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„Zum Kampf gegen Misteln aufzurufen, ist unangemessen“

Wie sehr schaden Misteln den Bäumen? Die Stadt will den Halbschmarotzern zu Leibe rücken. Nicht nötig, sagt ein Experte.

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© privat

Herr Roloff, Sie haben sich die Mistelplage in Coswig angesehen. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

Ich war einigermaßen erstaunt über die wenigen Misteln. Ich musste schon sehr suchen, bis ich welche fand, zum Beispiel in der Grünanlage an der Grundschule Mitte. Ein Grund kann natürlich sein, dass dort gerade intensive Bekämpfungsmaßnahmen stattgefunden haben. Auffällig ist, dass die Misteln dort fast nur auf Silber-Ahornen wachsen. Diese Baumart aus Nordamerika ist dafür bekannt, dass sie sehr intensiv von Misteln besiedelt wird, die Bäume daneben sind fast alle mistelfrei.

Wie schlimm ist so ein Mistelbefall für die Bäume wirklich?

Wir führen am Institut seit über zehn Jahren zahlreiche tiefgehende Untersuchungen zur Mistel durch, um den Befall und die Schäden zu untersuchen. Danach stellt sich die Situation deutlich anders und relativ entspannt dar. Im Gegenteil: Man wird sogar ehrfürchtig vor dem Lebewesen Mistel, da es sich um eins der faszinierendsten und ganz besonderen Gehölze unserer einheimischen Flora handelt. Ein gewisser Mistelbestand in Baumkronen ist nach unseren Untersuchungen weitgehend unbedenklich, stellt zudem eine wichtige Nahrungsgrundlage für viele Vögel in einem Winter wie diesem dar und ist auch für andere Tiergruppen bedeutsam.

Also schaden sie gar nicht?

Oft ist es so, dass vor allem geschwächte Bäume von Misteln befallen werden, die Schädigung muss also gar nicht durch die Mistel verursacht sein, sondern kann schon vorher gegeben gewesen und sogar die Ursache sein. Durch Mistelbefall absterbende Bäume sind extrem selten. Dies ist auch alleine schon deshalb herleitbar, da sich damit die Mistel ihre eigene Lebensgrundlage entzieht.

Wie viele Misteln verträgt ein Baum?

Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass bis zu einem Befall von fünf bis zehn Misteln pro Baum kein Risiko einer Massenvermehrung besteht. Diese Anzahl ist immerhin doppelt so groß wie die von Thomas Werner-Neubauer genannte von vier bis fünf Exemplaren je Baum. Für eine Bewertung kommt es extrem auf die Baumart an, auf der die Misteln wachsen. Die allermeisten Baumarten haben mit Misteln kein Problem und werden nur mäßig befallen, lediglich bei mistelholden Arten kann es zu starkem Befall innerhalb kurzer Zeit kommen. Das sind vor allem Hybrid-Pappeln, mäßiger an Linden, Birken, Ahorn, Apfel und Robinie.

Wann rückt man den Misteln am besten zu Leibe?

Der beste Schnittzeitpunkt ist nicht jetzt, sondern im November, da man die geschnittenen Misteln für 5 bis 10 Euro pro Stück auf Weihnachtsmärkten sehr gut verkaufen kann und so wenigstens einen Teil der hohen Schnittkosten wieder hereinbekommt. Starker Schnitt fördert die Misteln, denn sie benötigen viel Licht. In dichten Kronen hingegen haben sie Schwierigkeiten und werden oft „ausgedunkelt“. Das bedeutet, dass ausgerechnet die geforderten starken Schnittmaßnahmen sehr zur Förderung der Misteln beitragen können, da sie die Kronen auslichten.

Ihr Fazit?

Es ist unbedingt Gelassenheit angebracht, eine Mistelbekämpfungsstrategie ist maßlos übertrieben, unangebracht und führt nur zu weiteren Problemen. Zum Kampf gegen die Misteln aufzurufen, finde ich vollkommen unangemessen. Misteln sind Gehölze, die früher aufgrund ihrer einmaligen Biologie und ihrer wertvollen medizinischen Inhaltsstoffe bei uns heilig waren, daher sollten wir auch heute noch einen gewissen Respekt haben.

Das Gespräch führte Peggy Zill.