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Das Smartphone als Waffe

Cybermobbing ist auch an Sachsens Schulen verbreitet. Die Polizei will im Unterricht aufklären. Aber auch mit Eltern und Lehrern arbeitet sie. Unterdessen nehmen die Mobbingfälle enorm zu.

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© Symbolfot: dpa

Von Andrea Schawe

Facebook ist out. Nur wenige Hände gehen nach oben, als Susen Heerwagen die Klasse fragt, wer ein Profil in dem sozialen Netzwerk hat. „Heutzutage seid ihr doch alle bei Instagram.“ Die Zahl der Hände gibt ihr recht. Die Mehrheit zeigt auf der Foto-Plattform Bilder von sich. Und was ist mit WhatsApp? Ein Raunen geht durch das Zimmer. „Na klar, was für eine Frage“, sagt Susen Heerwagen. Fast alle nutzen die App zum Chatten für das Smartphone.

Die Polizeihauptmeisterin hatte das erwartet. Sie steht vor einer siebten Klasse an der Oberschule in Weißig. „Ab welchem Alter darf man WhatsApp eigentlich benutzen?“ Ab 16 Jahre, schlägt ein Schüler vor. „Und wie alt seid ihr?“ Viele der Siebtklässler sind noch keine 14 Jahre alt.

„Genau hier fängt das Problem an“, sagt die 40-Jährige. Heerwagen arbeitet im Gewaltpräventionsteam der Polizeidirektion Dresden, seit zwei Jahren hat sie sich auf Neue Medien und Sicherheit im Internet spezialisiert. „Das ist ein Riesenthema“, sagt sie. Die Polizei macht nicht nur Unterricht in den Schulen, sie veranstaltet auch Elternabende und Lehrerweiterbildung. Heerwagen versucht, aufzuklären – und so vorzusorgen. Den Jugendlichen soll bewusst werden, was mit ihren Daten im Internet passieren kann – und dass sie mit ihrem Verhalten auch Straftaten begehen.

Beispiel WhatsApp: Fast keiner der Siebtklässler weiß, dass sie das Recht am Profilbild abgegeben haben – Facebook kann es als Eigentümer der App frei nutzen. „Wer hat denn ein Bild mit einer Freundin oder einem Freund? Wissen sie das? Ja, okay. Aber habt ihr auch die Eltern gefragt?“ In Deutschland gilt das Recht am eigenen Bild. Das bedeutet, Fotos und Filme dürfen nicht verbreitet werden, wenn die gezeigte Person nicht einverstanden ist – im Fall von Minderjährigen braucht man eigentlich eine schriftliche Bestätigung der Eltern, erklärt die Polizistin. Ungläubig schütteln die Schüler den Kopf.

Cybermobbing ist an Sachsens Schulen ebenfalls ein Problem. „Die Fälle nehmen enorm zu“, so Heerwagen. Jeden Tag gingen neue Klagen bei spezialisierten Rechtsanwälten ein. „Mobbing ist Gewalt in jeglicher Form: egal, ob verbal, körperlich oder nonverbal, egal, ob in der Klasse oder im Internet.“ Nach einer aktuellen Pisa-Studie ist jeder sechste 15-Jährige regelmäßig Opfer von teils massiver körperlicher oder seelischer Misshandlung durch Mitschüler. Sie werden gehänselt, bloßgestellt, durch Mitschüler bedroht und erpresst, aber auch ausgegrenzt und Opfer böser Gerüchte.

Das Smartphone ist dabei eine Waffe: Denn das Internet vergisst nie, das Internet folgt einem überall hin. „Eine Beleidigung wie ,fette Sau‘ sagt sich im Netz leichter als in der Wirklichkeit“, sagt Heerwagen. Die Reaktion des Gegenübers fehlt, die Anonymität macht es den Tätern leichter. „Trotzdem bleibt es eine Straftat.“ Selbst bei Kindern unter 14 Jahren, die noch nicht von einem Gericht verurteilt werden dürfen, können Ermittler aktiv werden. Ab sieben Jahre können Kinder zur Verantwortung gezogen werden, erklärt Heerwagen. „Herzlich willkommen im Leben.“ Statt Zuschauer, Mitläufer oder Mittäter zu sein, sollen die Schüler helfen. „Seid ein Team, guckt nicht weg. Redet mit Eltern, Lehrern und Geschwistern.“

An der Tafel hängt das Foto eines jungen Mädchens, große geschminkte Augen, lange dunkle Haare. „Kennt ihr sie?“, fragt Susen Heerwagen. „Sie war auf Youtube, weil sie ein Video zu ihrer Geschichte gedreht hat“, sagt eine Schülerin. „Und sie weilt nicht mehr unter uns“, ergänzt Heerwagen. Die 15-jährige Amanda Todd wurde monatelang von ihren Mitschülern wegen eines Nacktfotos im Internet gemobbt. Ein Mann hatte es an die ganze Schule verschickt und es bei Facebook veröffentlicht. 2012 nahm sich die Kanadierin das Leben.

Freizügige Fotos, die in Chats hin- und hergeschickt werden: Das ist Verbreitung von Kinderpornografie. „Die Kinder wissen nicht, was sie tun und dass sie sich strafbar machen, wenn sie freizügige Fotos von sich oder anderen verschicken.“ Die Polizistin bohrt nach: Kennt ihr alle eure Freunde im Internet persönlich? Habt ihr sie gesehen? Habt ihr jemandem schon mal ein Bild von euch geschickt? Auch in Unterwäsche? „Das ist heute total normal, ich möchte nicht wissen, wer es hier schon gemacht hat“, sagt die Polizeihauptmeisterin. Sie steht frontal vor der Klasse und behält die Schüler genau im Blick. Keine Stuhlkreise, keine Rollenspiele. „Bei diesem Thema ist es wichtig, dass sie zuhören. Und so sehe ich auch jeden verschämten Blick.“