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Wer rettet das Görlitzer Kaufhaus?

Nach dem Interview mit der SZ hat Investor Winfried Stöcker den Anfang vom Ende seines eigenen Kaufhaus-Traumes eingeleitet. Die Görlitzer müssen sich jetzt eine Gewissenfrage stellen, findet SZ-Redakteur Frank Seibel.

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© Pawel Sosnowski

Wenn alles schön geworden ist, kommt Ebenezer Scrooge. Ein alter, verbitterter Geizhals, der vor allem an einem spart: an menschlicher Wärme. Während sich um ihn herum die Menschen auf Weihnachten freuen, kleine Geschenke besorgen und einen großen Vogel für den Backofen, zählt der Warenhaus-Besitzer sein Geld und bestellt seinen armen Mitarbeiter mit dem kranken Kind für den Weihnachtstag zum Dienst ein. Nächstenliebe, Barmherzigkeit? Sentimentales Geschwätz! So erzählt es Charles Dickens in seiner berühmten Weihnachtsgeschichte, die im London des 19. Jahrhunderts spielt, als der Kapitalismus besonders kalt war. Und so will es ein Film erzählen, der in ein oder zwei Jahren im Görlitzer Kaufhaus gedreht werden soll.

Noch ist das Haus innen roh und kahl, noch ist keine Kamera und keine Filmcrew zu sehen. Und doch scheint es, als sei er schon hier: Ebenezer Scrooge, der grenzenlos böse Kaufmann. Ein Görlitzer Journalist hat sogleich eine Szene aus einem alten Dickens-Film auf Facebook gepostet, nachdem er die Äußerungen des realen Görlitzer Kaufhausbesitzers Winfried Stöcker gelesen hat. Weihnachten und die damit verknüpfte Botschaft von Nächstenliebe und Barmherzigkeit nannte er „Firlefanz“, ein Benefizkonzert für die in Görlitz angekommenen Flüchtlinge hat er in seinem Kaufhaus verboten, weil er findet, dass wehrtaugliche Männer lieber in Syrien kämpfen und ihre Familien schützen sollen, als zu flüchten; er will „alle Afrikaner zurückschicken, die ungebeten übers Mittelmeer zu uns gelangen“, und er will sogar jene Ausländer zurückschicken, die viele Jahre in seiner Euroimmun AG arbeiten, einem Unternehmen mit 1 500 Mitarbeitern in mehreren Ländern der Erde. Das hat Winfried Stöcker so gesagt und zur Veröffentlichung freigegeben.

Die Görlitzer Öffentlichkeit – Politik, Kirchen, Vereine, Privatleute – reagiert entsetzt, empört und vor allem verstört. Wie kann es sein, dass der Millionär und Medizinprofessor, der bis vor Kurzem noch als Wohltäter und „Kaufhausretter“ verehrt wurde, plötzlich als hartherzig, böse, intolerant und gefährlich deutschtümelnd erscheint? Es ist, als habe sich der anonyme Millionenspender als Mister Scrooge zu erkennen gegeben – nichts passt mehr zusammen. Bildstörung.

„Wundenheiler“ habe ich im Juni ein großes Porträt über den Görlitzer Kaufhausbesitzer überschrieben. Denn Winfried Stöcker, der Arzt und Wissenschaftler, will, so sagt er selbst, alles heil und schön machen. Sein Heimatdorf auf dem Eigen, seine Firmen-Niederlassungen mit tollen Arbeitsbedingungen für alle, auch das Kaufhaus soll wieder wunderschön werden. Die Wunden, die die Zeit geschlagen hat (oder „die Kommunisten“, wie Stöcker sagt), diese Wunden will der Professor heilen. Dafür bewegt er sehr viel Geld.

Und plötzlich, eine Woche vor Weihnachten, heilt er keine Wunden, sondern er schlägt eine neue riesige Wunde, indem er viele Menschen vor den Kopf stößt – selbst solche, die vielleicht sogar ähnlich kritisch über die Asylpolitik und über Ausländer denken wie er. Weihnachten „Firlefanz“? Wie will er so das alte, treue Deutschland retten, das ihm so lieb ist?

Winfried Stöcker ist dabei, sich mit diesem Affront seinen eigenen Traum zu zerstören. Ein Kaufhaus ist ein überdachter Marktplatz, und ein Marktplatz war und ist zu allen Zeiten ein Ort der Begegnung und des Austausches von materiellen wie auch von immateriellen Gütern. Rezepte, Lieder, Bilder, Texte, all das sind Güter, die auf dem Markt gehandelt werden. Vom Marktplatz gehen seit jeher wichtige Lebens-Impulse aus, auch kulturelle Impulse, die in die Gesellschaft hineinwirken. Als Stadt an der Via Regia hat Görlitz über Jahrhunderte von den Bewegungen und Begegnungen von Menschen aus ganz Europa profitiert; auf dem Kultur-Kontakt beruht der Wohlstand dieser schönen Stadt.

