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Vom Rinderzüchter zur linken Galionsfigur

Ein außergewöhnliches Leben, geliebt, verhasst und noch lang nicht zu Ende: Gregor Gysi wird am Dienstag 70 Jahre alt.

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© MDR/Lona media

Von Peter Heimann, Berlin

Toni Krahl von City singt für ihn zur Gitarre über Jesus – und meint den Jubilar gar nicht: Gregor Gysi wird heute 70. Etliche weitere Gratulanten jenseits des Offiziellen waren ins Deutsche Theater gekommen, wo Gysi sonntags immer Zeitzeugen befragt: Fußball-Trainer Hans Meyer, Schauspielerin Carmen-Maja Antoni, Ex-Volksbühnen-Intendant Frank Castorf, Klaus Wowereit, Friedrich Schorlemmer und Hans-Christian Ströbele. Heute feiert Gysi zuerst mit seinen engen Mitarbeitern, holt sich dann in der Linksfraktion den Blumenstrauß ab. Der Abend gehört dann der Familie. Mit den Genossen wird dieses Mal später gefeiert.

Der Linken-Politiker gibt sich – kokett wie immer – wenig begeistert von seinem runden Geburtstag. „Ehrlich gesagt, 70 klingt irgendwie alt. Aber mir wurde gesagt, dass 80 erst alt ist – mal sehen, was man mir dann erzählt.“ Der letzte DDR-Ministerpräsident, Lothar de Maizierè, sein alter Duz-Freund, lästert gern mal liebevoll über den alten Anwaltskollegen: Die Eitelkeit sei eine besondere Eigenschaft von ihm, die Gysi manchmal geholfen habe, „einem aber manchmal auch auf den Keks geht“. In die Kategorie Koketterie kann man getrost jene Aussagen stecken, die Gysi immer mal leicht variiert anbietet: Er habe „schon öfter in schwachen Momenten gedacht, ich Vollidiot hätte mich im Dezember ‚89 nicht auf die Politik einlassen sollen. Das hat mein Leben so verändert, war so anstrengend.“

Gysis DDR-Karriere war außergewöhnlich. Er wuchs in einer kommunistischen Ost-Berliner Intellektuellenfamilie mit jüdischen Vorfahren auf, die bei aller prinzipieller Treue zur DDR ihre bürgerlichen Traditionen und Freiheiten lebt – und mit einiger Ironie die widersprüchliche Gesellschaft mitgestaltet. Gysi erwähnt zwar gern seine Ausbildung zum Facharbeiter für Rinderzucht im Volkseigenen Gut Blankenfelde, die er mit der Oberschule absolvierte.

Aber eigentlich ist der Anwaltsberuf auch seine Leidenschaft. Er verteidigte Regimekritiker wie Robert Havemann oder Rudolf Bahro. Bis heute gibt es aus dieser Zeit Stasi-Vorwürfe. Frühere DDR-Dissidenten werfen ihm vor, sie als ihr Anwalt an die DDR-Staatssicherheit verraten zu haben – was Gysi stets und meist gerichtlich erfolgreich bestritt.

1989 übernahm Gysi den Vorsitz der SED/PDS, später der PDS und der Linkspartei – war lange ihr Alleinunterhalter, Gesicht und Geist der Partei. Gysi wurde von den einen wie ein Messias geliebt, von anderen gehasst, sogar bespuckt. Der Kampf gegen diese Verletzungen, das Ringen um Anerkennung, dazu gehören zu können, treibt ihn seither um. Wenn er Ruf, Last und Erbe beim Start ins gemeinsame Deutschland betrachte, so Gysi, dann dürfe er „doch ein wenig zufrieden sein“.

Dazu gehören die Etablierung der PDS, die gemeinsam mit Oskar Lafontaine gebastelte Linkspartei und, und und. Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) vermutet, ohne Gysi als Galionsfigur gäbe es die Linke als parlamentarische Kraft gar nicht mehr.

Heute ist Gysi Chef der Europäischen Linken und sitzt als einfacher Abgeordneter weiter im Bundestag – selbstgewählt hinten links. Auch nach zwei Herzinfarkten 2004 kann Gysi nicht von der Politik, den Talk-Shows und allem anderen lassen. Und eine familiäre Beziehung zu Sachsen hat der Berliner auch noch gefunden: Sein Ururur-Großvater kam aus Görlitz.