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Wie Zittau weiter schrumpfen wird

„Wer wird hier leben?“ fragt die Ebert-Stiftung und Einheimische haben geantwortet. Und ein Experte.

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© Matthias Weber

Von Thomas Mielke

Zittau. Zittau schrumpft und schrumpft. Seit der Wende hat die Stadt – ohne eingemeindete Ortsteile – rund 40 Prozent der Einwohner verloren. Wird das so weitergehen? Und wenn ja: Wer bleibt übrig? Weil diese Fragen zum demografischen Wandel und weitere Zukunftsthemen viele Menschen umtreiben, hat die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung eine Veranstaltungsreihe aufgelegt. Nach Dresden geht sie damit nun in weiter ausgewählte Städte Sachsens. Am Mittwoch stellten sich Moderator Cornelius Pollmer von der Süddeutschen Zeitung, Landtagsabgeordnete Franziska Schubert (Bündnis 90/Grüne), Zittaus Wirtschaftsförderin Gloria Heymann und Wissenschaftler Dr. Mathias Siedhoff vom Centrum für Demografie und Diversität der TU Dresden bei der zweiten Veranstaltung der Reihe in Zittau die Frage „Wer wird hier leben?“ und diskutierten im Salzhaus mit Zuhörern. Schnell war klar, dass es nicht die eine Lösung für das Problem gibt, sondern nur Stellschrauben, mit denen sich ein Ausgleich der Schrumpfung durch Zuzug und mehr Geburten fördern lässt.

Nächste Veranstaltung: „Was wird hier sein“ zur wirtschaftlichen Entwicklung mit Dr. Markus Egermann vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung Dresden, Kreis-Dezernentin Heike Zettwitz und Mittelherwigsdorfs Bürgermeister Markus Hallmann, 29. Mai, 18 Uhr, Bibliothek im Zittauer Salzhaus

Welche Stellschrauben gedreht werden müssen

Situationsanalyse: Es werden langfristig weniger Einwohner hier leben

Die Analyse ist eindeutig: Die Zahl der Einwohner wird weiter schrumpfen, ihr Alter steigen. Langfristig, also über die 2030, 2040 hinaus. „Damit sollten wir rechnen“, forderte Experte Mathias Siedhoff die Zittauer auf. Der Hauptgrund dafür ist nicht mehr die Abwanderung wegen der fehlenden Arbeitsplätze. Vielmehr greift ein noch größeres, schon länger zu beobachtendes Phänomen: Die Bevölkerung reproduziert sich – fast überall in Europa – nicht mehr selbst, sprich: Es werden weniger Kinder geboren als Senioren sterben. Da viele aus der Generation der Frauen, die jetzt Mütter sein oder werden könnten, wegen der Jobs weggezogen sind, gibt es hier besonders wenig Kinder. Und damit einen besonders großen Saldo zwischen Geburten und Sterbefällen. Ein Ausgleich durch einen massenhaften Zuzug – egal, ob aus dem In- oder Ausland – ist nicht abzusehen. Dafür verantwortlich macht Siedhoff vor allem die Randlage Zittaus, die große Entfernung zur nächsten Großstadt, Dresden, und eine gewisse Strukturschwäche. „Ich sage aber nicht, dass Sie schon verloren haben.“ Siedhoff betonte, dass der Abwärtstrend nicht zementiert ist. Sollten sich die Rahmenbedingungen ändern, könnte der Einwohnerschwund Zittaus auch gestoppt werden. Es gebe derzeit allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass das passieren wird, so der Wissenschaftler. Zu den Rahmenbedingungen gehören nicht nur politische Vorgaben, sondern zum Beispiel auch gesellschaftliche Trends. Einer ist der aktuelle Wunsch vieler junger Leute, in Großstädten zu leben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich der Trend eines Tages dreht und viele wieder auf dem Land leben möchten.

Stellschraube 1: Blick nach Liberec statt nach Dresden


Dass Zittau von der blühenden Metropole Dresden tatsächlich eines Tages profitieren kann, glaubt auch Zittaus Wirtschaftsförderin Gloria Heymann nicht. Dazu ist die Entfernung zu groß, dauern die Fahrten in die Landeshauptstadt zu lange. Deshalb richtet Zittau sein Augenmerk nicht nach Westen, sondern nach Osten – nach Liberec (Reichenberg), der sich rasant entwickelnden Metropole im benachbarten Böhmen. Derzeit läuft eine groß angelegte Studie, die zeigen soll, wie die beiden Städte voneinander profitieren können. Am Ende könnte Zittau eine Art Vorort sein, in dem viele Tschechen wohnen und leben. In Liberec herrscht Wohnungsmangel, in Zittau stehen Hunderte Häuser leer.

