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Von Barkas zu Porsche

Siegfried Bülow verlässt nach 17 Jahren die Führung von Porsche Leipzig. Der Aufstieg des Werks trägt seine Handschrift.

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© Ronald Bonß

Von Sven Heitkamp

Die Erfolgsgeschichte des Leipziger Porsche-Werks ist nicht zu verstehen ohne die Geschichte seines Chefs Siegfried Bülow, der das Glück hatte, in 17 Jahren 4 000 Jobs zu schaffen – in seinem früheren Chemnitzer Leben aber harte Entscheidungen treffen musste. Sehr harte. 1990 ist Bülow Geschäftsführer der Barkas-Werke in seiner Geburtsstadt, eine Erkrankung seines Vorgängers hat den jungen Mann früh zum Chef gemacht. Nun läuft die Produktion des B1000 aus, das Unternehmen wird zerschlagen, einzelne Teile werden in neue Firmen ausgegründet und saniert. Bülow muss damals – wenn auch mit Sozialplan – 2 300 Menschen entlassen. Unter ihnen seine damalige Frau, die er im Werk kennengelernt hatte. Und sein 63 Jahre alter Vater. „Blöd“ sei das gewesen, sagt er heute lakonisch und erzählt, dass er sich Sticheleien der Familie jahrelang auf Geburtsfeiern anhören musste.

Der Sündenfall hat Bülow geprägt. Er war Beweggrund und Ansporn, nicht achtlos seine junge Managerkarriere bei Volkswagen fortzusetzen, sondern etwas wieder gutzumachen. Seine große Chance dazu kommt keine zehn Jahre später. Ein Headhunter lädt ihn zu einem Geheimtreffen am Frankfurter Flughafen ein und offenbart ihm Porsches Pläne, in Leipzig ein Werk zu errichten. Im Februar 2000 wird auf einem Acker der erste Spatenstich gesetzt. Die Personalie Bülow gibt der damalige Unternehmenslenker Wendelin Wiedeking im August 2000 bekannt. Die Stuttgarter Konzernspitze will einen Ostdeutschen. Bülow, damals 48, wird Mitarbeiter Nr. 11 der Porsche Leipzig GmbH. Jetzt hört er auf. Am 30. Juni wird der Chef als Rentner zum Werkstor hinausfahren.

Im Regal seines Büros steht bis heute das Modell eines gelben Barkas. Er ist nostalgische Erinnerung und Mahnung zugleich. Und sie hat gewirkt: 17 Jahre hat der Chemnitzer Maschinenbau-Ingenieur das Werk mit viel Herzblut aufgebaut und mit seinem Team dafür gesorgt, dass es immer weiter wachsen konnte. 7 500 Menschen arbeiten heute für Porsche in Leipzig, sagt er. Die Arbeitslosigkeit in der Stadt sei von fast 20 auf unter acht Prozent gesunken. „Es tut mir persönlich gut, dass ich den Wiederaufbau des industriellen Kerns der Region mitgestalten konnte“, sagt Bülow. „Meine persönliche Bilanz ist mehr als ausgeglichen.“ Auch die Familie hat ihm verziehen.

Das Leipziger Porsche Werk, das heute einen Großteil der gesamten Sportwagen-Produktion liefert, trägt maßgeblich seine Handschrift. Bülow hat es verstanden, in konzerninternen Wettbewerben mit viel Chuzpe für Leipzig einzutreten. Wie im Jahr 2010, als die Produktion des heutigen Erfolgsmodells Macan zu vergeben war. Die damaligen Vorstände hatten dafür mehrere Standorte im Blick. Also lud der Werksleiter VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch nach Leipzig ein und überzeugte ihn von den Qualitäten des Werks. „Zum Abschied sagte er: Ich werde mich für Leipzig einsetzen“, erzählt Bülow. Da habe er gewusst: Er hatte gewonnen. Im März 2011 fällt die Entscheidung für Leipzig, mittlerweile sind mehr als 280 000 Macan gebaut. Es war ein Husarenstreich. „Ein Stürmer muss für die Mannschaft Tore schießen“, sagt Bülow. „Man muss Grenzen austesten und auch überschreiten, wo es nötig ist.“

