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Wo die Ruhe wohnt

Oberbärenburg ist das schönste Dorf im Landkreis. Nun will es noch schöner und bekannter werden. Ein Ortsbesuch.

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© Frank Baldauf

Von Mandy Schaks

Osterzgebirge. Wer nach Oberbärenburg will, muss runter von den Hauptverkehrswegen und rein in den Wald. Schon kurz nach der Bundesstraße B 170, wenige hundert Meter entfernt, weitet sich der Blick. Wie aus dem Nichts taucht eine typisch erzgebirgische Wohnsiedlung auf mit hübschen Häusern, manchmal schon Villen, die sich an den Hang schmiegen. Kein Gebäude scheint auszusehen wie das andere, und doch ähneln sie sich mit ihren Satteldächern, den Holz verkleideten Giebeln und dunkel eingedeckten Dächern.

Ganz in Ruhe durch Oberbärenburg

Häuser in Oberbärenburg tragen so klangvolle und freundliche Namen wie „Sorgenfrei“.
Häuser in Oberbärenburg tragen so klangvolle und freundliche Namen wie „Sorgenfrei“.
Manchmal öffnet sich auch eine Lücke im Wald, und der Besucher kann weit ins Elbtal schauen.
Manchmal öffnet sich auch eine Lücke im Wald, und der Besucher kann weit ins Elbtal schauen.
Im Wald, der Oberbärenburg umsäumt, kann der Besucher sich nicht nur erholen, sondern auch etwas lernen.
Im Wald, der Oberbärenburg umsäumt, kann der Besucher sich nicht nur erholen, sondern auch etwas lernen.
Das Haus Rosen ist eines der ältesten Häuser von Oberbärenburg. Die Fassade ziert eine schöne Malerei.
Das Haus Rosen ist eines der ältesten Häuser von Oberbärenburg. Die Fassade ziert eine schöne Malerei.
Schach kann in Oberbärenburg auch an der frischen Luft gespielt werden, hier Tanja und ihre Mutter Jana Elke.
Schach kann in Oberbärenburg auch an der frischen Luft gespielt werden, hier Tanja und ihre Mutter Jana Elke.

Motorisierte Besucher sind gut beraten, das Auto auf dem großen Parkplatz am Ortseingang abzustellen und nicht der einladenden Hauptstraße zu folgen. Die Ahornallee lässt nämlich alle Karossen rein, aber keine wirklich durch. Das hat schon mancher Kraftfahrer zu spüren bekommen. Als die Autobahn A 17 noch nicht gebaut war und sich der Schwerlastverkehr nach Tschechien über die B 170 wälzte, wollte der eine oder andere Brummifahrer über Oberbärenburg abkürzen. Pustekuchen, erinnert sich Ortsvorsteher Lothar Johne und feixt. Die Kutscher der 40-Tonner verfranzten sich. Sie mussten mühsam rangieren, um ihre dicken Laster wieder von der Ahornallee runter zu bekommen, und hatten ihre Lektion gelernt. Nichts mit Durchgangsstraße, Lärm und Gestank. Das ist ein Boulevard zum Schlendern, Innehalten und Durchatmen, mit dem sich jede größere Stadt schmücken könnte. In alten Prospekten wird die Ahornallee als steigungsfreie Ortspromenade bezeichnet, erzählt Martin Hentschel, der sich viel mit der Geschichte seines Heimatortes befasst. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. So breit diese Straße auch ist, hier muss niemand befürchten, überrannt oder angerempelt zu werden. Willkommen im schönsten Dorf des Landkreises, in Oberbärenburg, ganz in Ruhe.

Was heißt hier eigentlich Dorf? Die Oberbärenburger mit Waldbärenburg zählen zwar gerade mal knapp 250 Seelen. Aber sie sind nicht zu übersehen, und wenn sie es für nötig halten, auch nicht zu überhören. Damit zum Beispiel ihr typisches Ortsbild nicht im kunterbunten Neuzeit-Kuddelmuddel untergeht, haben die Oberbärenburger eine Ortsgestaltungssatzung durchgesetzt. Und als vom Spielplatz nicht viel mehr als der Name übrig geblieben war, sammelten sie über 400 Unterschriften, und die Stadt Altenberg spendierte neue Spielgeräte. Die Oberbärenburger wissen, was sie wollen, und sind stolz, was sie sich über die Jahre geschaffen haben. Dem postalischen Namen Kurort Oberbärenburg würden sie daher liebend gern noch auf jedem Schild Staatlich anerkannter Erholungsort hinzufügen. Den Titel haben sie seit 1972. Damit gleich jeder kapiert, wo er hier ist. Und Luftkurort sollte auch draufstehen, obgleich das der Ort offiziell noch nicht ist. Aber dass die Luft hier besonders sauber ist, zieht niemand in Zweifel. Gerade deshalb kommen seit Jahrzehnten Urlauber her, genießen Sommerfrische und Winteridylle – ganz in Ruhe.

Oberbärenburg eilt der Ruf voraus, ein Ort der Reichen und Schönen zu sein. Straßen und Wege heißen hier so zauberhaft wie Auerhahnbalzweg, Briefträgersteig, Talblick, Marienweg, Kapellensteig oder Am Sonnenhang. Auch viele der selten schönen Häuser tragen hier nicht bloß Nummern, sondern klangvolle Namen, „Sorgenfrei“ zum Beispiel. Oder „Flötenhaus“, „Sonnenhäusel“ und „Lebensfreude“. Das rührt daher, weil es früher in Oberbärenburg keine Straßennamen gab, weiß Michael Seifert. Er ist Mitglied im Ortschaftsrat und Ortschronist. Die Post wurde deshalb einfach zum Beispiel ans Haus „Sorgenfrei“ adressiert – und kam an. Die Tradition haben die Oberbärenburger beibehalten und daraus noch einen Hingucker gemacht. An markanten Stellen stehen lange Wegweiser mit grünen Schildern und weißer Schrift. Jeder Hauseigentümer, der darauf verewigt ist, hat sein Schild selbst bezahlt, betont Ortsvorsteher Johne. Und wie ist das nun mit den Reichen und Schönen? Lothar Johne hat eine Erklärung: „Anfangs sind die Gutbetuchten hierhergekommen.“ – Ganz in Ruhe.

