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Wer sind die Opfer der modernen Leistungsgesellschaft?

Lutz Hübners „Die Firma dankt“ hinterfragt am Döbelner Theater unterhaltsam die Auswüchse der heutigen Arbeitswelt.

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© Jörg Metzner

Von Tilo Harder

Döbeln. Fast 20 Jahre hat er sich für die Firma aufgeopfert. Jetzt ist Adam Krusenstern ins Gästehaus des Unternehmens, das gerade einen neuen Vorstand bekommen hat, geladen worden. Die meisten seiner Kollegen wurden bereits entlassen und Abteilungsleiter Krusenstern ist selber völlig im Ungewissen über seine Zukunft. Ermattet von seinen Selbstzweifeln ist er auf dem großen roten Ledersofa in der Lobby eingeschlummert. Seine Verstörung wächst, als ihn die hübsche Assistentin Mayumi weckt und ihm freundlich umsorgend eröffnet, dass er hier entspannt Urlaub machen solle. Der Versuch eines lockeren Small Talks mit ihr misslingt dem Mittvierziger aber ebenso, wie die irritierenden Begegnungen mit dem Personalchef John Hansen und der als Coach engagierten Ella Goldmann. Keiner verrät, was wirklich der Anlass für dieses Wochenende ist. Verspielt Krusenstern seinen Job durch mangelnde Flexibilität und unterwürfiges Verhalten? Wer ist Freund, wer Gegner? Und welche Rolle spielt der junge Absolvent Sandor, dessen betont legere Art Krusenstern auf die Palme bringt?

Lutz Hübner, seit Jahren einer der meistgespielten deutschen Gegenwartsautoren, konfrontiert in seinem 2011 in Dresden uraufgeführten Stück „Die Firma dankt“ die klassisch strukturierte deutsche Unternehmenskultur mit den ziemlich unkonventionellen Arbeitsbedingungen in modernen Start-ups oder digitalen Großkonzernen, wo vermeintlich flache Hierarchien und diverse Wohlfühl-Maßnahmen im Team für größtmögliche Kreativität, Produktivität aber auch Selbstausbeutung und Gewinnmaximierung sorgen sollen.

Doch ganz so schwarz-weiß, wie es auf den ersten Blick scheint, zeichnet die Inszenierung des Mittelsächsischen Theaters, die am Sonnabend im Döbelner Theater Premiere hatte, weder die Figuren, noch deren Handlungen. So wie der Erfolgsautor in seinen Stücken nie eindeutig Partei ergreift, schafft auch Regisseur Arnim Beutel für jede der Rollen immer wieder Situationen, in denen deren Position nachvollziehbar und richtig erscheint. Über jeden kann man lachen, jeden ein bisschen mögen und sich von jedem abgrenzen.

Nichtsdestotrotz ist und bleibt Krusenstern Identifikationsfigur, verharrt aber auch in der Opferrolle. Hilflos sucht er nach Orientierung. Planlos stürzt er sich in Scheinaktivitäten. Hoffnungslos scheitert er an der Undurchschaubarkeit Sandors, bei dessen Spielereien nie klar wird, ob er wirklich genial oder nur ein Hochstapler ist. Ralph Sählbrandt spielt all dies ohne viel Gewese. Bis zum Schluss kämpft seine Figur darum, die Würde nicht zu verlieren. Sählbrandt verteidigt sie und legt dennoch all ihre Schwächen bloß.

Etwas klischeehafter geraten die anderen Rollen. Aber auch hier ist bei allen Gelegenheit, differenziertere und subtile Einblicke ins Seelenleben zu erhaschen. Michael Berger zeigt einen aalglatten Personalchef, der eiskalt die Drecksarbeit für die Chefetage macht, aber auch unsicher ist, ob er das Richtige tut. Franka Anne Kahl spielt ein naives Blondchen, die allem und allen gerecht werden will, aber auch spürt, dass sie als Assistentin nur für niedere Aufgaben gebraucht wird. Conny Grotsch gelingt ein gekonnter Spagat zwischen berechnender Karrierefrau und einfühlsamer Menschenkennerin. Das lässt ihre Personaltrainerin kühl die Fäden ziehen, sie andererseits aber auch scheitern.

Oliver Niemeiers Sandor lässt sich dagegen am wenigsten greifen. Irgendwo zwischen einem verspielt-spotanen Studenten und dem als arrogant und knallhart geltenden Facebook-Boss Mark Zuckerberg angesiedelt, bleiben Charakter und Absichten nebulös. Aber vielleicht liegt es ja auch nur daran, dass alles bloß ein böser Traum ist. Schließlich sinkt Krusenstern zwischendurch immer wieder auf dem Sofa in den Schlaf, um dann in einer noch verrückteren Runde zu erwachen.