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„Zu wenig Miteinander“

Die Kulturwissenschaftlerin Susanne Hose kritisiert die getrennten Lebenswelten von Deutschen und Sorben und will hier an möglichst früher Stelle gegensteuern.

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© dpa

Von Madeleine Arndt

Bautzen. Bautzens sorbische Kultur zeigt sich in erster Linie bei Festen. Nach den Osterfeiertagen stehen die Sorben in dieser Woche beim internationalen Folklorefestival wieder im Mittelpunkt. Das reicht Dr. Susanne Hose, Kulturwissenschaftlerin am Sorbischen Institut und Sprecherin des Arbeitskreises für sorbischen Angelegenheiten in der Stadt, bei Weitem nicht aus.

Dr. Susanne Hose, Kulturwissenschaftlerin am Sorbischen Institut.
Dr. Susanne Hose, Kulturwissenschaftlerin am Sorbischen Institut. © privat

Frau Hose, Bautzen gilt als Hauptstadt der Sorben – zurecht?

Es ist eine Tradition, dass Bautzen als Hauptstadt der Sorben bezeichnet wird. Zurecht, weil hier wesentliche kulturelle Institutionen ansässig sind: Der Hauptsitz der Domowina, der sorbische Verlag, das National-Ensemble, das Deutsch-Sorbische Volkstheater, das Sorbische Institut.

Aber?

Sorbisch ist seit der Wende aus dem Stadtbild zunehmend verschwunden. Vor 1990 waren viele Läden zweisprachig ausgezeichnet: das Haus der Mode, das Haus des Buches. Heute nicht mehr. Es wäre aber schön, wenn etwas – sei es die Öffnungszeit – am Laden zweisprachig rüberkommt, weil er sich eben in Bautzen befindet. Manche Händler befürchten, dass dann Kunden ein sorbisches Verkaufsgespräch wollen. Das Problem sehe ich nicht. Auch vor der Wende hatten die wenigsten Läden sorbischsprachige Verkäuferinnen eingestellt.

Warum ist die Beschilderung wichtig?

Wir demonstrieren damit erstens, dass wir den sorbischsprachigen Teil der Bevölkerung wertschätzen, indem wir beide Muttersprachen in dieser Stadt zeigen. Zweitens, aus Verantwortung gegenüber Bautzens bikultureller Tradition und drittens, weil wir als Hauptstadt bei der Erfüllung des Sächsischen Sorbengesetzes eine Vorbildfunktion haben.

Sorbisch sollte Ihrer Meinung auch in Schulen eine wichtige Rolle spielen ...

Ja. In den 90er-Jahren konnte man in Bautzen an mehreren Grundschulen Sorbisch lernen. Das ist heute nicht mehr so. Dabei besteht die Nachfrage weiterhin. Das Sorbische Schulzentrum signalisiert immer wieder, dass es mehr Anmeldungen habe, als die Einrichtung aufnehmen kann. Kinder sollten deshalb auch an anderen Grundschulen Sorbisch lernen können. Sicher gibt es im Moment zu wenig Lehrer. Aber wir müssen dran bleiben, um Sorbisch lebendig zu erhalten.

Ähnliches gilt für die Kitas?

Genau. Der Sorbische Kindergarten ist begrenzt, es gibt drei Kitas mit einer Witaj-Gruppe. Auch hier erlebt man die Trennung: Die Sorben gehen in den sorbischen Kindergarten und die Deutschen in alle anderen. Es gibt zu wenige Möglichkeiten eines Miteinanders, wo Kinder lernen, dass die Welt nicht einsprachig ist. Wichtig wäre, Eltern zu unterstützen, die den Wunsch entwickeln, dass ihre Kinder in den Kitas Sorbisch lernen. Dazu wollen wir den Stand der Dinge ermitteln und im Rahmen einer Befragung in den Kitas herausfinden, wer von den Erzieherinnen Sorbisch kann und wie viele Kinder zu Hause Sorbisch sprechen, sodass in den Kitas wenigstens einige Grußformeln oder Danke und Bitte auf Sorbisch eingeübt werden.

Wirkt die Sprachbarriere so negativ?

Ja. Im Auftrag des Sorbischen Instituts wurde eine Studie gemacht und an Bautzener Schulen und Berufsschulen gefragt „Was haltet ihr vom Sorbischen?“ Die Schüler waren alle relativ aufgeschlossen und sahen es als ein Aushängeschild für die Stadt. Allerdings fühlten sie sich ausgeschlossen, wenn sie bei einer Gruppe Jugendlicher stehen, die sich auf Sorbisch unterhält.

Was ist die Lösung für dieses Dilemma?

Selbstverständlich müssen sorbische Jugendliche die Möglichkeit haben, Sorbisch zu sprechen. Sonst würde man ein Gebrauchsfeld ihrer Sprache zerstören. Aber wenn die anderen Jugendlichen wenigstens ein paar Worte und Phrasen Sorbisch gelernt hätten, würden sie sich nicht so ausgeschlossen fühlen. Und die Öffnung für eine Sprache sollte möglichst in einem Alter geschehen, in dem Kinder leicht für Mehrsprachigkeit begeistert werden können – in Kindergarten und Grundschule.

Was hat der sorbische Arbeitskreis vor?

Wir planen für Anfang 2018 eine Ideenkonferenz im Stadtrat und wollen dazu Gäste aus Regionen mit ähnlichen Erfahrungen einladen, die uns in puncto Mehrsprachigkeit und Miteinander ein paar Ideen vermitteln können. Wir in der Oberlausitz rechnen zu stark: Es gibt so und so viele Sorben und so und so viele finanzielle Mittel. Wichtig wäre aber, nach neuen Wegen und Möglichkeiten zu suchen, Mehrsprachigkeit zu leben. Wir brauchen einen ganz normalen Umgang damit. Da genügt es nicht, auf Auftritte des National-Ensembles zu verweisen.

Wo muss stattdessen angesetzt werden?

Es geht vor allen Dingen um die Zusammenführung der Jugendlichen. Also, dass man die Schulmauern von sorbischer und nichtsorbischer Schule bewusst durchdringbar gestaltet. Nur durch ein Miteinander lässt sich auch mehr Interesse wecken.

Wie sieht es bei den Erwachsenen aus?

Im Haus der Sorben ist die Schwelle für die Bautzener Stadtbevölkerung ebenfalls zu hoch. Dort schreitet keiner von allein drüber. Nur einmal im Jahr ist sie niedrig, nämlich zum Ostereiermarkt. Das müsste öfter so sein. Solche Podien müssten mehr werden – nicht nur im Haus der Sorben.

Gespräch: Madeleine Arndt