Der erste Tourist in Oberbärenburg war kein Geringerer als der König von Sachsen, der hier Mitte des 19. Jahrhunderts naturkundliche Studien betrieb, auch jagte und im Forstvorwerk nächtigte, erzählt Michael Seifert. Abends soll er ein Feuerwerk gezündet haben, sozusagen als Gute-Nacht-Gruß an seine Gemahlin, die das Spektakel am Himmel in Pillnitz beobachten konnte. Jahrhundertelang gab es auf diesem schönen Flecken Erde nur Wald und das alte Forstvorwerk der Herrschaft von Bernstein. Historische Quellen legen nahe, dass Oberbärenburg um 1510 auf der Landkarte auftauchte. Häuser kamen um 1800 dazu. Die Siedler lebten von harter Arbeit in der Waldwirtschaft. Mit der Ankunft der Weißeritztalbahn 1883 in Kurort Kipsdorf begann sich dann der Fremdenverkehr zu entwickeln. „Die Gäste wurden mit Pferdefuhrwerken vom Bahnhof abgeholt“, so Seifert. Ganz in Ruhe ging es dann bis Oberbärenburg.

Die Gäste genossen zunächst die Sommerfrische. Der Wintersport wurde erst später salonfähig. In den 1920er-Jahren setzte ein regelrechter Zustrom ein. Ferienhäuser wurden gebaut, auch Villen. Sogar die Schule musste vergrößert werden, weil auch Ferienkinder hier mit betreut wurden. So kam es, dass Oberbärenburg seiner Zeit immer ein Stück voraus war. Es wurden hier eher Wasserleitungen gebaut als anderswo, ebenso Straßenlaternen. Der Ort wurde durch den Tourismus immer bekannter. Aus der ganzen DDR reisten Gäste allein nur deshalb an, um sich in der kleinen evangelischen Kapelle trauen zu lassen. Nach dem Krieg wollten über 500 Paare pro Jahr hier heiraten. Deshalb heißt das kleine Gotteshaus bis heute Hochzeitskapelle, ein ausgesprochen stiller, ruhiger Ort.

Von der Bekanntheit profitierten die Oberbärenburger nach der politischen Wende. Denn von Rostock bis Suhl kannten die Leute den Ort im Osterzgebirge, waren viele von ihnen hier schon im Urlaub. Deshalb flogen die Pläne auch hoch. Ideen machten die Runde mit riesigen Freizeitanlagen, Doppelschlepplift, Beschallung und künstlicher Beschneiung. Um der künftigen Gästeschar Herr zu werden, wurde sogar schon darüber nachgedacht, am Ortseingang eine Schranke zu installieren, damit Oberbärenburg nicht mit Autos zugestopft wird, so erzählt man sich heute schmunzelnd. Denn die potenziellen Gäste hatten erst einmal etwas anderes vor: Sie wollten sich die Welt angucken. Die Oberbärenburger kamen zur Ruhe und besannen sich auf ihre Stärken: Den Charakter des Ortes zu erhalten, auf sanften Tourismus zu setzen.

Gäste, die heute Oberbärenburg besuchen, können entspannen und entschleunigen. Ortschaftsrat und Vereine überlegten sich ganz in Ruhe, wie sie den Ort entwickeln wollten. Auch dabei kam den Oberbärenburgern ihre Popularität zugute. Sie haben immer wieder Gönner und Unterstützer gefunden, weit über das Osterzgebirge hinaus, die mit Ideen und auch Geld helfen. Bis nach Brasilien reichten die Fäden der Oberbärenburger. So konnten sie sich Wünsche verwirklichen und manchen Euro an Fördermitteln vergolden, wovon andere nur träumen. Dazu gehört ein Aussichtsturm genauso wie ein Kur- und Konzertplatz, um nur einige Beispiele zu nennen. Jährlich laden sie Gäste zum Schneekönigin-Fest ein, organisieren sie Trainingsläufe für Schlittenhunde, veranstalten Kultur- und Sporttage und einen Musiksommertag. Die Jury des Kreiswettbewerbes „Unser Dorf hat Zukunft“ lobte im September, als der Ort zum Sieger gekürt wurde: „,Oberbärenburg … ganz in Ruhe‘ ist Lebensphilosophie für die Einwohner des Ortes.“ Am Dienstag müssen die Oberbärenburger davon nun auch die Bewertungskommission im Landeswettbewerb überzeugen.

Erfinder des Slogans „Oberbärenburg … ganz in Ruhe“ ist Martin Hentschel. Das war so eine Eingebung, sagt er. Ihm gefällt die Doppeldeutigkeit ganz besonders. Zum einen werde damit der Ort charakterisiert. „Man hört abends einfach nix außer Natur.“ Zum anderen stehe der Slogan auch für die Mentalität der Oberbärenburger. „Man hat in Ruhe nachgedacht und dann entschieden.“ So ist Oberbärenburg das, was es schon immer war: eine Perle des Osterzgebirges.