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Wald geschenkt

Sachsens ehemaliger Chef der Gewerkschaften zieht von Radebeul an die Ostsee. Vorher macht er den Bürgern noch eine ungewöhnliche Freude.

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© Norbert Millauer

Von Peter Redlich

Radebeul. Das passiert nicht alle Tage. Radebeul und seine Bürger haben diese Woche ein ungewöhnliches Geschenk bekommen. Ein ordentliches Stück Wald. Konkret 9 800 Quadratmeter Wald inmitten des ehemaligen Goldschmidt-Parks zwischen der Weinberglage Paradies und der Terrassenstraße gelegen.

Der Wald befindet sich oberhalb der Terrassenstraße in Niederlößnitz.
Der Wald befindet sich oberhalb der Terrassenstraße in Niederlößnitz. © Norbert Millauer
Der östliche Teil vom Goldschmidt-Park mit Villa.
Der östliche Teil vom Goldschmidt-Park mit Villa. © Stadtarchiv Radebeul

Dieses Geschenk stammt von Hanjo Lucassen. Der heute 73-Jährige war seit 1992 viele Jahre Sachsens Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Von 1999 bis 2004 gehörte er für die SPD dem sächsischen Landtag an. In Radebeul lebten er und seine Familie eher zurückgezogen.

Das Haus der Familie Lucassen gehörte zum ehemaligen Goldschmidt-Park. Das Areal reicht von der schmalen Straße Auf den Bergen über den Hügel bis zur Terrassenstraße. Der aus Berlin stammende Bankier Joseph Goldschmidt ließ 1894 auf dem Grundstück durch den Bauunternehmer Carl Georg Semper anstelle eines Winzerhauses eine repräsentative Villa im Schweizerstil nach dem Entwurf von Adolf Neumann sowie einen parkartigen Garten mit Wasserspielen anlegen. Ein Gärtnerhaus entstand dort ebenfalls. Teile des Parks waren den Radebeuler Bürgern zugänglich.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde die Familie Goldschmidt, die jüdischen Glaubens war, 1938 enteignet. Curt Goldschmidt und seine Familie konnten über Frankreich in die USA fliehen. Auf dem Areal richteten die Nationalsozialisten eine Eliteschule ein. Junge Verwaltungsangestellte wurden dort als Führungskader für besetzte Gebiete ausgebildet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg besetzten Offiziere der sowjetischen Armee das Goldschmidt-Areal. An den Treppen im ehemaligen Park sind noch kyrillische Buchstaben zu finden, die damals hier eingeschlagen wurden. Danach ging das Areal 1950 an den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) übernommen. Die dort eingerichtete Gewerkschaftsschule erhielt 1951 den Namen „M. Andersen Nexö“. 1955 erfolgten ein Umbau und die Erweiterung des Hauptgebäudes durch die Bauverwaltung des FDGB. 1990 sollte das Anwesen vom Deutschen Gewerkschaftsbund als Bildungszentrum übernommen werden.

Lucassen spricht von Bemühungen des DGB, hier nach der Wende 1990 ein Gewerkschaftszentrum einzurichten. Dies sei jedoch gescheitert. Die Treuhand habe dagegen einzelne Teile des großen Areals nach und nach verkauft. Nachkommen der Familie Goldschmidt wurden offenbar mit Geld abgefunden. Die große Villa ist saniert. Sie ist heute ein Wohnquartier als Mehrfamilienhaus.

Das Gärtnerhaus wurde von der Familie von Udo Kühn erworben. Sie baut am Paradies Wein an und bewirtschaftet eine Besenschänke am Jägerhof. Familie Lucassen erwarb das Haus und Grundstück auf der gegenüberliegenden Seite an der Terrassenstraße.

Den aus dem Münsterland stammenden Gewerkschafter zog es jetzt wieder in den Norden. Er lebt seit einigen Monaten in Wismar. „Die Seeluft tut mir gut“, sagt er. In Radebeul hat er sein Haus mit etwa 600 Quadratmetern Land verkauft. Den eigentlich dazugehörenden Wald, so Lucassen, wollte er, so wie damals die Goldschmidts, den Bürgern Radebeuls zugänglich erhalten.

Bei Notar Alfons Braun in der Radebeuler Rathenaustraße wurde deshalb zur Schenkung an die Stadt festgehalten, dass das Areal von der Stadt nie verkauft werden darf und öffentlich zugänglich bleiben soll. Am Dienstagnachmittag unterzeichneten OB Bert Wendsche und Hanjo Lucassen die Schenkungsurkunden.