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Vom Klassenlehrer bespitzelt

Mit einer DDR-Ausstellung wurde am Weißeritzgymnasium der Demokratietag eröffnet. Statt Lehrbücher gab es Zeitzeugen.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Dorit Oehme

Freital. Sekundenschnell landen die Schultaschen auf einem Fleck im Flur. Gerade hat Schulleiterin Jeanette Ittermann den achten Demokratietag am Weißeritzgymnasium mit einer Sonderschau eröffnet. Nun strömen die Klassensprecher der Jahrgangsstufen acht bis zehn in die Ausstellung „DDR – Repression und Widerspruch“. 19 Rollenaufsteller stehen dicht im Raum. Auch historische Fotos von Jugendlichen sind zu sehen. Eine Klasse sitzt im Unterricht, alle tragen ihr FDJ-Hemd. Auch das Zeugnis eines Abiturienten ist abgebildet. „Voraussetzung für schulisches Weiterkommen ist der persönliche Einsatz für den sozialistischen Staat“, steht darunter.

Die Wanderausstellung wurde konzipiert von Lutz Rathenow, dem Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes in der DDR. Das Sächsische Kultusministerium hat sie initiiert. Die Schau umfasst im Ganzen acht Komplexe. Im Schulgebäude an der Pestalozzistraße können sich Schüler und Lehrer des Gymnasiums zum Volksaufstand vom 17. Juni 1953 und zum SED-Staat informieren.

„Es ist mehr als das, was wir bisher im Unterricht zur DDR behandelt haben“, sagt Schülersprecher Ben Hofmann. Es sei auch etwas anderes, als über die Geschichte in einem Lehrbuch zu lesen, so der Neuntklässler. Seine Jahrgangsstufe hat eine spannende Aufgabe vor sich: Mit einem Team der Landeszentrale für politische Bildung werden die Schüler in einem Planspiel ein eigenes Gesetz demokratisch entwerfen und gemeinsam zur Verabschiedung bringen. „Ich hoffe, dass es für alle interessant wird“, sagte Klassensprecherin Emily Säuberlich.

„Was bedeutet Demokratie, wenn man sie nicht leben kann?“, hat Elke Berger, Fachbereichsleiterin Gesellschaftswissenschaften, die Schüler vor den Tafeln gefragt. Jetzt öffnet sie die Tür zur Aula. Ein Teil der Jahrgangsstufe zehn sitzt zwei Oppositionellen der DDR gegenüber. Der Philosoph und Theologe Wolfram Tschiche protestierte 1968 18-jährig gegen die militärische Intervention im Nachbarland Tschechoslowakei. Der vier Jahre jüngere Utz Rachowski ist im Vogtland aufgewachsen, grenznah zur Tschechoslowakei. Er berichtet vom Hausbesuch seines Klassenlehrers der Oberschule, die heute dem Gymnasium entsprechen würde: Er geht damals in die neunte Klasse, der Lehrer jung und umgänglich. Mit den Eltern wolle er über die Leistungen seines Schülers sprechen. Beim Hausbesuch lässt er sich die Wohnung zeigen. Im Kinderzimmer stecken Papierfähnchen der Tschechoslowakei zwischen Büchern. Aus Respekt vorm Prager Frühling hatte Utz Rachowski sie dort platziert. Bis ins Detail beschreibt der Lehrer danach, was er sah. Utz Rachowski liest es aus den Stasiunterlagen vor. Sie sind in einem Zeitzeugenbericht erschienen. „Ab dem 16. Lebensjahr wurde ich überwacht“, erklärt der Schriftsteller, der später politischer Häftling war und 1980 ausgebürgert wurde. Er erzählt den Schülern aber auch von der Macht der Fantasie und einem besonderen Schulaufsatz.

Der Demokratietag befasste sich außerdem mit Flucht und Vertreibung. Themen waren auch Rassismus und Diskriminierung sowie Einflussmöglichkeiten der Gesellschaft. Die Ausstellung wird noch bis zum 17. November für die gesellschaftswissenschaftlichen Fächer genutzt.