermsdorf.

So seien sie 2013 zusammengekommen und hätten begonnen, die Wege im Schlosspark wieder herzurichten. Schon wegen der Formalitäten halte man nichts von Vereinsmeierei, sagt Volker Dreßler, der Sprecher der Truppe. „Wir sprechen ein Jahr im Voraus alles mit der Gemeinde ab.“ Die versuche, das nötige Geld im Haushalt zu berücksichtigen. Das funktioniere, sagt Dreßler. „Die Gemeinde weiß doch, was sie an uns hat.“

Aber die unruhige Rentnertruppe kann nicht alles. Das Schloss braucht ein neues Dach und eine Heizung. Mit talentierten Heimwerkern und gutwilligen Handwerksbetrieben allein ist das nicht zu stemmen. Da geht es um fünf- und sechsstellige Summen. Darüber entbrennen immer wieder kontroverse Diskussionen. Vom teuren Hobby der Hermsdorfer ist dann die Rede, das sich die Gemeinde nicht leisten könne. Es wurde sogar spekuliert, die Rentner arbeiteten schwarz. Das habe alle getroffen, sagt Dreßler. „Hier passiert nichts ohne Absprache mit der Gemeinde und dem Denkmalschutz.“ Mehr als 6 000 Stunden haben die wilden Rentner geleistet. „Dafür wird uns gedankt, aber dafür sehen wir nicht einen Euro“, so Dreßler. Mit dem Café gebe es bald eine Attraktion mehr, auch wenn noch kein Betreiber gefunden ist. Aber auch dafür haben sie eine Lösung: „Wenn sich keiner findet, bedienen wir eben die Kaffeemaschine“, sagt Monika Klink.