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Von der Aushilfe zum Gewerkschaftssekretär

Stefan Ehly streitet seit einem Jahr für die Industriearbeiter der Region. Er selbst hat schon viele Jobs gemacht.

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© Sebastian Schultz

Von Britta Veltzke

Riesa. Der Inhalt des Blumentopfs gleich links im Büro von Stefan Ehly gleicht einer Mondlandschaft. „Ja, da wollte ich längst etwas gepflanzt haben“, sagt er und schaut ein wenig verlegen. Immerhin ist der 33-Jährige nun schon seit fast einem Jahr Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall in Riesa. Aber wie das manchmal mit den guten Vorsätzen so ist – besonders wenn draußen der Arbeitskampf wartet. Am 1. Mai des vergangenen Jahres hat er den Stuhl von Joern Kladen im Gewerkschaftshaus auf der Goethestraße eingenommen. Kladen ist eine Ebene höher gerückt und arbeitet nun als Geschäftsführer für die IG Metall Dresden und Riesa. Die freie Stelle kam dem jungen Gewerkschafter gerade recht. Da seine Freundin aus Dresden stammt, passte ihm auch die räumliche Nähe zur Landeshauptstadt.

Für Gewerkschaftsverhältnisse ist Ehly über einen eher „neumodischen“ Weg zu seinem Posten gekommen: über ein Trainee-Programm, eine Art betriebliche Ausbildung in Unternehmen oder Organisationen. Vor allem junge Akademiker nutzen diese Möglichkeit, um nach rund einem Dutzend Semestern an der Universität Praxis-Luft zu atmen. „Über Jahrzehnte kamen ganz normale Arbeiter aus den Betrieben zu einem hauptamtlichen Job in der Gewerkschaft, die sich als Betriebsräte oder Vertrauensleute verdient gemacht hatten“, erklärt Stefan Ehly. Und heute?

Zwischen Büro und Werk

„Wie viele Arbeitgeber leiden auch die Gewerkschaften unter dem demografischen Wandel.“ Daher musste eine neue Form der Nachwuchsfindung her.

Sein Weg bedeutet jedoch nicht, dass Ehly keine Ahnung von der Arbeitswelt hätte. „Ich musste als Student arbeiten, um mir mein Studium zu finanzieren. Ich habe Zeitungen ausgetragen, in einem Dönerladen gearbeitet und als Hilfskoch, ich habe Pakete ausgefahren, Webseiten programmiert, Saft in einer Mosterei abgefüllt.“ Er habe daher früh eine ganz konkrete Vorstellung davon gehabt, wie in unterschiedlichen Branchen gearbeitet wird – und, wo es aus Sicht der Arbeitnehmer nicht so gut läuft, wo es ungerecht zugeht.

Das hilft ihm heute auch bei seinem Job in Riesa. Denn in dem vergleichsweise kleinen Büro müsse man Allrounder sein, so Ehly. Neben seinem eigentlichen Job als Gewerkschaftssekretär fallen auch andere Arbeiten an: mal eine Glühbirne wechseln oder ein Plakat gestalten. Seine ersten Entwürfe für den 1. Mai in Riesa hängen schon an der Wand. Diesmal soll es eine Veranstaltung am Bootshaus geben.

Studiert hat Ehly, der aus Dormagen (NRW) stammt, Sozialwissenschaften in Göttingen. „Weil ich schon immer irgendwie politisch interessiert war“, erklärt er. Doch er wollte nicht nur diskutieren, sondern auch etwas bewegen. „Ich bin dann in verschiedene Gruppen gegangen, die es an der Uni gab: Amnesty International, Greenpeace, Grüne Jugend. Hängengeblieben bin ich bei der Gewerkschaftsjugend.“ Die beteiligte sich an Demonstrationen gegen Neonazis oder an Aktionen, um auf schlechte Arbeitsbedingungen hinzuweisen, etwa im Einzelhandel. Jetzt ist es Ehly selbst, der Veranstaltungen organisiert – wie den Warnstreik in der vergangenen Woche am Rohrwerk von Salzgitter-Mannesmann in Zeithain.

Inzwischen ist der neue Tarifabschluss für die Stahlarbeiter in Ostdeutschland da: Ab dem 1. April bekommen sie schrittweise mehr Geld. Den Titel „Streikführer“ will sich Stefan Ehly aber nicht anheften lassen. „Das ist nur ein kleiner Teil meiner Arbeit.“ Einen typischen Arbeitstag? Feste Arbeitszeiten? Fehlanzeige! „Ich bin immer zwischen Büro und den Betrieben unterwegs. Dort kommt es darauf an, die Gewerkschaftsmitglieder miteinander zu vernetzen, Fortbildungen zu organisieren, rechtliche Fragen zu klären.“

Und, wie läuft das als junger „Wessi“? „Gut, ohne Probleme.“ Seine Erwartungen seien zunächst aber andere gewesen. „Dass es ganz so reibungslos klappt, hätte ich mir ehrlich gesagt nicht vorgestellt. Man lässt sich da auch leicht beirren. Einige haben gesagt: Stefan, hast Du Dir das auch gut überlegt?“ Heute weiß er: „Diese Ost-West-Sache wird aufgebauscht. Dabei sehen die Betriebe hier von innen genauso aus wie die in Braunschweig.“

Einen Unterschied gebe es dann aber doch: „Der Kahlschlag durch die Wende hat bewirkt, dass die Leute bis heute Angst um ihren Arbeitsplatz haben.“ Doch Grund zur Sorge in der Stahlbranche sieht Ehly aktuell nicht: „Unter anderem, seitdem die Betriebe von der Öko-Stromumlage auf selbsterzeugten Strom befreit sind und die WTO Strafzölle gegen Dumpingstahl verhängt hat, ist der Stahlpreis wieder gestiegen.“ Den örtlichen Betrieben gehe es daher nicht schlecht. „In Richtung Werksschließung haben wir gerade nichts zu befürchten. Aber man muss natürlich immer vorbereitet sein.“