Winfried Stöcker hat den Anfang vom Ende seines eigenen Kaufhaus-Traumes eingeleitet. Denn er, der weit gereiste und international tätige Unternehmer, ist nur scheinbar ein Mann von Welt. Er selbst beschreibt sich als einen „Jungen vom Dorf“, aber auch das ist nur eine Facette einer äußerst widersprüchlichen Persönlichkeit. Mit seinen radikalen Äußerungen und vor allem mit dem verletzenden „Firlefanz“ entlarvt sich Stöcker als jemand, dem menschliche Befindlichkeiten völlig egal sind. Wer religiöse Gefühle bewusst verletzt und die Wertebasis von Millionen von Menschen als „Märchen“ abtut, redet zynisch und totalitär. In Stöckers persönlichem „Dorf“ ist es so eng, dass nur Menschen Platz haben, die solche Verletzungen nicht empfinden, also Menschen, die zu seiner Vorstellungswelt passen. Denn natürlich ist er im Dorf nicht nur irgendein Junge; er ist, wenn schon Junge, der Junge aus dem Herrenhaus, in dem der Ton für das Dorf vorgegeben wird.

Diese totalitäre Enge aber passt nicht in ein städtisches Warenhaus. Und Stöcker wird vermutlich Schwierigkeiten haben, Vertragspartner zu finden, die sich in sein Kaufhaus einmieten. In ein paar Tagen ist der Görlitzer Skandal in aller Welt, und der Imageschaden für den Mann, für das Kaufhaus, für die Stadt dürfte so immens sein, dass Vertreter internationaler Handelsmarken abwinken, wenn ihnen jemand das Görlitzer Haus anpreist.

Winfried Stöcker wird auch innerhalb der Stadt Probleme bekommen. Denn er hat nicht eine exquisite Herrenboutique gekauft, in der er sich manchen Dünkel leisten kann. Er hat das – neben der Stadthalle – zweite Bürgerhaus gekauft, in dem sich Menschen aller sozialer Schichten und aller kultureller Vorlieben wiederfinden wollen. Winfried Stöcker ist ein schlechter Kaufmann, wenn er die Gefühle und Bedürfnisse vieler Menschen um sich herum ignoriert und verhöhnt. Auf dieser Basis handeln Menschen nicht miteinander.

Sicherlich mag es viele Menschen geben, die seine politischen Ansichten sympathisch finden. Aber diejenigen, die Stöcker sich als Kunden und als Händler für sein Kaufhaus wünscht, stehen vor einer Gewissensfrage. Darf man diesen Mann als Kunde oder als Vertragspartner überhaupt noch unterstützen? Gibt es nicht eine politisch-moralische Pflicht, hier eine klare Grenze zu ziehen?

Stöckers skandalöse Verletzung gesellschaftlicher Werte und Normen würde vielleicht bald vergessen werden, wenn das Kaufhaus schon fertig wäre und in voller Blüte stünde. An diesem Haus kommt niemand vorbei, wer in der Stadt einkauft, muss dort landen. Aber es gibt ja nicht einmal fertige Pläne für den Ausbau, keinen Bauantrag. Das Kaufhaus ist bislang ein Traum, im besten Fall ein Bündel schöner Ideen und finanzieller Möglichkeiten.

Der Vergleich mit dem bösen Ebenezer Scrooge ist dennoch unzutreffend. Winfried Stöcker ist kein böser Menschenschinder. Seine Mitarbeiter bei Euroimmun und beim Kaufhaus-Projekt schwärmten bislang von seiner Großzügigkeit und seinem Bestreben, dass es allen gut gehen solle, damit es dem Ganzen gut geht, vor allem dem ganzen wirtschaftlichen Unternehmen. Das Problem ist, dass Winfried Stöcker keine Antenne für die Bildstörung hat, die er verursacht. Mit dem Kauf des Kaufhauses ist Stöcker zu einer herausragenden Persönlichkeit für diese Stadt geworden – damit hat er eine Verantwortung, der er momentan nicht gerecht wird.

So bleibt den Görlitzern nur die Hoffnung, dass Winfried Stöcker doch etwas Entscheidendes mit Charles Dickens’ bösem Kapitalisten gemeinsam hat. Ebenezer Scrooge nämlich hat sich vom „Geist der Weihnacht“ beseelen lassen. Wenn Winfried Stöcker seinen – und unseren! – Traum von einem lebendigen Kaufhaus retten will, kann allenfalls noch eine Entschuldigung helfen. Weniger für seine kritische Einstellung zur Asylpolitik, sondern für die verletzende und schockierende Ausmalung und Begründung dieser Weltsicht. Hoffen wir auf den Geist der Weihnacht!

Unser Autor

Frank Seibel kam vor 16 Jahren aus Frankfurt am Main über Dresden nach Görlitz und leitete hier zehn Jahre den Lokalteil der SZ. Heute ist er Reporter für die östliche Oberlausitz. In diesem Jahr traf er Winfried Stöcker mehrmals für ein großes Zeitungs-Porträt. Er führte in dieser Woche auch das Gespräch mit Stöcker, das als autorisiertes Interview am 18. Dezember veröffentlicht wurde.