Merken

Was ist eigentlich „Integration“?

Über „Integration“ wird auf bundespolitischer Ebene zurzeit intensiv diskutiert - oft auch gestritten. Mit der Ankunft der AfD im Bundestag dürfte die Debatte an Schärfe gewinnen.

Teilen
Folgen
© dpa

Anne-Beatrice Clasmann

Berlin. In Talkshows, in den Fraktionen, am Stammtisch und bei den Ausländerbehörden - überall wird über „Integration“ gestritten. Über „Integrationskurse“, die fehlen und über „Integrationsversager“, die sich angeblich zu wenig Mühe geben. Das Merkwürdige an dieser Debatte: Jeder versteht unter „Integration“ etwas anderes.

Die Einen halten jeden für schlecht integriert, der FKK-Strände peinlich findet und aus religiösen Gründen keine Schweinshaxe isst. Die Anderen meinen, es reiche, die Bundeskanzlerin gut zu finden und sich zur Demokratie zu bekennen. Kern der Auseinandersetzung ist die Frage, ob der Änderungsdruck nur auf den Neuankömmlingen und ihren Nachfahren lasten sollte, oder ob sich alle ein wenig ändern müssen.

Für den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, ist „Integration nie Assimilation“, sondern „Neugierde, die eigenen Gewohnheiten auch in Frage zu stellen und sich weitere im Laufe des Lebens anzueignen - ohne seine Wurzeln aufgeben zu müssen“. Er sagt, sein Vater, der vor 60 Jahren zum Studium nach Deutschland kam, träume inzwischen zweisprachig: auf Arabisch und Deutsch.

Auch Detlef Pollack, Religionssoziologe des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Uni Münster, betont, Integration dürfe nicht mit Anpassung gleichgesetzt werden. Es sei legitim, von Migranten eine gewisse Anpassungsbereitschaft einzufordern: „Ein ähnlich hohes Maß, sich auf die andere Seite zuzubewegen, kann man von den Menschen, die in Deutschland groß geworden sind, nicht erwarten.“ Man könne ihnen zwar zumuten, offen für Fremdes zu sein. Da sich Menschen in einer vertrauten Umgebung sicherer und wohler fühlten, sei es jedoch unrealistisch zu erwarten, dass die Deutschen „in dem Maße auf die zu uns Gekommenen zugehen wie diese auf uns“.

Die Grünen haben in ihrem Programm für die Bundestagswahl erklärt: „Integration stellt sowohl Anforderungen an die Menschen, die zu uns kommen, als auch an alle, die schon länger hier leben. Integration ist ein wechselseitiger Prozess, der von allen Beteiligten die Bereitschaft abverlangt, in unserer Gesellschaft zusammenzuleben.“

Die AfD hält dagegen in ihrem Grundsatzprogramm fest: „Jeder Einwanderer hat eine unabdingbare Bringschuld, sich zu integrieren; er muss sich seiner neuen Heimat anpassen, nicht umgekehrt.“ Am liebsten wäre den Rechtspopulisten, die Zuwanderer würden sich die Sitten und Gebräuche der Einheimischen komplett zu eigen machen. Die Partei erklärt: „Assimilation als weitestgehende Form der Integration ist zwar anzustreben, aber nicht erzwingbar.“ Die FDP betont: „Wir lehnen es prinzipiell ab, wenn die Mehrheit versucht, dem einzelnen Individuum ihre Kultur aufzuzwingen.“

Cemile Giousouf saß als erste Muslimin für die CDU im Bundestag und war zuletzt Integrationsbeauftragte der Unionsfraktion. Ihre Vorfahren gehören zur türkischen Minderheit in Griechenland. Giousouf definiert Integration als „Prozess, in dem Zuwanderer Teil unserer Gesellschaft werden“. Sie sagt, erfolgreich könne dieser Prozess nur sein, „wenn beide Seiten das wollen“.

Giousouf warnt davor, Integration auf Sprache und Arbeit zu reduzieren. Sie sagt: „Integration ist keine Entweder-Oder-Frage. Wenn jemand zwar die deutsche Sprache beherrscht und einen Job hat, aber Politiker und Medien pauschal beschimpft, ist der für mich schlechter integriert als jemand, der noch nicht gut Deutsch spricht, aber das Grundgesetz und seine Werte achtet.“ Für Mazyek zeigt sich Integration auch durch zivilgesellschaftliches Engagement: im Schulförderverein, bei der Feuerwehr, in Parteien, Gewerkschaften oder in der Moschee.

Erzwingen lässt sich das nicht. „Integration lässt sich gesetzlich nur bedingt steuern“, stellt Cornelia Schu, Geschäftsführerin des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), fest.

Pollack sagt, es habe sich bewährt, unterschiedliche Dimensionen von Integration zu unterscheiden. Er will wissen: Hat sich ein Zuwanderer Sprache, Werte und Normen angeeignet? Was ist mit Bildung und Arbeit? Wie stark identifiziert sich jemand mit dem neuen Heimatland und seiner Kultur? Hat er deutsche Freunde, Kontakte zu den Nachbarn? Um die sprachliche Kompetenz zu messen, sei es sinnvoll, die Befragten zu fragen, ob sie in der Herkunftssprache oder auf Deutsch interviewt werden wollen. Ein Migrant, der in seiner Wohnung noch nie Angehörige der Mehrheitsgesellschaft zu Besuch hatte, sei zwar in sozialer Hinsicht wahrscheinlich nicht gut integriert. Beruflich oder im Hinblick auf die Identifikation mit den in Deutschland anerkannten Werten könne er aber gleichzeitig sehr gut integriert sein.

Die Rassismus-Forscherin Fatima El-Tayeb findet, die Deutschen machten es Zuwanderern nicht leicht. Sie frustriert, dass Menschen, aufgrund ihres Aussehens oder ihres Namens oft lebenslang wie Neuankömmlinge behandelt werden. In ihrer Streitschrift „Undeutsch“ kritisiert El-Tayeb „die Weigerung der Mehrheitsgesellschaft, sich von dem weiß/christlichen Deutschenbild zu trennen, in das Menschen wie ich sich niemals werden assimilieren können“. (dpa)