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Crystal, Kohle, Kieselsteine

Bei einer Kontrolle in Riesa erwischt die Polizei einen jungen Mann mit Drogen und jeder Menge Bargeld. Der hat dafür eine abenteuerliche Begründung.

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© Symbolfoto: dpa

Von Stefan Lehmann

Riesa. Im Film fliegen Drogenhändler und -konsumenten oft nach wochenlanger Observierung und spektakulären Razzien auf. In der Realität genügt teilweise ein dummer Zufall oder der richtige Riecher der Polizisten. Das zeigt auch ein Fall aus Riesa, der am Dienstag vor dem Amtsgericht verhandelt wurde.

Es ist kurz vor Mitternacht im November 2016, als einer Polizeistreife an der Grenzstraße ein Radfahrer auffällt, der ohne Licht Richtung Bahnhof unterwegs ist. Die Beamten wenden, um den Fahrer zu kontrollieren. Der damals 30-jährige Ingo W.* ist schon wegen verschiedener Straftaten bekannt, deshalb wollen die Polizisten auch einen Blick in seinen Rucksack werfen. „Dann hat meine Kollegin bemerkt, dass er etwas in der Faust versteckt“, erinnert sich einer der Beamten. Als der Polizist den Gegenstand ansehen will, versucht W. plötzlich, ihn in den Mund zu stecken – und schlägt dem Polizisten dabei ins Gesicht. Dann reißt er sich los, wirft den Gegenstand auf ein Grundstück und versucht in Richtung Bahnhof zu türmen. Weit kommt er nicht: Nach zwei, drei Metern überwältigen ihn die Beamten.

Das seltsame Verhalten hat einen guten Grund: In dem Tütchen, das Ingo W. über den Zaun geworfen hat, finden die Beamten zwei kleinere Cliptütchen mit insgesamt etwas mehr als sieben Gramm Crystal. Ist der junge Mann ein Dealer? Im Rucksack finden die Polizisten zumindest keine weiteren Cliptütchen oder eine Feinwaage. Stattdessen sei die Tasche „vollbepackt mit Steinen“ gewesen, erinnert sich die Polizistin, die dabei war. Darauf angesprochen, sagt W., er sammle Steine, finde sie schön.

Mehr als für die Kieselsteine interessieren sich die Beamten aber für das Bargeld, das der 31-Jährige dabei hat. Rund 2 800 Euro sind es, die er in dieser Nacht bei sich trägt. Kein Wunder also, dass auch die Polizisten zuallererst glauben, einen Dealer vor sich zu haben, der gerade auf dem Rückweg von einem seiner Botengänge ist. Der Durchsuchte hat allerdings eine ganz eigene Erklärung parat: Das sei bei ihm völlig üblich, rechtfertigt er sich. „Ich habe kein Konto.“ Dazu passt, dass er von der Polizei an der Grenze zu Tschechien schon einmal mit fast der gleichen Summe kontrolliert worden ist – auch damals hatte er Drogen dabei. Als ihn die Richterin fragend anschaut, nestelt er sogar an seiner Tasche, will zum Beweis einige hundert Euro herausholen. Sein Anwalt interveniert.

Der Fund wirft aber die Frage auf, woher das Geld stammt. Die Erklärung dafür ist nicht weniger abenteuerlich. Er habe mal beim Aufbau einer Spielothek mitgeholfen und wisse, wie er an den Automaten Gewinn machen könne, behauptet Ingo W. Mit den Gewinnen aus Spielhallen im Raum Chemnitz, in Tschechien und im Erzgebirgskreis bestreite er einen guten Teil seines Lebensunterhalts. Hartz IV bezieht er nicht, sagt er. Die Pflicht, jeden Urlaub vorher beim Amt anzumelden, schon das habe ihn abgeschreckt.

Die Drogen jedenfalls seien für den Eigenbedarf gewesen, räumt Ingo W. ein. Mehrere Therapieversuche hat er schon durch, doch immer wieder wurde er rückfällig. Meist gingen zeitgleich auch seine Beziehungen in die Brüche. Ob die Sucht nun Auslöser oder Folge dafür war, bleibt offen. Weil er schon mit 13 Jahren angefangen hat, Rauschmittel zu nehmen, hat auch seine Persönlichkeitsentwicklung gelitten. Er habe zwar einen IQ, mit dem er auch hätte studieren können, sagt eine Neurologin über W. Voll schuldfähig sei er aber trotzdem nicht. Immerhin sieht die Gutachterin ihn mittlerweile auf einem guten Weg: Die Abhängigkeit sei nicht mehr so stark ausgeprägt. Statt Crystal konsumiert er nur noch Cannabis und Speed, sagt er. Außerdem hat er bereits ein Gewerbe angemeldet, will einen Holzhandel eröffnen. Ein Auto für den Transport hat er schon gekauft. Er hoffe darauf, nun schnell den Führerschein wiederzubekommen.

So optimistisch wie er beurteilt Richterin Ingeborg Schäfer Ingo W.s Zukunft allerdings nicht. „Sie haben kein Konto, wollen sich aber selbstständig machen. Sie haben keinen Führerschein und werden den auch auf absehbare Zeit nicht wiederbekommen – aber Sie haben schon mal ein Auto gekauft. Bei mir klingeln da alle Alarmglocken, wenn ich Sie reden höre“, sagt sie. Wegen unerlaubten Drogenbesitzes und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt sie ihn zu neun Monaten Haft, die sie für vier Jahre zur Bewährung aussetzt. Die Auflagen sind happig: 150 Arbeitsstunden muss er leisten, außerdem bekommt er einen Bewährungshelfer und muss zur Suchtberatung mit dem Ziel, eine stationäre Entwöhnungstherapie zu machen. „Sie sollten unter Kontrolle sein“, so die Richterin. Zwar habe er seine Probleme möglicherweise besser im Griff. „Sie sind da aber noch nicht durch.“ Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

* Name geändert.