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Da half auch kein Kuchen

Eine Flüchtlingsfamilie aus Syrien bekam erst netten Besuch von Sachsens Innenminister – dann sollte sie abgeschoben werden.

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© Jens Uhlig

Von Thomas Schade

Markus Lippold will nicht sagen, wo sich die Merjans aufhalten. Auch einen Kontakt zu der syrischen Familie möchte er derzeit nicht herstellen. Der Pastor der Stollberger Baptisten-Gemeinde fürchtet, das könnte die Gespräche mit den Behörden gefährden. Der Pfarrer betreut die Flüchtlingsfamilie derzeit an einem geheimen Ort und schützt sie seit einer Woche vor dem Zugriff der Polizei.

Wohl ohne es zu wollen, war die sechsköpfige Familie kurdischer Abstammung in den vergangenen Wochen gleich zweimal in die Medien geraten. Am 9. April hatte man sie auserwählt, Sachsens Innenminister Markus Ulbig zu zeigen, wie das Programm „Asyl statt Abriss“ funktioniert. Der Freistaat hat mehrere Millionen Euro spendiert, mit denen Altbauten zu Asylunterkünften saniert werden sollen. Die Merjans leben in einer so entstandenen bescheidenen Vierraumwohnung in Stollberg.

CDU-Mann Ulbig saß also zwischen den Merjans auf der Couch, verteilte das Polizeimaskottchen Poldi an die Kinder, lobte den selbst gebackenen Kuchen und hörte sich das Schicksal der Familie an. Danach postete er die Bilder auf seiner Facebookseite und sprach von „gelebter Integration auf Sächsisch“. Der 36-jährige Familienvater bat den Minister, sich für ein Asyl der Familie in Deutschland einzusetzen.

Fünf Wochen später, in der Nacht zum 19. Mai wurde die Familie nach Mitternacht von der Polizei aus dem Schlaf gerissen und gegen ihren Willen zum Flughafen Berlin-Schönefeld gebracht. Dort sollte sie am Morgen eine Maschine nach Bulgarien besteigen. Doch die Abschiebung schlug fehl. Die Fluggesellschaft weigerte sich, die Merjans an Bord zu nehmen, der Vater, die schwangere Mutter und die Kinder im Alter zwischen drei und zwölf Jahren waren offensichtlich in einem aufgebrachten Zustand, der sie zu einem Sicherheitsrisiko für den Flug machte.

Ein Sprecher des Innenministeriums sprach gegenüber der Freien Presse von „renitentem Verhalten“. Deshalb brachte man die Familie nach Stollberg zurück, wo sie seither von Pastor Lippold und einer Hilfsorganisation betreut wird.

Die Flüchtlinge, die seit einem halben Jahr in Stollberg leben, sollten nach Bulgarien, weil sie dort in die EU eingereist waren, Asyl beantragt und auch erhalten hatten. Ihr eigentliches Ziel sei aber Deutschland, wo bereits zwei Brüder des Vaters leben, sagt Heiko Reinhold von den Erzgebirgs-Grünen. Nach deutschem Asylrecht musste die Familie indes mit der Abschiebung rechnen. Sie sei mehrfach aufgefordert worden, das Land zu verlassen, so das Innenministerium. Der Grüne Heiko Reinhold spricht dagegen von einem Beispiel für die „völlig unangemessene und inakzeptable Abschiebepolitik“ im Freistaat.

Als der Minister die Familie besuchte, war die Abschiebung längst beschieden. Bereits seit Herbst 2014 laufe dagegen eine Klage, so Reinhold. Am 20. Mai, dem Tag nach dem Abschiebetermin, sollten Mutter und Vater einen Deutschkurs beginnen, der von den Behörden genehmigt worden war. Am Tag vor der Fahrt zum Flughafen sei der Mutter vom Arzt eine Risikoschwangerschaft bescheinigt worden.

Viele, die sich in Stollberg um Flüchtlinge kümmern, fühlen sich nun vor den Kopf gestoßen. „Merjans sind traumatisiert und wollen neu anfangen. Wir helfen dabei, und dann das.“ Damit werde die ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit grob missachtet. Wie es nun weitergeht, ist unklar.