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Wünschendorfs gefährliche Kurve

Auf der S 177 zwängen sich täglich Hunderte Lkws durch das Dorf. Die Umgehungsstraße lässt auf sich warten.

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© Dirk Zschiedrich

Von Dirk Schulze

Dürrröhrsdorf-Dittersbach. Der blaue 40-Tonner zieht weit über die Mitte. Dem silberfarbenen Skoda auf der Gegenspur bleiben vielleicht anderthalb Meter Platz. Um eine Kollision zu vermeiden, weicht er nach rechts auf den Fußweg aus. Der Lkw-Fahrer muss hier so weit auszuholen, sonst kommt er nicht um die Kurve. Die S 177 ist an der Biegung kurz hinterm Ortseingang von Wünschendorf gerade fünf Meter breit. Begegnen sich zwei Trucks an dieser Stelle, wird es richtig eng – dann geht’s um Zentimeter.

Schon zweimal blieben Lkws an dieser Hausecke hängen und rissen Putz herunter. Eigentümer Gerd Schwitalle hat Angst, dass irgendwann Schlimmeres passiert.
Schon zweimal blieben Lkws an dieser Hausecke hängen und rissen Putz herunter. Eigentümer Gerd Schwitalle hat Angst, dass irgendwann Schlimmeres passiert. © Dirk Zschiedrich

Vielleicht war es eine solche Situation, in der ein Sattelschlepper am Haus von Gerd Schwitalle hängengeblieben ist, vielleicht war der Fahrer auch einfach zu schnell unterwegs. „Hier hält sich keiner an die 30“, sagt der Wünschendorfer. Zweimal schon haben sie ihm die Hausecke abgefahren, erzählt er und zeigt auf 40 Zentimeter neu verputzte Kante in Höhe des ersten Stocks. Die Straße hat hier ein leichtes Seitengefälle. Nimmt ein hoher Lkw die Kurve zu eng, neigt sich sein Auflieger gefährlich nah in Richtung Hauswand. Gerd Schwitalle muss eine Lücke in der unablässig vorbeirollenden Autoschlange abwarten, um das zu erklären. Andernfalls wäre er nicht zu verstehen.

Der 58-Jährige ist in dem Bauernhaus aufgewachsen. Der dauernden Lärm sei nicht das Problem, sagt er. Den nimmt er gar nicht mehr wahr. Anders, wenn Besuch da ist. Sitzt er mit Gästen in der Küche, wird denen schon mal bange, weil die Lkws so knapp vorm Fenster vorbeirauschen. Nachdem die Eltern sich mit ihrer Landwirtschaft zur Ruhe gesetzt hatten, hat Gerd Schwitalle den Hof an der Radeberger Straße schrittweise saniert. Als ein Umbau im Erdgeschoss anstand, versetzte er extra eine Innenwand, damit sie die fragliche Hausecke verstärkt. Die beiden Lkws, die dort den Putz abschrammten, sind einfach weitergefahren. Eine Anzeige wegen Fahrerflucht hat er sich gespart, es wäre aussichtslos gewesen. Gerd Schwitalle stellte sich auf die Leiter und reparierte den Schaden selbst – am Wochenende, als weniger Verkehr war.

Zuerst hat ihm die Straßenmeisterei eine Warnbake hingestellt, um die Lkws auf Abstand zu halten. Deren Betonfuß fand sich irgendwann 50 Meter weiter, ein Laster hatte die Bake mitgerissen. Mittlerweile stehen drei Begrenzungspfähle zwischen Fahrbahn und Hauswand. Auch die wurden schon mehrmals umgefahren. „Ich habe echt Angst, dass mal einer richtig reinrast“, sagt Schwitalle. „Dann ist das Haus baufällig.“ Bei seinem Nachbarn hat nicht viel gefehlt, dort sind schon Lastwagen am Dachvorsprung hängen geblieben.

Den schmalen Fußweg entlang der Radeberger Straße nutzen höchstens mal ein paar ortsfremde Wanderer. Die Einheimischen wissen um die Gefahr. „Man wundert sich bloß, dass noch nichts passiert ist“, sagt der Anwohner. Der Bordstein hat sich vom permanenten Drüberfahren schon sichtbar abgesenkt und ist kaum noch höher als der Asphalt.

Immer mehr Verkehr

All das hat Gerd Schwitalle auch Sachsens Wirtschafts- und Verkehrsminister Martin Dulig (SPD) mitgeteilt, nachdem dieser im Mai sein Konzept für die Staatsstraßen ankündigte. Die sollen überall auf sechs Meter verbreitert werden, sodass zwei Lkws aneinander vorbeikommen. Es sei sein größter Wunsch, dass er dies für Wünschendorf noch vor seiner Rente erlebe, schrieb der 58-Jährige in einem handschriftlichen Brief an den Minister.

Denn eigentlich hätte der Bau der Ortsumgehung für Wünschendorf und Eschdorf längst beginnen sollen. Geplant ist sie seit Langem. Die S 177 soll in zwei Bögen an den beiden Dörfern vorbeigeführt werden. Der Abschnitt gehört zum Straßenbau-Großprojekt Ostumfahrung Dresden. Die S 177 soll einmal als Schnellstraße die Autobahnen A 17 und A 4 miteinander verbinden. Aus Richtung Pirna ist die neue Trasse längst eröffnet. Der drei- beziehungsweise vierspurige Ausbau endet genau am Ortseingang von Wünschendorf. Nördlich, rings um Radeberg, rollt der Verkehr ebenfalls schon auf breiter Piste.

Und genau das ist das Problem: Seit die beiden Abschnitte der neuen S 177 fertiggestellt sind, hat der Verkehr auf der Strecke merklich zugenommen. Wünschendorf liegt genau dazwischen. Hier zwängen sich Fernfahrer und Pendler weiterhin durchs Dorf. Seit September wird im Norden der Anschluss zur A 4 in Leppersdorf gebaut. Das heißt, der Abschnitt Wünschendorf/Eschdorf ist einer der letzten, die fertig werden. Hier läuft noch das Planfeststellungsverfahren. Durch „gesetzlich neu hinzutretende wasserrechtliche Sachverhalte“ mussten die Planungsunterlagen noch einmal ergänzt werden, lautete die Antwort aus dem Verkehrsministerium auf Gerd Schwitalles Brief. Die erneute öffentliche Auslegung der Unterlagen folgte.

Inzwischen scheint sich das Prozedere jedoch einem Ende zu nähern. Einige kleinere Zuarbeiten stehen noch aus, erklärt Holm Felber, Sprecher der Landesdirektion Sachsen. „Wenn diese wie geplant erledigt und zugeliefert werden können, ist ein Abschluss des Planfeststellungsverfahrens noch im laufenden Jahr möglich.“

Doch selbst dann besteht noch die Möglichkeit, dass betroffene Grundstückseigentümer oder Umweltinitiativen gegen den Beschluss klagen. Ein vorsichtiger Ausblick aus dem Landesamt für Straßenbau und Verkehr: Bei optimalem Verlauf wären erste bauvorbereitende Maßnahmen noch 2018 denkbar, erklärt Sprecherin Isabel Siebert. Danach rechnen die Experten mit einer Bauzeit von drei Jahren – mindestens.

Es könnte also knapp werden mit Gerd Schwitalles Wunsch, noch vor seiner Rente über die neue S 177 zur Arbeit zu fahren.