Merken

Bärte, Waffen, schwarze Kleidung

Von Schutzgeld-Erpressung bis Mordversuch: drei Verfahren gegen 13 Angeklagte bringen die Justiz an ihre Grenzen.

Teilen
Folgen
© Gerald Hänel

Von Alexander Schneider

Extra-Kontrollen vor dem Verhandlungssaal, Morddrohungen und Polizeischutz für die Zeugen – das ist das Begleitprogramm der drei zurzeit wohl spektakulärsten Prozesse am Landgericht Dresden. 13 Männer müssen sich unter anderem wegen Schutzgelderpressung, gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung verantworten.

Die Dresdner Staatsanwaltschaft wirft den Männern aus Osteuropa, die vor allem aus Tschetschenien stammen, Bildung einer kriminellen Vereinigung vor. Ihr einheitliches Auftreten wird mit dem Tragen von Bärten, schwarzer Kleidung, Schusswaffen und Messern beschrieben. Schon jetzt ist klar: Diese Verfahren werfen nicht nur das Licht der Öffentlichkeit auf einen meist im verborgenen wirkenden mafiösen Mechanismus, sie bringen die Dresdner Justiz auch an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit.

Die Durchsuchungen und Festnahmen der mutmaßlichen Täter waren ein erster Vorgeschmack auf das, was dann kommen sollte. An dem aufsehenerregenden Großeinsatz Anfang November 2016 in mehreren Bundesländern waren auch Spezialeinsatzkommandos der Polizei (SEK) und die GSG 9 der Bundespolizei beteiligt. Durchsucht wurden Wohnungen und Asylbewerberunterkünfte in Dresden, Pirna, Radeberg, Leipzig, Gotha (Thüringen) und Rheinland-Pfalz.

Die Uniformierten stellten bei den Verdächtigen, von denen viele in der Securityszene verortet werden, neben Handys und Speichermedien mehrere Tausend Euro Bargeld, scharfe Munition, zahlreiche Waffen und geringe Mengen Haschisch und Marihuana sicher. Das Waffenarsenal zeigt, dass zumindest die Sorge begründet war, dass es sich bei den Verdächtigen um sehr gefährliche Männer handeln könnte. Bis heute ist das so geblieben. Die meisten sitzen noch immer in Untersuchungshaft. Die Angeklagten sitzen strikt getrennt in verschiedenen Anstalten in mehreren Bundesländern und werden aufwendig bewacht. Die regelmäßig anstehenden Haftprüfungstermine im Amtsgericht Dresden sind jedes Mal besondere Einsätze für die Uniformierten.

Zwei verschiedene Strafkammern sind nun mit dem Tschetschenen-Fall beschäftigt. Fünf Angeklagte im Alter von 28 bis 31 Jahren müssen sich vor der Schwurgerichtskammer verantworten, weil den Männern unter anderem auch ein Mordversuch vorgeworfen wird. Dabei geht es um eine Schießerei im Dresdner Osten. Mehrere Angeklagte sollen versucht haben, einen Gegner mit ihrem Auto zu überfahren. Als der Mann, ein heute 24-jähriger Deutsch-Iraker, mit seiner Pistole das Feuer eröffnet hatte, sollen die Männer aus ihrem BMW zurückgeschossen haben. Das war Ende September 2015, lange vor der Verhaftung der Verdächtigen.

Bemerkenswert ist weiter, dass ein Großteil der Tschetschenen und der 24-Jährige in der „Sicherheitsbranche“ arbeiten. Im Verfahren selbst ist bislang nicht viel passiert. Ein 34-Jähriger hat acht Sitzungstage lang ausgesagt, wie er als drogensüchtiger Heroin-Dealer in Kontakt mit den Angeklagten geriet, wie er von ihnen in seiner Wohnung zusammengeschlagen wurde, und wie sie ihn und seine Familie über Monate unter Druck gesetzt hätten. Der Mann, der offiziell noch nicht im Zeugenschutzprogramm ist, wird wohl in allen drei Verfahren aussagen. Mehrere Polizeibeamte schützen ihn. Kurz vor seiner Aussage gab es Morddrohungen gegen seine Mutter, die ebenfalls von den Angeklagten bedroht worden sein soll.

Sind Verdeckte Ermittler im Spiel?

Zwei weitere Prozesse haben im November und im Dezember 2017 gegen drei beziehungsweise fünf Angeklagte vor der neuen Staatsschutzkammer begonnen. In allen drei Verfahren geht es mehr oder weniger um dieselben Taten und dieselben Geschädigten. Die Anklageschriften weichen nur in wenigen Punkten voneinander ab. Dennoch gibt es in den Prozessen recht unterschiedliche Entwicklungen. So rügten die Verteidiger in dem zuletzt begonnenen Verfahren, dass ein Geschädigter in wenigen Wochen rund 200-mal mit einer Kontaktperson von der Polizei oder dem Verfassungsschutz telefoniert habe.

Das jedenfalls behaupten die Verteidiger und vermuten hinter diesen Kontakten verdächtige Absprachen oder den Einsatz eines Verdeckten Ermittlers (VE) beziehungsweise einer Vertrauensperson (VP). Denn die Handynummer sei einem Anschluss des Innenministeriums zuzuordnen. Der Vorsitzende Richter Mrodzinsky teilte die Bedenken der Anwälte und veranlasste, diese Telefonate aufzuklären.

Die Kooperation des Vorsitzenden ist ein kleiner Erfolg der Verteidiger. Die Prozesse laufen ansonsten alles andere als kooperativ ab. Die Angeklagten äußern sich nicht zu den Vorwürfen und ihre Anwälte versuchen, wann immer es geht, die Glaubwürdigkeit von Zeugen zu erschüttern und Ungereimtheiten aufzudecken.

Von Letzteren scheint es genug zu geben, was sich schon allein am Aktenumfang zeigt – und am Verhalten der mutmaßlichen Täter, wie es die Anklage beschreibt: hohe Konspiration, Abschotten nach Außen und die Anweisung, Ermittlern keine Details preiszugeben. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft ist die Gruppe, die in Dresden und Umgebung ihr Unwesen getrieben hat, auch in größere, überregionale Strukturen der osteuropäischen Mafia eingebunden, zumindest durch das Wirken einiger der Angeklagten. Die Ermittler sprechen von „russisch-eurasischer organisierter Kriminalität – REOK“.

Das Phänomen beschreibt vor allem Täter aus ehemaligen Sowjetrepubliken, die sich an einem eigenen Normen- und Wertesystem orientieren und einem eigenen Kodex verpflichtet fühlen. Das verspricht zumindest eine interessante Beweisaufnahme. Doch davon ist bislang noch wenig zu sehen. Die Prozesse gehen nur schleppend voran und niemand vermag derzeit eine Prognose abzugeben, ob sie tatsächlich im Jahr 2018 enden oder nicht.