Das hat er schon als Junge so gemacht. Sein Vater wollte, dass der Sohn Lehrer wird. Trotzig ließ Siegfried im entscheidenden Schuljahr die Noten so weit absinken, dass sie nicht fürs Studium reichten. „Danach wurden meine Noten wieder besser.“ Mit etwas Dreistigkeit begann ebenso der Werksanlauf. Der Konzern hatte ihm zunächst maximal 100 Mitarbeiter vorgegeben, doch es wurden 110. „Im Nachhinein haben sie es gebilligt“, sagt Bülow, „weil die Qualität stimmte.“ Man habe ihn schließlich nicht nur deshalb für Leipzig ausgesucht, weil er Ostdeutscher ist, sondern auch, weil er im Konzern schon alle zentralen Bereiche wie Motorenbau, Fahrzeugbau, Logistik und Produktion geleitet habe. „Man hat von mir erwartet, dass ich meine Erfahrungen einbringe.“

Besonders die Organisation der Arbeitsabläufe, die Prozessqualität und die Teamarbeit hat der Maschinenbauer entscheidend geprägt. Und einen fairen Umgangston: Bülows Tür stand fast immer offen. Egal, ob Facharbeiter oder Abteilungsleiter – alle konnten mit ihm reden. Daher ist auch wenig Böses zu hören über diesen freundlichen, etwas knurrigen und stets bodenständigen Mann. Er selbst sieht das so: „Mir kommt es darauf an, eng mit den Menschen und im Team zu arbeiten.“ Das Management, findet er, sei der Dienstleister für die Kollegen in der Produktion. „Wir haben die Aufgabe, die besten Rahmenbedingungen zu schaffen.“ Ob er dieses Credo an seinen Nachfolger Gerd Rupp, den bisherigen Leiter des Werkzeugbaus bei Volkswagen in Wolfsburg, weitergibt, den er seit Pfingsten einarbeitet? „Selbstverständlich“, sagt Bülow, „es ist der besondere Geist, der unser Werk ausmacht.“ Allerdings müsse jeder Chef seinen Weg finden und eigene Marken setzen. „Es bringt nichts, in ausgetretenen Pfaden zu gehen.“

Für ihn sei der Job der schönste gewesen, den er sich vorstellen konnte. „Ich hatte hier nur Höhepunkte.“ Wirklich? Rückschläge gab es schließlich auch, so die Konzernentscheidung, die Produktion des Cayennes bald nach Bratislava zu verlagern. „Das tut natürlich weh“, sagt Bülow. „Mit dem Cayenne fing in Leipzig alles an. Aber dafür geht eine andere Tür auf.“ Unerfüllt blieb sein großer Wunsch, ein Presswerk nach Leipzig zu holen und damit die Wertschöpfungskette des Vollwerks zu komplettieren.

Der Ingenieur hat sich schwergetan mit dem Loslassen, Anfang des Jahres überfiel ihn eine Zeit der Melancholie. Doch jetzt gehe er gelassen, mit dem guten Gefühl, nützlich gewesen zu sein und ein Werk zu hinterlassen, das Bestand hat. Ohnehin wird er Porsche als Berater vertraglich weiter zur Seite stehen. Er freut sich auf das Engagement im Automotive Cluster Ostdeutschland, ein Verband, den er 2004 mit gegründet hat. „Wir sollten aus den vielen kleinen Mittelständlern der Zulieferindustrie Wachstumskerne schaffen, damit internationale Player entstehen“, sagt er. Dazu wünsche er sich von der Politik auch in Sachsen, dass deutlich größere Summen Risikokapitals für Gründer vergeben werden. „Geldpolitik“, findet Bülow, „darf wichtige Branchen mitentwickeln.“ Ausfüllen will er auch sein Aufsichtsratsmandat bei der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Meissen und seinen Beiratsposten im Chemnitzer Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik.

Daneben freut er sich auf mehr Reisen und darauf, endlich richtig Golf zu spielen. „Bisher habe ich nur geübt.“ Außerdem will er mit seinen zwei alten Autos öfter an Oldtimer-Rallyes teilnehmen, ein 911er Cabrio von 1987 und ein Porsche 928 GTS von 1992. Seine jüngere Frau, die noch voll im Berufsleben steht, darf nicht hoffen, sagt Bülow, dass er nur zu Hause auf sie wartet.

Diesen und weitere Artikel über die sächsische Wirtschaft und ihre Macher finden Sie in der aktuellen Ausgabe von „Wirtschaft in Sachsen“ – dem Entscheidermagazin der Sächsischen Zeitung, erhältlich am Kiosk und an Tankstellen. Gern können Sie sich unter www.wirtschaft-in-sachsen.de für unseren wöchentlichen Newsletter anmelden.