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Vizemeister ohne Medaillen

Das Roller-Derby-Team der Dresden Pioneers wird Zweiter in der Bundesliga. Der Höhepunkt einer steten Entwicklung.

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© Robert Michael

Von Alexander Hiller

Von der breiten Öffentlichkeit beinahe unbemerkt hat die sächsische Landeshauptstadt Dresden plötzlich eine weitere deutsche Spitzenmannschaft: die Dresden Pioneers. Das Frauenteam des SV Motor Mickten ist seit Sonntag neuer deutscher Vizemeister in der Vollkontaktsportart Roller Derby.

Sie nimmt Abschied: Heidi Thole (r.) zieht nach Dortmund.
Sie nimmt Abschied: Heidi Thole (r.) zieht nach Dortmund. © Robert Michael

Muss man nicht zwangsläufig kennen, allerdings erfreut sich der aus den USA stammende Rollschuh-Teamsport auch in Deutschland zunehmender Beliebtheit. Die Schaffung der Deutschen Roller-Derby-Bundesliga vor drei Jahren belegt das. Denn seitdem wächst sie ständig. Man könnte das für einen Beleg einer zunehmend starken Frauenbewegung halten – Männer dürfen immerhin als Schiedsrichter in Nebenrollen fungieren, während die Frauen mit Alter-Ego-Namen wie Coofin Cutie, Trash Tourette, Kara M. Bolage oder Suzy Thunderstruck auf dem Oval waghalsige Überhol- oder Blockmanöver zelebrieren.

Zwei Teams spielen fünf gegen fünf auf einer ovalen Bahn, die je nach Halle zwischen 23 und 33 Meter lang ist. Eine Spielerin ist der „Jammer“, zu erkennen am großen Stern auf dem Helm. Punkten kann nur sie, indem sie als Erste an den Gegnerinnen vorbeirollt. Für jede weitere überrundete Spielerin gibt es zusätzlich einen Punkt. Aufgabe der Gegnerinnen ist es, das zu verhindern: Sie sind Blocker. Wer nach zwei Halbzeiten a 30 Minuten mehr Zähler hat, gewinnt.

Terminüberschneidung mit Auswahl

Die Dresden Pioneers verlieren ihr letztes Heimspiel am Sonntag gegen Bear City Roller Derby aus Berlin zwar mit 183:247. Die Vizemeisterschaft hinter den Stuttgart Valley Rollergirls hatten die Dresdnerinnen jedoch schon vorher in der Tasche. „Natürlich hätten wir die Saison gern mit einem Sieg beendet, aber wir sind dennoch richtig stolz, dass wir in unserem zweiten Erstligajahr so weit vorn landen konnten“, sagt Kapitän Coffin Cutie, die mit bürgerlichem Namen Silvana Sieborn heißt.

Dass ein Auswahl-Turnier von Team Germany in Cardiff am gleichen Wochenende wie das letzte Bundesligaspiel stattfindet „sei zwar etwas unglücklich“, sagt Sieborn, aber nicht zu ändern. So ist das in einer jungen Sportart, die die Grenzen, Regularien und eine optimale Organisation des Spielplans noch immer auslotet, neu definiert und verfeinert. Den Pioneers fehlt mit Trash Tourette eine ihrer wichtigsten Blockerinnen. „Andererseits haben wir vier etatmäßige Nationalspielerinnen, aber nur eine wurde für Cardiff berufen. Wir wären auch angetreten, wenn uns das Quartett gefehlt hätte“, sagt die Dresdner Spielführerin, die zum deutschen Nationalteam dazuzählt.

Auf dem ersten zählbaren Erfolg wollen sich die Pioneers nicht ausruhen. Weshalb auch. Silbermedaillen werden die Dresdnerinnen für die Vizemeisterschaft wohl nicht bekommen. „Ich weiß zumindest nichts Gegenteiliges. Ich glaube, der Meister bekommt einen Pokal. Medaillen wären auch wieder Kosten“, zeigt Sieborn Verständnis – Kosten, die der Deutsche Rollsport- und Inlineverband als stetig klamme Dachorganisation mehrerer Rand- und Nischensportarten wie Rollkunstlauf, Inlinehockey oder Speedskating gern sparen will.

Die Vizemeisterschaft hat bei den Pioneers dennoch Begehrlichkeiten geschürt. „Ich denke und weiß, dass meine Leute Lust darauf haben, die leise Enttäuschung über das letzte verlorene Spiel zu kanalisieren – um besser zu werden“, sagt Sieborn. Noch besser – also deutscher Meister? Die gebürtige Zwickauerin spricht es nicht offen aus, aber der Titel ist für einen Vizemeister das nächste logische Ziel. „Wir wollen uns natürlich weiterentwickeln“, sagt sie. Das ist in dieser Sportart, die für alle Akteurinnen ein schönes, dafür unentgeltliches und kostenintensives Hobby ist, nicht selbstverständlich.

Berufliche oder sonstige persönliche Veränderungen bedeuten immer auch entsprechende Fluktuationen im Kader. Am Sonntag verabschieden die Pioneers eine ihrer besten Blockerinnen – „Heidi Bumm“ alias Heidi Thole. Nach Abschluss ihres Studiums in Dresden und dem Start einer Ausbildung in Dortmund pendelte sie im vergangenen halben Jahr zwischen der Elbmetropole und dem Ruhrpott hin und her. Jetzt wächst ihr der zeitliche Aufwand einfach über den Kopf. „Aber“, sagt Sieborn, „wir bekommen auch neue Spielerinnen.“ Eine steht bereits fest – und die kommt vom letzten Bezwinger Bear City Roller Derby: Antonie Rietzschel – „Pussy Riots“. Die Redakteurin der Süddeutschen Zeitung zieht nach Leipzig und will weiterhin erstklassig Roller Derby spielen – mit den Dresden Pioneers.