Stellschraube 2: Rückkehrwillige umwerben

Die Zahl der Jobs in Zittau hat sich knapp 30 Jahre nach der Wende stabilisiert und steigt nun wieder leicht. In den ersten Branchen herrscht Fachkräftemangel. Eine Möglichkeit, dem entgegenzuwirken und gleichzeitig den Bevölkerungsschwund zu verlangsamen, ist, um ehemalige Zittauer zu werben und sie zur Rückkehr zu bewegen. Darauf machte unter anderem Landtagsabgeordnete Franziska Schubert aufmerksam. Zittaus Wirtschaftsförderin Gloria Heymann ergänzte Projekte, die die Stadt bereits angeschoben hat, um das zu erreichen: So hat Zittau zum Beispiel zwischen Weihnachten und Silvester 2017 erstmals eine Heimkehrer-Börse veranstaltet, die sowohl von Firmen als auch von Rückkehrwilligen gut angenommen wurde. Dass ein Zuwachs an Jobs automatisch auch zu einer höheren Geburtenrate führt, sieht Experte Siedhoff dagegen nicht. Er widersprach einer Zuhörerin, die sagte, dass nur Menschen mit Arbeit sich mehrere Kinder leisten könnten. Siedhoff stellte dagegen, dass in der BRD-Wirtschaftswunderzeit und während der Vollbeschäftigung zu DDR-Zeiten die Geburtenrate sank. Er machte auch klar, dass ein Arbeitsplatz und die – immer wieder gelobte – Vielfalt der Kultur in Zittau und der Oberlausitz zwar wichtige, aber eben nur zwei von vielen Gründen sind, warum sich Menschen für oder gegen eine Region entscheiden.

Stellschraube 3: Ländliche Regionen finanziell besser ausstatten

Grünen-Politikerin Schubert geißelte die Leuchtturmpolitik der Landesregierung zugunsten der sächsischen Großstädte, die von Wachstumszielen und ökonomischen Kenngrößen getrieben seien. Statt die inzwischen aus sich selbst heraus wachsenden Metropolen zu fördern, sollten ihrer Meinung nach ländliche Regionen gefördert werden, um sie für Einheimische und potenzielle Zuzügler attraktiv zu machen. „Geld ist genügend da“, sagte die Haushalts- und finanzpolitische Sprecherin ihrer Landtagsfraktion. Als Negativ-Beispiele nannte sie unter anderem den öffentlichen Nahverkehr und das Schulnetz. So manche Bus- und Zugstrecke nur sei abgeschafft worden, weil ein paar Fahrgäste zu einer vorgegebenen Mindestzahl gefehlt hätten. 1000 Schulen seien seit dem Jahr 2000 in Sachsen geschlossen worden, obwohl bekannt sei, dass „in jedem Ort, in dem die Schule geht, auch ein Stück Zukunft geht“.

Stellschraube 4: Kreative und Ehrenamtler stärken

Um Zittau und die Region zu stärken, sollten auch Kreative und das Ehrenamt besser vom Staat gefördert werden. Davon ist Landtagsabgeordnete Franziska Schubert überzeugt. „Engagement bildet Wurzeln“, hieß es. Und verwurzelte Menschen verlassen ihre Heimat kaum. Frau Schubert sieht dafür bei den Einheimischen viel Potenzial: Viele ältere Menschen, deren Erfahrungen nach der Wende auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr gefragt waren, könnten noch viel bewegen und geben. Die jüngere Generation habe durch die Nachwendeerfahrungen zumindest eine „Bruchkompetenz“ entwickelt. Zudem zieht das Engagement andere Engagierte an. Für Kreative sei die Zittauer Gegend schon jetzt ein Eldorado, hieß es am Rand der Veranstaltung. Weil ihnen hier kaum jemand reinredet, sie Gleichgesinnte, preisgünstige Räume und andere Entfaltungsmöglichkeiten vorfinden.

Stellschraube 5: Perspektivwechsel – Aus der Not eine Tugend machen

„Warum ist es so schlimm, wenn wir nicht mehr werden?“, fragte Landtagsabgeordnete Schubert und antwortete: Weil die finanzielle Unterstützung – zum Beispiel die Zuweisungen des Landes – an die Kommunen pro Kopf gezahlt werden. Mehr Einwohner gleich mehr Geld, heißt die Formel. Deshalb sei der demografische Wandel schon fast zu einem Dämon erhoben worden, stellte sie fest. Auch Wissenschaftler Siedhoff sieht in der Schrumpfung keinen Untergang. Sie wird seiner Ansicht nach zum Beispiel immer mit dem Abriss von Häusern in Verbindung gebracht. Aber auch ein Bevölkerungswachstum erfordere Anpassungsleistungen, sagte er und erinnerte an Staus, weil Straßen die vielen Autos nicht mehr fassen können, und die Versiegelung von Grünflächen für Wohnhäuser. Stattdessen könne man auch darüber nachdenken, wie man mit einem langsamen Schrumpfen gut leben könne, sagte er. Denn auch ein Schrumpfungsprozess birgt nicht nur Risiken, sondern auch Chancen.

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