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Zirkuskind in achter Generation

Der sechsjährige Diego Schmidt ist von Geburt an dabei im Familienbetrieb. Warum er noch nie im Urlaub war.

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© Christian Juppe

Von Julia Vollmer

Jeden Nachmittag um 14 Uhr tauscht Diego seinen Schulranzen gegen sein Kostüm, schnappt sich sein Pony Blitz und übt Kunststücke. Der Sechsjährige ist jetzt schon ein wahrer Vollblut-Akrobat und kann sich nichts anderes vorstellen. Was er mal werden will, wenn er groß ist? „Na klar: Zirkusartist.“ Diego Schmidt kennt kein anderes Leben als die bunte Glitzerwelt der Manege. Er wurde in seine Artistenfamilie hineingeboren, sein Vater ist dabei, seine Mama auch, auch Oma und Opa fahren mit auf Tournee durch Deutschland. 365 Tage im Jahr, ein festes Winterquartier haben sie nicht. Noch bis Sonntag gastieren sie mit ihrem Zirkus „Robini“ in Seidnitz, auf der Wiese gleich gegenüber dem Seidnitz-Center.

Der Tag beginnt für den kleinen Diego früh um sechs, wie für alle Kinder in seinem Alter. Denn: auch für Zirkuskinder gilt die Schulpflicht. „Sobald der Tourneeplan feststeht, rufen wir in den Schulen an und melden unseren Sohn an“, erzählt Papa Silvano. Sein talentierter Sohn hat immer sein Buch mit dabei, in das die Lehrer eintragen, wie weit er in welchem Fach ist. Dann kann er am neuen Standort daran anknüpfen. Es sei üblich, dass der Nachwuchs von Zirkusfamilien sieben Jahre eine reguläre Schule besucht, danach folgt meist der Fernunterricht, sagt Diegos Vater.

Sobald die Glocke das Ende des Schultages angekündigt hat, kommt der sechsjährige Pferdenarr wieder auf das Gelände und übt seine Tricks. Unterrichtet wird er von seinem Vater. Jeden Tag. „Er hat mit vier Jahren angefangen, auf seinem Pony zu reiten. Inzwischen kann er darauf stehen und Kunststücke zeigen“, berichtet der Papa stolz. Am Nachmittag und Abend präsentiert er seine Kunststückchen in der Manege. Wo sich neben dem kleinen Pferdekünstler auch Kamele, Hunde und Handstand-Artisten tummeln. Papa Silvano unterhält die Gäste als Clown.

Bevor die Show losgehen kann, muss erst mal alles aufgebaut werden. „Zuerst ist immer das Tierzelt dran, damit sich die Kamele und Co. möglichst schnell wieder bewegen können“, sagt Silvano Schmidt. Danach greift die ganze Familie mit zu und errichtet das große Zirkuszelt. Acht Stunden dauert das. Nach zwei Wochen wird alles wieder abgebaut, und die Reise geht weiter in eine andere Stadt.

Seit mehr als 100 Jahren und mittlerweile in der achten Generationen lebt und reist die Familie Schmidt mit ihrem Zirkus „Robini“ durch Deutschland. Die Zirkusleute können sich kein anderes Leben vorstellen. „Das wäre doch langweilig“, betont der 31-jährige Silvano. Im Urlaub war er noch nie. Schlimm findet er das nicht, schließlich sei er doch mehrmals im Monat an einem anderen Ort. Auch in einem Bett in einem festen Haus hat er bisher nur eine Handvoll Mal geschlafen.

Denn sein Zuhause rollt seit eh und je auf vier Rädern durch die Welt. Seine drei Kinder, seine Frau und er teilen sich einen Wohnwagen. Sein Bruder und seine Familie haben einen eigenen, genauso wie die Großeltern. „Ein Altenheim gibt es bei Zirkusleuten nicht, die Senioren sind bis zum Ende mit auf Tour“, so Silvano. Ein Blick in den Wohnwagen verrät, hier gibt es nichts, was es nicht gibt. Golden glitzern die Stühle und das Sofa, an der Wand hängt ein riesiger Fernseher. In den Küchenschränken stehen die Teller und Tassen aufgeräumt in den Regalen. Wie werden diese eigentlich auf den langen Fahrten gesichert? „Die Schränke können alle mit Druckknöpfen zugemacht werden, Vasen und zerbrechliche Dekogegenstände stellen wir während der Fahrt auf den Boden, das Geld kommt in den Safe – so geht nichts verloren oder kaputt“, weiht der Zirkus-Papa Silvano in die kleinen Geheimnisse ein. Geduscht und Zähne geputzt wird übrigens im separaten Badewagen. Jede Familie hat auch hier ihren eigenen. Auf die Frage, wo man als Artist eigentlich seinen Partner kennenlernt, wenn man immer nur mit der Familie unterwegs ist, hat Silvano sofort eine Antwort parat: auf Hochzeiten. Zirkusleute feiern ihre Vermählungen immer ganz groß, mit 400 Gästen. So hätten schon manche Paare zueinander gefunden.

An die Dresdner hat Familie Schmidt einen Wunsch: Besucht unsere Vorstellungen. Denn der Branche geht es nicht gut. „Wenn die Leute immer mehr Geld für Mieten ausgeben müssen, sparen sie an der Freizeit. Also auch am Zirkus.“