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Zuhause in der Zigarrenfabrik

Das alte Fabrikgebäude an der B 170 in Bannewitz wird saniert. Der Eigentümer ist jung und hat ehrgeizige Ziele.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Verena Schulenburg

Bannewitz. Der Schriftzug ist neu. Trotzdem dürfte er manchem Bannewitzer bekannt vorkommen. „Alte Zigarrenfabrik Gebrüder Patzig“ steht in kursiv gedruckten Buchstaben auf der hellen Fassade, für die vorbeirauschenden Autofahrer gut sichtbar. Der alte Industriebau, hier an der B 170 im Bannewitzer Ortsteil Hänichen, ist zu neuem Leben erweckt. An seine Vergangenheit erinnert aber nichts mehr. Selbst der Schriftzug stammt nicht von dieser Fassade. Er zierte vielmehr das ehemalige Wohnhaus etwas weiter drüben, das unmittelbar an der Dresdner Straße stand, irgendwann aber baufällig war und abgerissen wurde. Das 1897 errichtete Industriegebäude aber hielt und wird nun saniert.

Die Balkone am Fabrikgebäude sind neu, ebenso der Schriftzug.
Die Balkone am Fabrikgebäude sind neu, ebenso der Schriftzug. © Karl-Ludwig Oberthür
Das Wohnhaus und die Fabrik im Hintergrund, in den 1930ern.
Das Wohnhaus und die Fabrik im Hintergrund, in den 1930ern. © privat

Der junge Mann, der sich dieser Aufgabe gestellt hat, ist Jürgen Brandt. Dabei versteht der 26-Jährige eigentlich nicht viel vom Bauwesen. „Was das angeht, habe ich zwei linke Hände“, sagt der sympathisch ehrliche Bannewitzer, der seit seinem sechsten Lebensjahr in der Gemeinde wohnt. Zum Glück muss Jürgen Brandt auch nicht selbst Hand anlegen, um in dem Fabrikgebäude schickes Wohnen zu ermöglichen. Seit vorigem Herbst gehen die Handwerker ein und aus. „Eigentlich musste alles neu gemacht werden“, sagt Brandt, der das Haus 2013 kaufte und mittlerweile selbst im Dachgeschoss lebt. – Dort, wo früher Tabakblätter zum Trocknen hingen.

Abgesehen von dem üblichen alten Standard, den es aufzuhübschen gilt, machte dem jungen Bauherren vor allem ein Wasserschaden zu schaffen – eine Hinterlassenschaft des Voreigentümers. Etliche Holzbalken und Deckenkonstruktionen mussten deshalb erneuert werden, auch die Heizung, sogar alle Leitungen im Haus. „Die haben wir gleich mit erneuert, um kein Risiko einzugehen“, sagt der Bannewitzer und runzelt die Stirn: „Da bin ich ein gebrandmarktes Kind.“ Mittlerweile sind Decken, Boden und Wände schick. Auch Balkone wurden angebaut. Nun stehen lediglich noch ein paar Restarbeiten aus. Bis April soll drinnen alles fertig sein. Die Außenanlagen werden im Anschluss gemacht. Dann sei alles hübsch für die Mieter. Diese kommen hauptsächlich aus der Familie des Bauherren. Lediglich die große Vierraumwohnung im Obergeschoss des Hauses wird fremdvermietet – für über acht Euro kalt pro Quadratmeter.

Nicht gerade ein Schnäppchen. Das weiß Jürgen Brandt. Doch das Geld sei die Wohnung wert, erklärt er. Im Erdgeschoss stehen sogar noch die Sportgeräte vom Fitnessstudio, das zuvor hier betrieben wurde, und die genutzt werden können. Die Ausstattung der Wohnung ist nicht nur modern, sondern auch hochwertig. An Fliesen, Laminat und Badgarnituren sei nicht gespart worden. Außerdem verfügen Türen und Fenster über die höchste Schallschutzklasse. Von dem Verkehr der Bundesstraße ist drinnen nichts zu hören. Lange musste Jürgen Brandt auch nicht nach interessierten Mietern für die 107 Quadratmeter große Vierraum-Wohnung suchen. „Ich hatte binnen kurzer Zeit 75 Anfragen“, erzählt er. Der Grund dafür liege auf der Hand: „So viel große Wohnungen gibt es in Bannewitz eben nicht“, sagt der 26-Jährige.

Wenn er nicht gerade über seine Baustelle in Bannewitz huscht, dann berät er Kunden in Sachen Versicherung und Finanzen. Wenigstens dieses Fachwissen, sagt Brandt etwas selbstironisch, komme ihm in Sachen Immobilien entgegen. Nach entsprechenden Ausbildungen hat sich Brandt, der in Dresden geboren wurde, mit 22 Jahren selbstständig gemacht.

Und wie kommt man auf die Idee, mit Mitte Zwanzig Bauherr zu werden? Eine Frage, bei der Jürgen Brandt etwas ernster wird. Es war vor zehn Jahren, erzählt er, als seine Mutter starb. Das Geld, was er erbte, hat Brandt gespart und als Startkapital für die Hausfinanzierung genommen. Andere in seinem Alter würden davon vielleicht eine tolle Reise machen oder es für Partys ausgeben, meint er. Das sei aber nicht seine Art. „Ich sehe es als Kapitalanlage“, sagt Jürgen Brandt. Er könnte damit recht behalten. Die Preise für Wohnen steigen seit geraumer Zeit. Gemeinden wie Bannewitz profitieren von dem Wachstum der benachbarten Landeshauptstadt Dresden.

Rund 500 000 Euro hat Jürgen Brandt in die Bauarbeiten investiert. Eine Investition, die sich lohnt, findet Marion Papperitz. Die 71-Jährige wohnt in unmittelbarer Nachbarschaft und hat eine ganz besondere Verbindung zu der alten Zigarrenfabrik. „Mein Großvater gehörte sie“, erzählt Marion Papperitz, die vor ihrer Hochzeit noch Patzig hieß. Curt Patzig übernahm 1912 den Betrieb der Fabrik. Während anfangs dort „50 Männer arbeiteten, stieg im Ersten Weltkrieg die Zahl der Beschäftigten auf 100, meist Frauen und zur Hälfte Heimarbeiter“, heißt es in der Bannewitzer Chronik. 1931 musste Curt Patzig wegen der Weltwirtschaftskrise die Produktion einstellen. Die Geschichte des Hauses aber ging weiter: 1935 bis 1958 wurden in dem Gemäuer statt Zigarren Hüte hergestellt und bis 1973 tobte hier der Nachwuchs aus dem Ort – im Kindergarten.

An unbeschwerte Stunden ihrer Kindheit denkt auch Marion Papperitz zurück, wenn sie die alte Zigarrenfabrik sieht. „Als Kinder haben wir hier gespielt und im großen Garten dahinter getobt“, erinnert sich die Rentnerin. Und in dem einstigen Wohnhaus, das zur Fabrik gehörte, aber abgerissen werden musste, hätten vier Familien ihr Zuhause gehabt. Eine Erinnerung, die erneut Wirklichkeit werden könnte. „Wenn es klappt“, sagt Jürgen Brandt, „wird das ehemalige Wohnhaus irgendwann wieder errichtet.“