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Bäckermeister muss aufgeben

Swen Liebsch aus Leisnig kann nicht einmal mehr kleine Brötchen backen. Damit endet ungewollt eine Familientradition.

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© Dietmar Thomas

Von Heike Heisig

Leisnig. So riecht Kindheit, die Vorweihnachtszeit. Ein Hauch von Vanille, Zucker und frischem Backwerk liegt in der Luft, scheint sich am Inventar im Erdgeschoss des Hauses Kirchstraße/Ecke Burglehn festgesogen zu haben. Kein Wunder: Mehr als 40 Jahre standen dort zwei der Männer der Familie Liebsch an der Knetmaschine und am Backofen. Doch der bleibt jetzt kalt. Swen Liebsch (45) muss aufgeben. Seine Gesundheit spielt nicht mehr mit. Die Diagnose Knochenschwund zwingt ihn, den Beruf an den Nagel zu hängen. Das ist bitter, hauptsächlich für ihn, aber auch für die Familie und traurig für seine Kundschaft.

Jahrzehntelang standen bei vielen Familien in Leisnig am Morgen frische Brötchen aus der Backstube der Liebschs auf dem Frühstückstisch. Zunächst sorgte Vater Frank Liebsch dafür, der 1976 die Bäckerei Ruhm übernahm. Schon der Großvater sei Bäcker in Sayda gewesen. Beim Wintersport hätten sich die Eltern kennengelernt und seien dann nach Leisnig gekommen, um den Handwerksberuf auszuüben. „Damals gab es allein am Schlossberg noch zwei Bäckereien und weitere in der Stadt oben“, erinnert sich Swen Liebsch.

Er ist sozusagen in der Backstube groß geworden. Nur kurzzeitig hatte er den Wunsch, etwas anderes als sein Großvater und sein Vater zu werden – nämlich Pilot. Auch das Studium musste er verwerfen. Lebensmitteltechnik, das hätte ihn interessiert. Doch als Sohn eines zu DDR-Zeiten Selbstständigen hätte er sich verbiegen müssen, um vielleicht an einen Studienplatz zu kommen. Das wollte er nicht. Also lernte er beim Vater das Bäckerhandwerk.

Als Frank Liebsch 2003 die Diagnose Krebs bekam, übernahm Swen das Geschäft, um den Vater zu entlasten. Jetzt ist er selbst mit einer schlimmen Krankheit konfrontiert, kann kaum etwas machen, damit es ihm besser geht. „Alle bisherigen und herkömmlichen Therapien haben bei mir bislang nicht angeschlagen“, erzählt der 45-Jährige. Deshalb hat er sich darauf eingelassen, mit seinen Medizinern an der Uni-Klinik in Leipzig zu experimentieren. Das könnte helfen, die Krankheit aufzuhalten. „Gesund werde ich nicht wieder“, sagt der Handwerker.

Weil seine Ärzte ihn nicht aufgeben, will er das genauso wenig tun. „Außerdem habe ich Verantwortung“, sagt er und zeigt nach oben. Über der Backstube lebt er mit seiner Partnerin Anja Kaufmann, dem 13-jährigen Sohn und der Tochter (9). Anja Kaufmann hat bisher die Verkaufsstelle am Leisniger Markt geführt. Diese musste wegen der Geschäftsaufgabe zum 31. Oktober schließen. Die Filiale im Pennymarkt konnte der Leisniger Bäckermeister schon vor zwei Jahren nicht mehr halten, als er die ersten Male länger ins Krankenhaus musste. In der Zeit konnte schließlich nichts hergestellt werden. Seine Lebenspartnerin habe einen neuen Job und die Familie außerdem ein kleines Auskommen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung in Aussicht. Seine Mutter Hella, die häufig mit geholfen hat, kommt als Rentnerin auch ohne diese Verpflichtungen aus.

Die Backstube zu vermieten, darum hat sich Swen Liebsch nicht übermäßig intensiv bemüht. Jüngere Bäcker, auch seine ehemaligen Lehrlinge, ziehe es eher in größere Städte. Außerdem sei der Standort in Leisnig ungünstig, man müsse immer Miete für ein Ladengeschäft ausgeben. Das allein rechne sich aber nicht. In mehreren Pflegeheimen der Region hatten die Liebschs treue Großkunden. Wegen denen war für Swen Liebsch die Nacht beinahe jeden Tag schon kurz nach Mitternacht zu Ende. Denn 5.30 Uhr mussten Brot und Brötchen zur Auslieferung an die Pflegeheime bereitstehen. Nach der Arbeit in der Backstube legte sich der 45-Jährige meist noch einmal aufs Ohr. Die wenige Zeit danach beanspruchte die Familie oder es war Büroarbeit vonnöten. Weil er deshalb auch sein Ehrenamt als Stadtrat kaum wahrnehmen konnte, legte er es im Frühjahr nieder.

Den Entschluss, die Bäckerei zu schließen, hat sich Swen Liebsch nicht wirklich lange überlegen können. Weil er im September mehrfach in der Backstube zusammengebrochen war, fiel im Familienrat relativ rasch die Entscheidung, dass zum 31.   Oktober Schluss sein muss. „Die Mediziner könnten sich vorstellen, dass nun auch die Ruhe dazu beitragen könnte, dass eine Behandlung in Zukunft besser anschlägt.“ Swen Liebsch hofft, dass die Ärzte recht haben. Zugleich bereitet er sich auf ein Leben im Rollstuhl vor. Ein altstadtpflastertaugliches Modell steht bereit.

„Ich will und muss das Beste aus der Situation machen“, sagt der 45-Jährige. Kann der Knochenschwund aufgehalten werden, dann will er wieder arbeiten. Schließlich gebe es auch Jobs für Rollstuhlfahrer. Zuhause falle ihm ganz sicher die Decke auf den Kopf. An die Bäckerei wird dann womöglich nur noch der Duft erinnern, den die Mauern sozusagen ausatmen. Von der Technik in der Backstube will sich Swen Liebsch trennen. Einige Kollegen hätten Bedarf angemeldet. Fürs Museum sei das meiste zu schwer.